Er durchleuchtet das berühmteste Orchester

14. März 2013

Der Schweizer Historiker Fritz Trümpi deckt die Nähe der Wiener Philharmoniker zu den Nazis auf.

Die Dreharbeiten für die TV-Dokumentation sind abgeschlossen, die Präsentation in der Wiener Staatsoper ging gut über die Bühne. Jetzt kommen die Interviewanfragen. Und der Beitrag für den britischen «Guardian» muss auch noch geschrieben werden. Wenn man jahrelang in Archiven forscht oder einsam vor dem Computer sitzt, kann öffentliches Interesse ziemlich anstrengend werden. Die vergangenen Tage seien spannend gewesen, sagt Fritz Trümpi, «aber ich habe nichts dagegen, wenn der Trubel nachlässt».


Fritz Trümpi. Foto: B. Odehnal

Ganz überraschend kam dieser Trubel nicht: Der junge Schweizer Historiker und Musikwissenschafter hat sich immerhin an einer heiligen österreichischen Kulturinstitution zu schaffen gemacht. Und ihren Mythos gründlich zerstört. Gemeinsam mit zwei österreichischen Kollegen untersuchte Trümpi die Geschichte der Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus – und fand enge Verbindungen des weltbekannten Orchesters zum NS-Regime. So waren knapp 50 Prozent der 123 Musiker Mitglieder der NSDAP. Der Trompeter Helmut Wobisch war bei der SS und Spitzel für die Gestapo, konnte aber dennoch nach dem Krieg Karriere im Orchester machen. Dass Wobisch noch 1966 nach Deutschland fuhr, um dem aus der Haft entlassenen NS-Verbrecher Baldur von Schirach einen Ehrenring der Philharmoniker zu bringen, wurde erst jetzt bekannt.

Jahrzehntelang sperrten sich die Philharmoniker gegen die Aufarbeitung ihrer Geschichte. Zum 75. Jahrestag der Okkupation Österreichs durch Hitlers Truppen im März 1938 beauftragten sie jedoch Trümpi und seine Kollegin Bernadette Mayrhofer unter der Leitung des Zeitgeschichte-Professors Oliver Rathkolb mit der Recherche. Die Ergebnisse stehen seit dieser Woche auf der Website des Orchesters (www. wienerphilharmoniker.at).

Für Trümpi ist es die Krönung von 10 Jahren harter Arbeit. Nach Wien war der 38-jährige gebürtige Glarner gekommen, «um endlich in einer Stadt zu leben». Das Interesse an der Faschismusforschung und die Liebe zur Musik führten ihn zu seiner Doktorarbeit über die Philharmoniker. Schnell lernte er, welchen Stellenwert das Orchester in Wien hat: «Alle haben sehr emotional auf mein Dissertationsthema reagiert, zustimmend oder ablehnend.» Nur das Orchester selbst schwieg. Das Archiv blieb für ihn jahrelang verschlossen. Erst 2007 bekam Trümpi Zugang. Seither, sagt er, versuche niemand mehr, seine Arbeit zu behindern.

2011 erschien seine Dissertation über die Wiener und die Berliner Philharmoniker in Buchform («Politisierte Orchester»). Die Reaktion in Österreich war zurückhaltend, die Philharmoniker ignorierten Trümpis Erkenntnisse. Dass sie zwei Jahre danach von sich aus aktiv wurden, sieht der Schweizer auch als Ergebnis jahrelangen Drucks durch Medien und Politik. Er würde sich noch ein deutliches Zeichen des Orchester wünschen, dass es sich von seiner dunklen Vergangenheit ehrlich distanziert. Zum Beispiel durch die Aberkennung sämtlicher Auszeichnungen an NS-Bonzen.

Trümpi hat jetzt ein Büro im Dach der Wiener Musikhochschule und einen neuen, nicht weniger heiklen Forschungsauftrag: In den nächsten Jahren wird er in einem kleinen Team die Geschichte der Wiener Staatsoper aufarbeiten, von den Anfängen bis in die Nachkriegszeit. Da die Philharmoniker auch Mitglieder des Staatsopernorchesters sind, werden sie in der Forschung wieder eine Rolle spielen.