Der Messias aus Niederösterreich

1. März 2013

Er ist die graue Eminenz der österreichischen Regierung und absoluter Herrscher in seinem Bundesland. Jetzt will Erwin Pröll seine Wiederwahl mit beispiellosem Personenkult sichern. 

«Jetzt alle zusammen: Erst singen. Und bei der dritten Strophe die Schals schwingen!» Mahnend deutet der Moderator auf die Kamera: «Wir zoomen durch Sitzreihen – und wir sehen genau, wer nicht mitmacht.» So viel Überwachung wäre gar nicht nötig. Alle grölen brav zur Melodie der Village People mit. Statt «Go West» heisst es jetzt: «Steh auf – für Niederösterreich, geh raus – für Niederösterreich». Erwin Prölls Auftritte werden wie US-amerikanische Parteikonvente inszeniert. So auch hier, in der Waldviertler Kleinstadt Waidhofen an der Thaya: mit Fanfaren und Lichtshow, Einpeitschern und Schlachtgesängen.


Junge Parteisoldaten in Waidhofen an der Thaya. Foto: B. Odehnal

Seit 20 Jahren steht Pröll an der Spitze der niederösterreichischen Landesregierung. Dass er dort nach den Landtagswahlen am 3. März bleiben wird, daran besteht kein Zweifel. Dennoch werden die Wahlen in Österreich mit Spannung beobachtet, denn ob Prölls Partei ÖVP die absolute Mehrheit hält oder verliert, wird Auswirkungen auf die Atmosphäre in der Grossen Koalition in Wien und auf die Parlamentswahlen im September haben.

In der Österreichischen Volkspartei gilt Pröll als graue Eminenz. Er gibt Themen vor, bestimmt oder verhindert Minister. Ob es um die Zukunft des Bundesheers, Steuerreformen oder den Bau eines Bahntunnels geht: An einem Njet aus Niederösterreich kommt die Bundespolitik nicht vorbei. In seinem Bundesland ist der 66-jährige Sohn Weinviertler Bauern Alleinherrscher: Die Opposition ist ohnmächtig, die Medien sind gleichgeschaltet, Beamte und Kommunalpolitiker dem Landesfürsten treu ergeben. Alte Strukturen, die in anderen Bundesländern längst aufgebrochen wurden, bestehen in Niederösterreich nach wie vor. Die katholische Kirche, der Raiffeisenkonzern mit seinen Lagerhäusern und die Volkspartei sind hier noch heilige Dreifaltigkeit. Auf ihr ruht Prölls Autorität.

Jetzt kommt Stronach

Doch nun droht diese Allmacht zu wanken. Erstmals tritt der austro-kanadische Milliardär Frank Stronach an. Der 80-jährige Neopolitiker fordert Pröll direkt heraus und vergleicht Niederösterreich mit einer Diktatur. Er könnte die Stimmen der Protestwähler bekommen und die absolute Mehrheit der ÖVP brechen. Die Volkspartei investiert deshalb besonders viel in den Wahlkampf. Über zehn Millionen Euro sollen es sein. Die genaue Summe bleibt Prölls Geheimnis. Wie so vieles in Niederösterreich. Wer nachfragt, gerät in den Verdacht des Hochverrats. «Wer uns angreift, der greift das Land an», verkündet der Moderator in der Waidhofner Festhalle.

Der Wahlkampf ist ganz auf die Glorifizierung des Spitzenkandidaten ausgerichtet. Auf Plakaten sind nur sein Gesicht und sein Name zu sehen. Die Partei kommt nicht vor. «Pröll» ist die Botschaft. Auf der Website Erwinize.me kann man eine App herunterladen und damit dem eigenen Foto die pröllsche Frisur verpassen: eine Glatze, begrenzt vom Haarkranz über den Ohren (auch «niederösterreichische Landesfrisur» genannt). Bei Wahlkampfveranstaltungen werden T-Shirts mit Prölls Gesicht und kleine Pröll-Köpfe als Mikro-Anstecker fürs Mobiltelefon verteilt.

Niederösterreich ist das grösste Bundesland und umschliesst Wien so wie der Kanton St. Gallen das Appenzell. Rund um die Hauptstadt entstanden in den vergangenen zwanzig Jahren neue Siedlungen, Betriebe und Shoppingcenter. Die Gemeinden sind reich, Einkommen und Wirtschaft wachsen. Jenseits der Agglomeration aber wandern Menschen und Betriebe ab, vor allem im Wald- und im Weinviertel, den Grenzregionen zu Tschechien und der Slowakei. In Waidhofen lobt sich Pröll, dass seine harte Arbeit dem Waldviertel Wohlstand beschert habe. Tatsächlich konnte der Norden Niederösterreichs nur wenig vom Fall des Eisernen Vorhangs profitieren. Aus eigenem Verschulden: Ihren slawischen Nachbarn begegnen die Niederösterreicher noch immer mit Skepsis und Ablehnung.

