Die Entlarvung des Mr. Smith

17. Juli 2012

Der Kriegsverbrecher Laszlo Csatary hat fast 16 000 Juden nach Auschwitz deportiert. Die Entdeckung des alten Mannes in Ungarn bringt Budapest in Zugzwang.

Von Bernhard Odehnal, Budapest

Der alte Mann war offenbar völlig überrascht. Nur in Unterhosen, Socken und Hemd stand er in der Tür seiner Wohnung und stotterte: «Nein, nein, ich will das nicht diskutieren. Ich habe es nicht getan. Verschwinden Sie.» So beschreiben die Reporter der britischen Boulevardzeitung «The Sun» ihre Begegnung mit dem Kriegsverbrecher Laszlo Csizsik-Csatary in Budapest. Der 97-Jährige war als Kommandant der Gendarmerie in der Stadt Kassa (heute Košice in der Slowakei) für die Deportation von 15 700 ungarischen Juden in das Vernichtungslager Auschwitz verantwortlich. Er soll sich durch besondere Grausamkeit gegenüber Frauen und Kindern hervorgehoben haben. 1948 wurde er dafür in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tod verurteilt.

Den Hinweis auf seinen Wohnort in Budapest erhielten die britischen Reporter vom Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem, das in der «Operation last Chance» die letzten noch lebenden Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht bringen will. Der Direktor des Zentrums, Efraim Zuroff, will einen Hinweis auf Csatary von einem Holocaust-Überlebenden bekommen haben, der in Sydney lebt. Über die Kooperation mit der «Sun» sagte Zuroff, dass die britische Zeitung viel Geld, Zeit und Ressourcen in die Jagd auf Csatary investiert habe. Dafür verdiene sie Lob. Und der Informant habe eine Belohnung von 25 000 Dollar erhalten.

Alter schützt vor Strafe nicht

Csatary war schon 1941 an der Deportation ausländischer Juden aus Ungarn in einen damals von ungarischen Truppen besetzten Teil der Ukraine beteiligt. 23 600 Juden wurden in dieser Aktion nach Kamenez-Podolsk gebracht und dort von deutscher Polizei und SS ermordet. 1944 wurden dann innert weniger Wochen aus ganz Ungarn über 400 000 Juden in die Vernichtungslager deportiert. Die Züge wurden von der ungarischen Gendarmerie bewacht und in Kassa an die deutsche SS übergeben. Als Kommandant in Kassa hatte Csatary eine Schlüsselposition. Nach Kriegsende konnte er nach Kanada flüchten und eine neue Identität als Mr. Smith annehmen. 1997 wurde er entlarvt, verlor seine Staatsbürgerschaft und verschwand. Ob er damals gleich zurück in seine ungarische Heimat ging, ist nicht bekannt. Das Wiesenthal-Center hat im April von seinem Aufenthaltsort erfahren. Die Reporter der «Sun» dürften Csatary längere Zeit beobachtet haben.

Nicht zum ersten Mal heftete sich die Boulevardzeitung auf die Fersen faschistischer Kriegsverbrecher. Während der Euro 2008 entdeckte sie den 95-jährigen Milivoj Asner in Klagenfurt. Asner war drei Jahre zuvor vor einem Gerichtsverfahren in seiner kroatischen Heimat nach Kärnten geflohen und hatte dort von Jörg Haider quasi Asyl bekommen. Die österreichische Justiz blieb untätig, Asner starb 2011. In Budapest hat Efraim Zuroff das Material über Laszlo Csatary der Staatsanwaltschaft übergeben. Er hofft, dass Csatary in den nächsten Tagen einvernommen wird und seinen Reisepass abgeben muss.

Allerdings hat Zuroff in einem anderen Fall keine guten Erfahrungen mit den ungarischen Behörden gemacht. 1942 hatten ungarische Truppen im jugoslawischen Novi Sad 1250 Juden und Roma ermordet. Einer der Täter war Sandor Kepiro. Er wurde dafür in Jugoslawien verurteilt, konnte aber nach Argentinien flüchten und kehrte nach der Wende nach Ungarn zurück. Nachdem ihn das Wiesenthal-Center dort entdeckt hatte, wurde ihm 2011 der Prozess gemacht, der jedoch von Sympathie für den Angeklagten geprägt war.

Kepiros Anwalt wurde von einem Abgeordneten der rechtsradikalen Partei Jobbik bezahlt, vor dem Gericht demonstrierten Jobbik-Anhänger, im Saal durften Besucher rechtsradikale Symbole an ihrer Kleidung tragen. Kepiro wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, kurz danach starb er. Er hoffe trotz dieser Erfahrungen, dass nun auch Laszlo Csatary vor Gericht gestellt werde, schreibt Zuroff in der «Sun»: Hohes Alter sollte nicht vor der Justiz schützen.

Denkmäler für den Diktator

Csatary diente als Gendarm unter Miklos Horthy, jenem autoritären ungarischen Präsidenten, dem die Regierungspartei Fidesz heute wieder Denkmäler baut. Politiker von Fidesz (ebenso wie jene der Jobbik) behaupten, dass Horthy nichts vom Holocaust wusste. Als er davon erfuhr, habe er die Deportationen stoppen lassen. Ein Prozess gegen Csatary könnte zeigen, wie stark ungarische Gendarmen in die Vernichtung Hunderttausender Juden verwickelt waren.