Aggressiver Traum von Grossungarn

29. Juni 2012

Wer die heilige Krone beleidigt, soll ins Gefängnis.

«Die Ungarn suchen ihre Zukunft in einer obskuren Mythologie» - so wurde vor einiger Zeit im TA der Rummel um die mittelalterliche Krone des heiligen Stephan (Szent Istvan) beschrieben. Ein harmloser Satz in einer launigen Kolumne - der in Ungarn aber demnächst den Autor ins Gefängnis bringen könnte. Denn das ungarische Parlament hat eine Verschärfung der Strafgesetze ab 1. Juli 2013 beschlossen, darunter Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr für die Beleidigung der Fahne, des Wappens, der Hymne und der heiligen Krone. 
 
Der Antrag wurde von der rechtsradikalen Partei Jobbik eingebracht und mit den Stimmen der Regierungspartei Fidesz von Viktor Orban beschlossen.Die Verunglimpfung staatlicher Symbole wird auch in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz bestraft. Deshalb wird Orban auf Kritik wieder einmal mit dem Hinweis auf europäische Standards antworten. Doch die Stephanskrone war und ist mehr als ein Symbol des modernen ungarischen Staats. Sie steht für den Anspruch der Ungarn auf die Vorherrschaft im Karpatenbecken, für die kulturelle und politische Dominanz in jenen Gebieten, die einst zu Gross-Ungarn gehörten.

Verklärte Vergangenheit

Bis zum Jahr 2000 lagen diese Ansprüche in einer Vitrine im Nationalmuseum. In seiner ersten Amtszeit stellte Orban die Krone in den riesigen Kuppelsaal des Parlamentsgebäudes. Seit seinem zweitem Wahlsieg 2010 ist sie auch Symbol des neuen, aggressiven ungarischen Nationalismus. In der neuen Verfassung wird die Krone als Verkörperung der «verfassungsmässigen staatlichen Kontinuität Ungarns» definiert. Damit steht sie auch für die Verklärung der Vergangenheit, die Glorifizierung des Diktators Miklos Horthy und seiner antisemitischen, grossungarischen Ideologie. Heute bekommt Horthy neue Denkmäler im ganzen Land. Und die Werke antisemitischer, faschistischer Schriftsteller müssen von den ungarischen Schülern wieder gelesen werden.

Wer aber die Symbole dieser Restauration kritisiert, muss mit einer Haftstrafe bis zu einem Jahr rechnen.