Drohungen vor der Budapest Pride

11. Juli 2015

In Ungarns Hauptstadt feiern heute Tausende Schwule und Lesben auf der Strasse. Rechtsextreme Gruppen haben Gegenaktionen angekündigt. 

Die Vorfreude ist gross, die Nervosität ebenso. Über 10 000 Teilnehmer werden heute Samstag in der ungarischen Hauptstadt bei der Schwulen-und-Lesben-Parade Budapest Pride erwartet. Der Marsch über den mondänen Andrassy-Boulevard ist traditionell der Abschluss eines einwöchigen Kulturfestivals. Ebenso traditionell sind allerdings die Proteste rechtsextremer Gruppen gegen die Parade, bei der in den vergangenen Jahren Regenbogenfahnen verbrannt und Paradeteilnehmer zum Teil schwer verprügelt wurden. Auch in diesem Jahr erwartet die ungarische Schwulen-und- Lesben-Organisation Hatter tätliche Angriffe. Die rechtsextreme Partei Jobbik bezeichnet Homosexualität als «entartet» und «antichristlich»; seit Jahren fordert sie ein Verbot der Veranstaltung. 

Deutliche Ablehnung kommt auch von der Regierungspartei Fidesz, zu der Budapests Bürgermeister Istvan Tarlos gehört. Er findet «das ganze Phänomen unnatürlich und eklig» und wollte die Parade vom zentralen Andrassy-Boulevard an den Stadtrand verlegen lassen. Sein Chef, Viktor Orban, schickte ausgerechnet am internationalen Tag gegen Homophobie Mitte Mai eine unmissverständliche Botschaft an Ungarns Homosexuelle: Ungarn sei ein tolerantes Land, aber «das bedeutet nicht, dass dieselben Regeln für Menschen gelten, die einen anderen Lebensstil als wir pflegen. Wir unterscheiden uns von ihnen.» Das tolerante Klima werde sich nicht ändern, solange die homosexuelle Community ruhig bleibe und nicht provoziere. 

Da war sie wieder, die Spaltung der ungarischen Gesellschaft in «wir» und «sie». «Wir» – das sind für Orban christliche und heterosexuelle Ungarn, traditionsbewusste Familienmenschen, der Regierung treu ergeben. «Sie» sind die Minderheiten: Juden, Roma, Homosexuelle. Von der Nation geduldet, aber niemals dazugehörig. So wie Antisemitismus und Antiziganismus reiche die Homophobie tief in die Gesellschaft hinein, sagt die in Budapest lebende Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky: «Sie ist im Alltag und sogar bei hoch angesehenen Wissenschaftlern zu beobachten.» Marsovszky erinnert an ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften, das Homosexualität mit Bettnässen verglich: Beides sei heilbar. In Umfragen unterstützen nur 30 Prozent der Ungarn die gleichgeschlechtliche Ehe. 

Der nationalistische Publizist Zsolt Bayer warnte unlängst vor einem Europa unter der Kontrolle der Schwulenlobby und forderte für Ungarn das Recht auf Homophobie ein, «so wie es andere auch haben». Zu diesem Recht solle auch gehören, «dass wir aufstehen und sagen: Zum Teufel mit dem Internationalen Tag gegen Homophobie». Bayer ist Mitbegründer von Fidesz und ein persönlicher Freund Viktor Orbans. 

Die Justiz reagiert 

Dabei war das politische und gesellschaftliche Klima in Ungarn zu Beginn des Jahrtausends durchaus liberal. Schwulen-und-Lesben-Paraden finden in Budapest seit 1997 statt; das 2003 beschlossene Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Seit 2009 können gleichgeschlechtliche Paare eine Partnerschaft eintragen lassen. Allerdings dürfen diese Paare keine Kinder adoptieren und keinen gemeinsamen Familiennamen annehmen. Erst mit Orbans Wahlsieg 2010 änderte sich das Klima gegenüber sexuellen Minderheiten. Ohne Diskussion beschloss Fidesz 2012 ein neues Grundgesetz, das die Ehe als Partnerschaft zwischen Mann und Frau festlegt. Eine Änderung wäre abermals nur mit Zweidrittelmehrheit möglich. 

Auf der anderen Seite zeigte die Justiz dieses Jahr zum ersten Mal, dass sie auch die Rechte von sexuellen Minderheiten verteidigen will. Ein Budapester Gericht verurteilte eine rechtsextreme Aktivistin zu drei Jahren Haft wegen einer homophoben Attacke auf einen Teilnehmer der Budapest Pride 2013. 

Budapest hat eine lebendige Schwulen-und-Lesben-Szene. Bekennende Homosexuelle gibt es in der Politik und in der Kulturszene. Auch in anderen Städten könnten Lesben und Schwule ein relativ freies Leben führen, sagt die Regisseurin Maria Takacs, die bei der Lobbyorganisation für Lesben, Labrisz, tätig ist: «Auf dem Land ist es jedoch sehr schwer. Ich habe viele Freundinnen, die ihre sexuelle Orientierung verstecken.» 

Takacs fürchtet, dass sich diese Klima der Angst nun auch in der Hauptstadt ausbreite: Wer die homophobe Regierungspolitik kritisiere, laufe Gefahr, seinen Job zu verlieren. So erging es auch dem populären Direktor des Nationaltheaters, Robert Alföldi: Er wurde vor zwei Jahren gefeuert und durch einen erzkonservativen Jobbik-Anhänger ersetzt, der seinen Vorgänger als Schwuchtel beschimpfte. Zum Auftakt der Pride-Woche richtete Alföldi scharfe Worte an den Budapester Bürgermeister: Die Stadt sei ein «multikulturelles Metropolis», Istvan Tarlos solle aufhören, «Minderheiten zu beurteilen und stattdessen seine eigenen Abneigungen bekämpfen».