Der Protest zeigt Wirkung

7. Januar 2013

Viktor Orban liess die umstrittene Wählerregistrierung zurückziehen. Das ist noch kein Beweis für demokratische Gesinnung.

Das war nicht gerade ein optimaler Start ins neue Jahr für Viktor Orban. In der ersten Woche musste sich Ungarns Regierungschef von einer Reform verabschieden, die er als besonders bedeutend verteidigt hatte. Das ungarische Verfassungsgericht jedoch erklärte vergangenen Freitag Teile der neuen Wahlverfahrensgesetze für verfassungswidrig. Besonders die Pflicht für alle Wähler, sich neu registrieren zu lassen, missfiel den Richtern. Sie schränke das Wahlrecht «auf unbegründete Weise ein». Die Regierungspartei Fidesz beugte sich dem Urteil und erklärte, auf die Wählerregistrierung bei den nächsten Wahlen 2014 verzichten zu wollen.

Fidesz hatte die umstrittenen Gesetze Ende November beschlossen. Alle Proteste von Opposition und Zivilgesellschaft wurden ignoriert. Demonstrationen und Menschenketten um das Parlament liessen Orban und Parteifreunde ebenso kalt wie ein offener Protestbrief ehemaliger Dissidenten sowie ein symbolischer Hungerstreik von Oppositionsführer Ferenc Gyurcsany. Dann aber schickte Staatspräsident Janos Ader, ein Parteifreund Orbans, die Gesetze zur Prüfung an die Verfassungsrichter.

Eine Regierungspartei beschliesst ein Gesetz, ein Staatspräsident nimmt seine Kontrollfunktion wahr, ein Verfassungsgericht findet Fehler und schickt das Gesetz zurück an den Absender. So funktioniert der Rechtsstaat. Orbans Unterstützer in Ungarn und im Ausland deuten deshalb die Niederlage in einen Sieg um: Der Entscheid der Verfassungsrichter zeige doch, wie falsch alle Warnungen vor einer Einschränkung der Demokratie oder gar einer Diktatur in Ungarn seien, behaupten sie.

Wer so argumentiert, blendet die Ereignisse der vergangenen Monate in Ungarn völlig aus. Er ignoriert die Kraft und das Selbstbewusstsein neuer politischer Bewegungen, ohne deren Aufschrei weder Staatspräsident noch Verfassungsrichter den Mut zum Widerspruch gefunden hätten.

Dass Orban und seine Partei auf das Gesetz nicht aus demokratischer Überzeugung verzichten, zeigte die erste Reaktion von Fraktionssprecher Antal Rogan am Freitag: Er meinte trotzig, dass man die Registrierungspflicht nun eben in den Verfassungsrang heben werde. Ein paar Stunden später ruderte Rogan jedoch wieder zurück.

Hätte Fidesz die Kritik abermals ignoriert, wären die Proteste noch lauter geworden. Noch mehr Widerstand im Land kann sich Orban aber nicht leisten. Seine Politik hat schon zu viele Menschen so verärgert, dass sie ihre Wut auch auf der Strasse zeigen. Gewerkschaften demonstrieren gegen ein neoliberales Arbeitsrecht, das den Arbeitnehmerschutz aushebelt. Schüler, Studenten, Lehrer und Professoren organisieren Strassenblockaden gegen eine Bildungsreform, die junge Ungarn ins Ausland treibt. Die Kulturszene protestiert gegen Bevormundung und einseitige Förderung eines nationalistischen Kulturbegriffs. Im Ausland beobachtet man mit grosser Sorge den wachsenden Antisemitismus, der sich auch im Parlament manifestiert.

Ungarn ist im Aufbruch. Nicht mit Orban, sondern gegen ihn. Das spüren selbst seine Verbündeten. Der 2012 zurückgetretene Pal Schmitt war als Staatspräsident noch Orbans williger Vollstrecker. Sein Nachfolger Ader aber sieht offenbar die Zeit gekommen, sich zu emanzipieren. Denn bei Fidesz ist Nervosität zu spüren. Orbans Macht ist nicht mehr abgesichert. Zumindest nicht über die nächsten Wahlen hinaus.