Für den Sieg ist Victor Ponta nichts zu teuer

7. Dezember 2012

Am Sonntag wählen die Rumänen ein neues Parlament. Im Kampf um die Macht zwischen Regierungschef Ponta und Präsident Basescu sind Inhalte Nebensache.

Selbstbewusst und mit schmalem Lächeln tritt Victor Ponta vor die Kameras. «Wir werden unser Ziel erreichen und mindestens 50 Prozent plus ein Mandat erhalten», verkündet Rumäniens Regierungschef in der Zentrale seines Wahlbündnisses USL, der ehemaligen Residenz eines rumänischen Bojaren. Draussen leuchtet in der Abenddämmerung der Arcul triumf, eine Kopie des Pariser Triumphbogens, die an die Helden der Unabhängigkeitskriege gegen Türken und Habsburger erinnern soll.


«Rumänien verpflichtet» Wahlplakat in Bukarest. Foto: B. Odehnal

Eine Aura des Triumphs ist auch in der Bojarenvilla spürbar, obwohl die Parlamentswahlen erst am Sonntag stattfinden: «2012 - Das Jahr des Sieges» verkünden Plakate, unter denen Ponta seine Landsleute zur Stimmabgabe aufruft: «Je mehr Vertrauen uns die Rumänen schenken, desto grösser wird die Stabilität im Land sein.»

Die Umfragen geben dem 40-jährigen Sozialdemokraten recht. Die USL (Sozialliberale Union) kann mit der absoluten Mehrheit rechnen. Vielleicht erreicht sie mit 66 Prozent sogar die verfassunggebende Mehrheit. Die Skandale im Sommer haben Ponta nicht geschadet. Vergessen ist in Rumänien sein Griff auf die unabhängige Justiz, der ihm einen handfesten Konflikt mit der EU-Kommission einbrachte. Vergessen ist der Skandal um Pontas Diplomarbeit, die zu einem guten Teil abgeschrieben ist. Vergessen sein Versuch, sich fälschlicherweise mit dem Titel einer sizilianischen Universität zu schmücken.

Sparen bei Strasse und Bahn

Ponta fördert die Vergesslichkeit der Wähler mit grosszügigen Geschenken. Im letzten Monat liess er Pensionen und Beamtenlöhne anheben, die unter den liberal-konservativen Vorgängerregierungen drastisch reduziert worden waren. Zusätzlich bekommen 5500 Veteranen der 1989er-Revolution eine einmalige Prämie von 7600 Franken pro Person. Den Staat kostet die gute Gabe 42 Millionen Franken, die andernorts eingespart werden müssen: Lange geplante Ausbauten von Strassen und Bahn sind auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Rumänen stöhnen nicht nur unter dem Sparpaket, das Präsident Basescu im vergangenen Jahr durchsetzte. Die Wirtschaft wird dieses Jahr leicht schrumpfen, die Preise für Grundnahrungsmittel sind um bis zu 30 Prozent gestiegen. Monatliche Pensionen um 300 Franken reichen nicht zum Überleben, vor allem nicht im teuren Bukarest. Wenig besser ergeht es jungen Lehrern oder Ärzten, die entweder einen Zweitjob annehmen oder sich von der Familie unterstützen lassen müssen. Viele Mediziner gehen deshalb ins Ausland.

Durch die steigende Inflation bekommen Rentner und Beamte auch nach Pontas Wahlgeschenken real weniger als vor einem Jahr. Aber die Geste kommt bei den Wählern an. Dass die sozialdemokratische Regierung kritische Journalisten unter Druck setzt, kritische Intellektuelle als «Agenten des Auslands» denunziert und unbequeme Beamte gegen loyale Parteisoldaten austauscht, wird eher gleichgültig zur Kenntnis genommen. Das haben andere Regierungen auch gemacht. Ponta geht bei den politischen Säuberungen nur schneller und gründlicher als seine Vorgänger vor.

Der Wahlkampf wird mit Härte, aber ohne Inhalt geführt. Pontas USL braucht keine Veranstaltungen mit grosser Bühne. Ihr reicht, dass der Spitzenkandidat jeden Abend in einem der vielen privaten TV-Kanäle die Botschaft vom «starken Rumänien» verbreiten kann. Das Oppositionsbündnis ARD (Allianz für ein gerechtes Rumänien) fordert die Rückkehr Rumäniens «auf den rechten Weg», verzichtet aber ebenfalls auf Programm und Inszenierung.

Neutrale Informationen sind für die Rumänen nicht leicht zu bekommen. Viele Medien sind Teil der politischen Propaganda, weil ihre Eigentümer in der Politik mitmischen. So lässt der private Sender Antena 3 ernsthaft die Frage diskutieren, ob Basescu eine Diktatur nach nordkoreanischem Vorbild errichten wolle. Dazu werden abwechselnd Fotos des Staatspräsidenten und der koreanischen Diktatorenfamilie Kim eingeblendet. Der Eigentümer des Senders, Dan Voiculescu, wird «rumänischer Berlusconi» genannt und gilt als graue Eminenz der USL.

