Der Spion, der mich liebte

15. Mai 2014

Es ist nun schon eine Weile her, aber es fällt mir immer wieder ein. Vor allem, wenn ich jetzt in der Ukrainekrise russische Diplomaten im Fernsehen reden höre. Oder wenn ich ihnen im Foyer der OSZE in Wien persönlich begegne: wie mich einer dieser Diplomaten als Informant anwerben wollte.

Mein Kontaktmann hatte einen der häufigsten und langweiligsten russischen Vornamen – Sergei –, und so sah er auch aus: zeitlos grau, ein zeitlos schlecht geschnittener Anzug in einer zeitlos schlammbraunen Farbe. Sergei sass im Publikum einer universitären Diskussionsveranstaltung über ein hochbrisantes Thema, an das ich mich nicht mehr erinnere. Ich sagte auf dem Podium etwas, das ihm offenbar gefiel. Zumindest behauptete er das, als er mich nach der Veranstaltung in gutem Deutsch mit russisch rollendem «r» und kehligem «ch» ansprach: «Ikch finde Sie sehr sympathisch, wirrr sollten uns häufigerr trreffen.»

Ich war zu Beginn naiv und verstand nicht gleich, was er wollte. Er stellte sich als Erster oder Zweiter Botschaftssekretär vor, und das war er formal wohl auch. Ich nahm seine Einladung an, und wir trafen uns in einem typischen Touristenlokal in der Wiener Innenstadt. Sergei versuchte charmant zu sein, was aber nicht so recht gelingen wollte. Es wirkte eher, als hätte er das Handbuch zur Anwerbung von Informanten unter Journalisten auswendig gelernt. KGB-Verlag, Moskau 1977. Er begann die Konversation mit Lob auf meine Arbeit, auf mein umfassendes Wissen und meine scharfe Auffassungsgabe. Danach lobte er noch die Redaktion der Zeitung, bei der ich damals arbeitete, und wollte die Redaktionsadresse, «weil ich Ihnen etwas schenken möchte. Eine Kiste Wein? Das würde doch auch Ihren Kollegen gefallen.» Als er mich über meine Chefs ausfragen wollte, über deren politische Haltung, die Kontakte zur Politik, begriff ich endlich, woher der Wind wehte. Es war wohl doch nicht Liebe auf den ersten Blick.

Ich erkundigte mich bei Kollegen. Siehe da: Auch andere wurden von russischen «Diplomaten» angesprochen. Ein Kollege hatte gleich abgelehnt, ein anderer traf seinen Kontaktmann hin und wieder, ihm machte die Diskussion Spass. Mir nicht. Sergei war kein angenehmer Gesprächspartner. Sein Rekrutierungsversuch war so plump, dass ich mich beleidigt fühlte. Wenn mich die Russen schon als Informanten wollten, hätten sie nicht einen intelligenten Führungsoffizier schicken können? Oder wenigstens Anna Chapman? War ich ihnen denn so wenig wert?

Sergei war nicht intelligent, aber hartnäckig. Immer wieder rief er an, schlug weitere Treffen vor. Ein zweites Mal willigte ich ein. Er kam in dasselbe Lokal, trug denselben Anzug. Bevor er noch Essen bestellen konnte, erklärte ich ihm, dass ich nicht mitmachen wolle. Sergei tat zuerst, als verstehe er nicht. Dann wurde er wütend, warf mir hässliche Dinge vor, bis ich aufstand und ging. Den Kaffee durfte er bezahlen.

Ich glaube nicht, dass ich ein guter Spion geworden wäre. Was ich erzählen konnte, hätte Sergei genauso gut aus Zeitungen erfahren. Aber wahrscheinlich ging es ihm gar nicht darum. Er musste sich bei Vorgesetzten mit seinen guten Kontakten in der Journalistenszene brüsten. Nach meiner Absage musste er wieder von vorne beginnen. Sein Zorn war verständlich. «Ich werde verhindern, dass Sie jemals wieder nach Russland reisen», drohte er mir zum Abschied. Tatsächlich bekam ich seither nie mehr ein Visum für Putins Reich. Ich habe mich aber auch nicht darum bemüht.