Auch Orban distanziert sich vom Judenhass

3. Dezember 2012

Mit seiner Hetze gegen Juden hat ein rechtsradikaler Abgeordneter in Ungarn einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Am Sonntag demonstrierten über zehntausend Menschen in Budapest. Sogar die Partei von Premier Viktor Orban unterstützte die Kundgebung.

Hinter der Bühne hing ein riesiges «Nein», viele Kundgebungsteilnehmer trugen Tafeln mit der Aufschrift «Nie wieder!» und kleine rot-weiss-grüne Fahnen: Ungarns Hauptstadt erlebte gestern Nachmittag eine Premiere. Zum ersten Mal seit vielen Jahren konnten sich die konservative Regierungspartei Fidesz, die Sozialistische Partei, die ausserparlamentarische Opposition «Gemeinsam» sowie zivile Gruppen auf eine gemeinsame Demonstration einigen. Der «Massenprotest gegen den Nazismus» richtete sich gegen den grassierenden Antisemitismus im Land und einen Vorfall im Parlament: Vor einer Woche hatte der Abgeordnete der rechtsradikalen Partei Jobbik, Marton Gyöngyösi, zum Schluss einer Rede gefordert, dass sich die Namen aller Parlamentarier und Regierungsmitglieder mit jüdischer Abstammung offengelegt werden müssten, da sie ein «nationales Sicherheitsrisiko» darstellten.

Ungerügt und ungestraft

Im Parlament konnte Gyöngyösi ungestört das Rednerpult verlassen, seine Forderung hatte offenbar niemand besonders empört. Der Staatssekretär im Aussenministerium, Zsolt Nemeth, erwiderte lediglich, eine derartige Erfassung würde er nicht unterstützen. Protest über die antisemitische Rede kam zuerst von jüdischen Gruppen, und als er immer lauter wurde, konnte ihn auch die Regierungspartei nicht mehr ignorieren. 24 Stunden nach dem Vorfall verurteilte Fidesz die Aussage. Das Büro von Regierungschef Viktor Orban verfasste eine Erklärung, in der die ungarische Regierung «allen Bürgern des Landes Schutz vor solchen Angriffen» verspricht. Die regierungsnahe Zeitung «Magyar Nemzet» forderte in einem Kommentar: «Genug der Judenbeschimpfungen.»

An der gestrigen Kundgebung sprachen unter anderem der sozialistische Parteichef Attila Mesterhazy, der Spitzenkandidat von «Gemeinsam», Ex-Regierungschef Gordon Bajnai, und für Fidesz der Fraktionsvorsitzende Antal Rogan. Er mahnte, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht vergessen werden dürften, und wiederholte, dass Ungarn seine Bürger schützen werde.

So klar hat sich Fidesz nie zuvor vom Antisemitismus distanziert. Im Gegenteil: Bisher sah die Partei in verbalen Angriffen auf Juden kaum ein Problem – wenn sie aus den eigenen Reihen kamen. So durfte der Mitbegründer der Partei, Zsolt Bayer, ungerügt und ungestraft in Zeitungskommentaren die Juden wüst beschimpfen und sogar lamentieren, dass nicht alle Juden in den 20erJahren massakriert worden seien. Bayer ist ein Freund Orbans und durfte dieses Jahr zwei grosse «Friedensmärsche» für den Regierungschef organisieren.

In der von Fidesz regierten Stadt Eger wurde im vergangenen Jahr einem jüdischen Filmschauspieler die Teilnahme an einem Festival verweigert. Im Kulturausschuss wurde er als «dreckiger Jude» bezeichnet. Der israelische Botschafter sagte daraufhin einen geplanten Besuch in Eger ab. Hand in Hand gehen Fidesz und Jobbik, wenn es um die Rehabilitation des Diktators Miklos Horthy und antisemitischer Schriftsteller der Zwischenkriegszeit wie Albert Wass, Jozsef Nyirö oder Cecile Tormay geht. Auf Anordnung der Bildungsministerin wurden die Werke dieser Schriftsteller wieder in den Lehrplan der ungarischen Schulen aufgenommen.

Überall im Land bekommen Horthy und die Literaten neue Denkmäler und Gedenktafeln. In den Gemeinderäten stellen meistens Jobbik-Abgeordnete die Anträge auf Errichtung, Fidesz stimmt dann zu. Auch bei den Einweihungsfeiern treten Vertreter von Fidesz und Jobbik gemeinsam auf. Im Budapester Bezirk Zuglo liess der Fidesz-Bürgermeister unlängst ein Trianon-Denkmal errichten, um an die Teilung Ungarns 1920 zu erinnern: Der in Stein gehauene Sagenvogel Turul breitet seine Schwingen über einer Karte Grossungarns aus. Bei der Einweihung standen die Vertreter der Regierungspartei neben einer Abordnung der verbotenen Ungarischen Garde.

Auch bei der Umbenennung von Strassen und Plätzen gibt es zwischen Fidesz und Jobbik weitgehend Übereinstimmung: Möglichst viele Orte sollen den Namen von Horthy, Wass oder Tormay tragen. Nur geht das Jobbik zu langsam. Budapest solle möglichst schnell wieder eine Horthy-Strasse, einen Horthy-Platz und eine Horthy-Brücke bekommen, wünscht sich Szilvia Baba, Bezirkspolitikerin der Jobbik.

Verklärung der Vergangenheit

Zum Jahrestag des Einmarsches der Horthy-Truppen in Budapest 1920 versammeln sich jedes Jahr Anhänger und Politiker der rechtsextremen Partei vor dem Hotel Gellert. Dieses Jahr war auch die Ungarische Garde in Uniform dabei. Die Polizei griff nicht ein, obwohl das Auftreten in Formation und das Tragen der Uniform verboten ist. Als ein Redner betonte, dass Horthy Hunderttausende Juden vor dem Konzentrationslager gerettet habe, grölte die Menge: «Schade! Schade!» Der unabhängige Regisseur Adam Csillag filmte diese und andere Kundgebungen mit. Bei der Verklärung der Vergangenheit würden Fidesz und Jobbik «zu einer symbiotischen Kultur zusammenwachsen», meint Csillag.

Jobbik-Politiker Gyöngyösi war nach der Empörung über seine Parlamentsrede zuerst zurückgerudert und hatte von einem Missverständnis gesprochen: Er habe nicht Juden im Allgemeinen, sondern israelische Staatsbürger gemeint. Danach aber war ihm Parteichef Gabor Vona zu Hilfe geeilt und hatte in einer Stellungnahme erklärt, seine Partei fordere natürlich weiterhin die Offenlegung, wer im Parlament «heute oder vor zwanzig Jahren israelischer Staatsbürger war».