Statt strukturschwache Regionen zu stärken, fördert Niederösterreich das Auspendeln durch den Bau neuer Autobahnen. Strassenbau ist Prölls Steckenpferd, jeden Kreisel weiht er persönlich ein. Die Bahn hingegen wird vernachlässigt und finanziell ausgehungert. Auch die Schienenverbindung nach Waidhofen an der Thaya wurde von der Landesregierung gekappt.

Der Reporter wird kontrolliert

Gegen die Stilllegung der Bahnlinie protestieren einige junge Waldviertler vor der Festhalle von Waidhofen. Sie tragen Transparente und werfen dem Landeshauptmann Wortbruch vor. Doch Kritik ist im System Pröll nicht vorgesehen. ÖVP-Mitarbeiter stellen sich mit Tafeln vor die Demonstranten: «Danke, Erwin». Wofür bedanken sie sich? Kein Kommentar. Die Pressestelle hat ihnen Sprechverbot erteilt. Am Eingang zur Festhalle werden Schals in den Landesfarben Blau-Gelb verteilt. Als der Reporter keinen nimmt, wird er angehalten und sein Ausweis kontrolliert. Wer nicht mitjubelt, macht sich verdächtig.


Der Pröll-Kopf für niederösterreichische Handys. Foto: B. Odehnal

Noch weniger als Kritik verträgt Pröll Kontrolle. Ein Recht der Opposition auf Einsicht in die Landesfinanzen oder auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen gibt es in Niederösterreich nicht. Deshalb kann nur vermutet werden, wie viel Geld durch wilde Spekulationsgeschäfte mit Wohnbaudarlehen verloren ging. Der Rechnungshof vermutet einen Verlust bis zu einer Milliarde Euro. Pröll wiederholt im Wahlkampf hingegen permanent, dass das Land über 800 Millionen Euro gewonnen habe. So werde der «Neusprech» im orwellschen Sinn auf die Spitze getrieben, kommentiert die «Wiener Zeitung»: In den Gedanken der Bevölkerung solle ein Verlust als Gewinn festgesetzt werden.

In niederösterreichischen Medien sind solche Kommentare nicht zu lesen. Die Spekulationsverluste werden kaum thematisiert. Das Landesstudio des ORF oder die «Niederösterreichischen Nachrichten» (NÖN) verbreiten lieber die positiven Botschaften des Landeshauptmanns. Zehn bis zwölf Fotos von Pröll in einer einzigen Ausgabe der NÖN sind keine Seltenheit. Sie zeigen ihn bei Altersheimbesuchen, Spatenstichen oder der Präsentation der neuen Züge von Stadler Rail, die aus einer alten Schmalspurbahn «Niederösterreichs Glacier Express» machen sollen.

Opposition hat aufgegeben

Für Prestigeprojekte ist im hoch verschuldeten Niederösterreich immer Geld vorhanden. Vor allem für Kultur. Pröll pflegt den Kontakt zu Künstlern, selbst wenn sie politisch nicht auf Linie sind. Sie bekommen Museen, Ausstellungen, Subventionen. Jetzt werben sie für Pröll in einem Personenkomitee: «Er hat das, was man sich für einen Landesvater wünscht.» Den Vorwurf, gekauft worden zu sein, weisen die Künstler empört zurück.

Als Landesvater spricht Pröll in Waidhofen von Herausforderungen in einer Welt ohne Sicherheiten und der bitteren Wahrheit, «dass uns niemand hilft und wir uns alles selbst erarbeiten müssen». Die politischen Gegner kommen nur am Rand vor, als «Sammelsurium skurriler Typen». Grüne und Sozialdemokraten haben den Kampf ohnehin aufgegeben. Sie hoffen höchstens auf einen Platz an Prölls Seite in der Landesregierung. Dessen Stärke ist vor allem die Schwäche seiner Gegner.

Zuletzt wird es richtig sakral in der Festhalle. Der Messias spricht zu seinen Jüngern: «Geht jetzt hinaus und öffnet den Niederösterreichern die Augen.» Und sie gehen hinaus. Aber nur ins nächste Zelt, zum Buffet mit Waldviertler Würsten, Wein und Bier. Auf der Bühne spielen Musiker in Erwin-PröllT-Shirts Evergreens. An diesem Abend heissen sie «The Erwinizers».