Die Stunde der Unbestechlichen

20. Juni 2013

Ein ehrgeiziger Korruptionsermittler und ein kleiner Aussenposten der Staatsanwaltschaft brachten Tschechiens grössten Korruptionsskandal ins Rollen.

Als die tschechische Polizei vergangenen Mittwochabend mehrere Politiker festnahm und die Büros von Lobbyisten, Banken und des Regierungschefs durchsuchte, sah Aussenminister Karel Schwarzenberg sein Land noch am Scheideweg: Entweder die Ermittlungsbehörden seien tatsächlich so unabhängig, dass sie auch gegen die politisch Mächtigen vorgehen, so Schwarzenberg, dann seien die Ereignisse eine Stärkung der Demokratie. Oder die Razzien stellten sich als Teil eines politischen Kampfes gegen die Regierung heraus. Dann sei die Demokratie in Gefahr.

Nach Teilgeständnissen einiger Verdächtiger und dem Rücktritt von Premierminister Petr Nečas steht zumindest fest, dass die Staatsanwaltschaft nicht auf Zuruf von Interessengruppen handelte, die der Regierung schaden wollten. Der Leiter der Polizeiabteilung zur Aufklärung der organisierten Kriminalität (UOOZ), Robert Šlachta, hatte in den vergangenen Monaten offenbar sehr gründlich ermitteln lassen. Auch die Geheimhaltung der Razzien bis zum letzten Augenblick gelang. Die meisten Regierungspolitiker wurden von den Durchsuchungen am späten Abend überrascht, selbst die beteiligten Polizisten erfuhren erst kurz vor dem Einsatz, wo sie suchen und wen sie verhaften sollten.

Verbindungen zu einer Sekte

Welchen Umfang die Ermittlungen tatsächlich haben, ist bis heute nicht bekannt. Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben in ihren Antworten sehr allgemein. Die Orte der Razzien zeigen jedoch, dass Šlachta und sein Team an verschiedenen Korruptionsfällen gleichzeitig arbeiten. Durchsucht wurden der Sitz des Regierungschefs, das Verteidigungsministerium, eine Abteilung im Prager Rathaus, die für die Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, Privathäuser von zwei Unternehmern und Lobbyisten sowie eine Bankfiliale in Prag und die Forstverwaltung in Hradec Králové (Königgrätz).

Die meisten Details sind von einer Bespitzelungs- und einer Bestechungsaffäre in der Regierungspartei ODS (Demokratische Bürgerpartei) bekannt. Beide drehen sich um die Büroleiterin und Geliebte von Regierungschef Nečas, Jana Nagyova. Sie hatte im vergangenen Jahr mehrere Wochen lang die Ehefrau von Necas durch den militärischen Geheimdienst beschatten lassen, was gesetzeswidrig war. Der Geheimdienstchef und sein Stellvertreter wurden vergangene Woche ebenfalls verhaftet, am Montag wurden sie ausser Dienst gestellt. Welchen Sinn die Beschattung hatte, ist nicht klar. Nečas lebte damals schon von seiner Frau getrennt.

Nagyova behauptete in einer ersten Vernehmung in Untersuchungshaft, sie habe Informationen über die Verbindung der Frau zu einer Sekte gehabt. Die Polizei beurteilt die Aussage als unglaubwürdig. Klar ist der Grund für die Ermittlungen gegen die drei ehemaligen Abgeordneten der ODS, Ivan Fuksa, Petr Tluchor und Marek Snajdr. Sie wollten im vergangenen Jahr gegen die von der Regierung geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer stimmen. Dann aber verzichteten überraschend alle drei auf ihr Mandat. Nečas brachte die Mehrwertsteuererhöhung durch, die «Rebellen» tauchten unter und auf hoch bezahlten Vorstands- und Verwaltungsratsposten staatsnaher Betriebe wieder auf. Diesen Kuhhandel soll ebenfalls Bürochefin Nagyova eingefädelt haben. Dass der am Montag zurückgetretene Partei- und Regierungschef von allem nichts wusste, wie er jetzt behauptet, wollen ihm weder die Prager Medien noch die Opposition glauben.

Ironie der Geschichte: Vor drei Jahren hatte Nečas den Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, der Korruption den Garaus zu machen. Als eine seiner ersten Massnahmen als Regierungschef erweiterte er die Kompetenzen jener Antikorruptionsbehörde, die ihn jetzt zu Fall brachte. Womit der Regierungschef wohl nicht gerechnet hatte: Der kluge Chefermittler Slachta liess seine Fälle nicht in Prag, sondern von der Aussenstelle Ostrava der Staatsanwaltschaft Olomouc behandeln. Nur so konnte sichergestellt werden, dass die Politik nicht vorzeitig gewarnt wurde.

Ganz im Geheimen lief die Aktion dennoch nicht ab. Offenbar von einem Insider gewarnt wurden die beiden Prager Unternehmer und Lobbyisten Roman Janoušek und Ivo Rittig. Sie konnten sich ins Ausland absetzen. In ihren Wohnungen wurden hohe Geldbeträge und Gold gefunden. Janoušek und Rittig galten lange als die grauen Eminenzen Prags. Ohne sie ging nichts, ihre Firmen profitierten prächtig von öffentlichen Aufträgen. Ein besonders enges Verhältnis hatten sie zum ehemaligen ODSOberbürgermeister Pavel Bem. Das beweist unter anderem der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Bem und Janousek, der vergangenes Jahr den Medien zugespielt wurde. Bem wurde daraufhin aus der ODS ausgeschlossen, im Januar 2013 aber wieder aufgenommen. Er ist Senator im Oberhaus des tschechischen Parlaments.

Prag als Zentrum der «Paten»

Korruption ist allerdings nicht nur ein Phänomen in der Bürgerpartei. Besonders spektakulär war 2012 der Fall des populären sozialdemokratischen Gouverneurs David Rath. Unter dem Holzboden seiner Villa fanden die Ermittler einen Karton mit 7 Millionen Kronen (333 000 Franken). Der Vorsitzende der kleinen Regierungspartei VV (Öffentliche Angelegenheiten), Vít Barta, wurde etwa zur selben Zeit wegen Bestechung dreier Parteikollegen verurteilt. Auch in Prag zerbrach unlängst die Regierungskoalition an Korruptionsvorwürfen. Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda wurde von den Abgeordneten abgewählt. Unter der langjährigen Führung der ODS bekam Prag den Ruf des Zentrums der Korruption in Tschechien.

Viel zu lange habe es ausgesehen, als würden die Prager «Paten» ungeschoren davonkommen und die Arbeit der Ermittler im Papierkorb landen, erklärt der Leiter des Prager Stiftung gegen Korruption, Petr Soukenka. Die Ermittlungen zeigten jedoch, dass es in Tschechien auch einen kleinen Kreis unerschrockener Ermittler gebe, die «sich nicht vor der Macht der Mächtigen fürchten». Nicht so optimistisch sieht der tschechische Eishockeystar Jaromir Jagr die Lage. Politik sei ein Spiel um Geld und Macht, schreibt er auf seiner Facebook-Seite: «Und ich habe den Eindruck, dass wir uns dabei eher wie Hyänen denn wie Menschen benehmen.»