Der rote Stern wurde zur Kirsche

17. Oktober 2012

Osteuropa: In der Krise feiern kommunistische Parteien und Konzepte eine unerwartete Renaissance. 

Von Bernhard Odehnal, Wien

Die tschechische Republik erlebte am letzten Wochenende eine erstaunliche politische Wende, die im Rest Europas kaum beachtet wurde. Bei den Regionalwahlen errang die kommunistische Partei (KSCM) in den Landkreisen Usti (Aussig) und Karlovy Vary (Karlsbad) die relative Mehrheit und erhebt nun den Anspruch, die Regionalregierungen dort zu bilden. Auch in den anderen Kreisen schnitten die Kommunisten gut ab, während die bürgerlichen Regierungsparteien von den Wählern abgestraft wurden. Bei den gleichzeitig durchgeführten Wahlen für den Senat, das tschechische Oberhaus, schafften es 13 kommunistische Kandidaten in die Stichwahl. Gemeinsam mit den ebenfalls siegreichen Sozialdemokraten haben die Kommunisten nun die Mehrheit in den Kreisvertretungen und nach dem zweiten Wahlgang kommenden Sonntag vermutlich auch im Senat.

Die Geister der Vergangenheit

Die neue Liebe der Tschechen zur extremen Linken ist deshalb so erstaunlich, weil die KSCM ein Relikt des realen Sozialismus ist und nie mit ihrer Vergangenheit gebrochen hat – auch wenn sie sich nicht mehr mit einem roten Stern, sondern mit roten Kirschen schmückt. Vizevorsitzender Jiri Dolejš betont zwar, dass «wir heute anders, demokratisch sind». Doch die Partei weigert sich, den Stalinismus und die eigene Rolle bei der Niederschlagung des Prager Frühlings und der «Normalisierung» danach aufzuarbeiten. Ihre Zentrale, die sich in der Gasse der politischen Gefangenen in Prag befindet (was für eine Ironie), sieht aus wie vor 30 Jahren. Und viele Funktionäre, die durch die düsteren Gänge schleichen, haben schon dem berüchtigten Generalsekretär Gustav Husak gedient.

Auch wenn die Tschechen die Krise Europas spüren, geht es den meisten deutlich besser als vor 1989. Sie haben Demokratie, Meinungs- und Reisefreiheit, die Löhne nähern sich langsam dem Niveau in Westeuropa an. Warum beschwören sie dennoch die Geister der Vergangenheit? Ist es die Sehnsucht nach der alten Ordnung? Oder eine «kollektive Amnesie», wie der Prager Politologe Robert Schuster vermutet?

Vor allem ist es Protest gegen eine neue politische Kaste, die sich selbst durch Korruption masslos bereichert, während sie den Mittelstand gleichzeitig mit immer neuen Steuern und Abgaben in die Armut drängt. Der Protest traf diesmal die etablierten bürgerlichen Parteien an der Regierung und die liberalen Neulinge in der tschechischen Politik, die vor zwei Jahren mit dem Versprechen absoluter Sauberkeit und Transparenz angetreten und atemberaubend schnell ins Zentrum von Schmiergeldskandalen geraten waren. Die Kommunisten sehen dagegen bieder und solide aus.

Ihr Wahlsieg hinterlässt einen unguten Geschmack, die Demokratie wird dadurch aber nicht gefährdet. Tschechien hat freie Medien, eine unabhängige Justiz und eine starke Zivilgesellschaft als Kontrollinstanzen.

Nur die Etiketten sind neu

Kommunistische Parteien sind nicht dort am gefährlichsten, wo sie in den alten mausgrauen Anzügen auftreten. Sondern in Verkleidung. Hinter dem Etikett «Sozialdemokraten» verstecken sich in Rumänien Seilschaften ehemaliger Offiziere der Securitate und Anhänger von Diktator Ceausescu. Heute kontrollieren sie (oder ihre politischen Ziehsöhne) Gemeindeverwaltungen, wichtige Unternehmen und die Regierung. Der «sozialdemokratische» Regierungschef Victor Ponta war zwar in der dunklen Zeit unter Ceausescu noch ein Kind, versucht aber heute ganz im alten Stil, die Medien gleichzuschalten und die Opposition auszuschalten.

Raffiniert verkleidet tritt auch der Kommunismus in Ungarn auf. Die Regierung von Viktor Orban würde natürlich jeden Verdacht kommunistischer Tendenzen empört von sich weisen. Orban definiert sich als letzter Kämpfer gegen die Linken in Europa und als Sieger über die letzten Reste des realen Sozialismus in Ungarn. Aber seine Politik ist weder liberal noch konservativ: Sie zielt darauf ab, Ungarn zurück in den Kalten Krieg zu führen. So wie einst unter dem roten Generalsekretär Janos Kadar werden die Medien zentralisiert und staatlich kontrolliert. Ganz nach realsozialistischem Vorbild werden Agrarland und Konzerne verstaatlicht. Private ausländische Unternehmen werden von der Bürokratie schikaniert. Ganz fremd ist den Politikern der Regierungspartei Fidesz das alte Regime ja auch nicht. Einige waren schon damals aktiv, als Informanten für die ungarische Stasi. Dieses Phänomen haben die Philosophen der Neuen Frankfurter Schule folgendermassen auf den Punkt gebracht: «Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.»