Ein Hund nützt seine Chance

15. November 2012

Österreichs feiert einen Border Collie als sein grösstes Talent 

Der Hund ist tot. Es war ein Verkehrsunfall. Rauhaardackel Vega wurde überfahren, als er seine Notdurft verrichten wollte. So etwas ist tragisch, aber passiert leider immer wieder. Trotzdem war der Vorfall österreichischen Medien ausführliche Berichte wert. Natürlich: Das Opfer war nicht irgendein Strassenköter, sondern lebte am dänischen Königshof und war das Lieblingstier von Prinz Henrik. Anderseits: Berichte über die dänischen Royals sind in Österreich eine absolute Seltenheit. Man könnte sogar sagen, dass das flache Land an der Ostsee aus Sicht der Alpenrepublik überhaupt nicht existiert. Weshalb plötzlich dieses Interesse?

Weil es um einen Hund geht. Und die treuen vierbeinigen Freunde waren den Österreichern schon immer wichtig. Jetzt erst recht. Seit Freitagabend nämlich steht fest: Österreichs grösstes Talent ist Esprit, ein Hund. Der fünfjährige Border Collie trat mit seiner Besitzerin Alexandra Plank bei der Fernsehshow «Die grosse Chance» an und gewann mit Kunststücken wie Schnurspringen oder Männchenmachen den Hauptpreis von 100 000 Euro. Mit seinem Schwanzwedeln und dem ach so süssen Blick setzte sich das Tier damit gegen Sänger, Tänzer und Artisten durch, die Leistungen auf richtig hohem Niveau zeigten. Zuletzt aber entschied der Geschmack des Fernsehpublikums, und dem wagte sich auch die vierköpfige Jury nicht zu widersetzten. Vermutlich wollte sie es auch gar nicht, denn schon im Halbfinale plauderte einer aus dem Nähkästchen der Schauspielschule: Tritt niemals neben Kindern oder Tieren auf – du hast keine Chance.

Selbst der ultracoole Berliner Rapper Sido votierte als Juror zuletzt für den Hund und zeigte damit einen unerwarten österreichischen Charakterzug. Seit dem Skandal um einen Fausthieb des Rappers, den Rausschmiss aus der Sendung und die reumütige Rückkehr ist von der erfrischenden Direktheit und den frechen Sprüchen Sidos ohnehin nichts übrig geblieben. «Die haben ihn weich geklopft wie ein Schnitzel. Jetzt müssen sie ihn nur noch panieren, dann passts.» Das hat zwar der geschasste Fussballer Paul Scharner über das Verhältnis der Österreicher zu ihrem Schweizer Nati-Trainer Marcel Koller gesagt. Es trifft aber genau so (oder noch besser) auf Sido zu. Nur ist das eigentlich eine andere Geschichte.

Wo waren wir? Ach ja, beim grossen Gewinner Esprit. Der ist jetzt Österreichs «Wunderhund», den alle lieben. Oder lieben müssen. Die Konsequenzen der Entscheidung sind noch gar nicht wirklich abzusehen. Auf alle Fälle wird es nächstes Jahr niemand mehr wagen, ohne tierische Begleitung bei der «Grossen Chance» anzutreten. Schon sieht man Hundebesitzer im Park ihre eigenen Lieblinge und jene anderer Spaziergänger misstrauisch zu inspizieren. Kann mein Waldi auch auf zwei Beinen gehen? Wird ihn das TV-Publikum ins Herz schliessen? Schafft er es auf die Titelseite der «Kronen Zeitung»? Oder wird ihm der räudige Köter vom Nachbarn den Preis streitig machen?

Auch die Politik kann den Durchmarsch hündischer Talente nicht ignorieren. Regierungsmitglieder sollen bereits ihre Mitarbeiter auf die Suche nach möglichst attraktiven Hunden ausgesandt haben, neben denen sie sich im Wahlkampf zeigen können. Auf Facebook sammeln der Kanzler und sein Vize um die Wette tierische Freunde. Der 80-jährige Neo-Politiker Frank Stronach möchte Österreichs grösstes Talent angeblich als Spitzenkandidat seiner neuen Partei antreten lassen. Stronach hat das Gerücht bisher nicht dementiert.

Gewisse rhetorische Schwächen des Border Collies würden nicht stören, ist aus dem Umfeld des austrokanadischen Milliardärs zu erfahren: Im «Team Stronach» sei jeder willkommen, der Stronachs Werte unterstütze. Und Supertalent Esprit habe mit Schwanzwedeln und dreimaligem Bellen ein klares Bekenntnis zu Wahrheit, Transparenz und Fairness abgelegt.