Dass die Regierung Ponta noch kein Budget für 2013 vorgestellt hat, ist in den Medien kein Thema. Die steigende Jugendarbeitslosigkeit und die Misere des Bildungssystems ebenso wenig. Europa kommt nur dann vor, wenn Kandidaten betonen, dass Entscheidungen in Bukarest und nicht in Brüssel fallen sollten.

Der Präsident als Sündenbock

Dominierendes Thema des Wahlkampfs ist ein Mann, der gar nicht kandidiert. Präsident Basescu tritt täglich vor die Presse und kommentiert die Schachzüge seines Gegners an der Regierungsspitze. Mehrmals deutet Basescu an, dass ihn niemand verpflichten könne, Ponta mit der Bildung der nächsten Regierung zu beauftragen. Die Verfassung gibt ihm recht. Lehnt das Parlament allerdings Basescus Vorschläge mehrmals ab, müssten die Wahlen wiederholt werden. Dann würde Ponta noch deutlicher gewinnen. Ausserdem drohen die Sozialdemokraten mit einem neuen Anlauf, den Präsidenten durch ein Referendum aus dem Amt zu drängen. Pontas erster Versuch scheiterte im Sommer zwar an zu geringer Wahlbeteiligung. Dennoch ist Basescu seither geschwächt. Im Wahlkampf bezeichnet Pontas USL Kandidaten der Opposition als Marionetten des Präsidenten: Jede Stimme für sie sei eine Stimme für Basescu.

«Sie machen den Präsidenten für alles Böse in diesem Land verantwortlich», klagt Senator Radu Alexandru. «So wie die Juden für Hitler ist Basescu für Ponta ein Sündenbock, dem man alles in die Schuhe schieben kann.» Alexandru ist Vizepräsident der Liberaldemokraten (PN-L), der grössten Partei im Oppositionsbündnis ARD. Er rechtfertigt die Sparmassnahmen der vorherigen Regierungen, weil sie Rumänien vor dem Schicksal Griechenlands oder Portugals bewahrt hätten. Auf Pontas Wahlgeschenke weiss die Opposition keine Antwort. Mit einer Zweidrittelmehrheit werde Ponta eine Diktatur des Parlaments errichten, prophezeit Alexandru, «und sie werden die Mitgliedschaft Rumäniens in der EU und der Nato infrage stellen». Doch die Warnungen wirken hilflos und kommen bei den Wählern nicht an.

Aus den Fenstern seiner Parteizentrale sieht Alexandru auf einen bizarren Palast mit zwei vergoldeten Löwen am Eingang und einem lebensgrossen Christus am Kreuz, ebenfalls in Gold. Ein blauer Teppich liegt auf der riesigen Freitreppe. Hier hält der rumänische EU-Abgeordnete George «Gigi» Becali Hof. Das Kind einfacher Bauern wurde mit Immobiliengeschäften reich, kaufte sich einen Fussballclub und gründete eine nationalistische Partei. Heute ist er Teil von Pontas Wahlbündnis und soll die Wähler am ganz rechten Rand abholen. Für die Sozialdemokraten ist ein Bündnis mit extrem rechten Populisten kein Problem.


Residenz des EU-Abgeordneten Gigi Becali in Bukarest. Foto: B. Odehnal

Ideologien spielen in der rumänischen Politik ohnehin kaum eine Rolle. Der Politologe Cristian Pirvulescu sieht die Parteien als Interessenvertretungen lokaler Clans (siehe Interview). Parteien wechseln die Lager, Politiker wechseln die Parteien. Die rumänische «Classe politique» verhält sich nicht viel anders als afghanische Warlords.

Fliegender Koalitionswechsel

Das Oppositionsbündnis ARD besteht neben den Liberaldemokraten aus einer von Basescu geschaffenen Abspaltung namens Zentrumskraft und einer Christlichsozialen Partei. Zum Regierungsblock USL gehört neben dem Immobilienspekulanten Becali und dem Medienmogul Voiculescu auch die Union für den Fortschritt Rumäniens (UNPR). Sie wurde vor zwei Jahren als Abspaltung der Sozialdemokraten gegründet, unterstützte Präsident Basescu und bekam dafür Ministerposten in der liberal-konservativen Regierung. Als diese im Mai 2012 scheiterte, kehrte die UNPR ins Lager der Sozialdemokraten zurück.

Basescu will die ständige Bereitschaft rumänischer Politiker zum fliegenden Koalitionswechsel nützen und nach den Wahlen das Regierungsbündnis mit unmoralischen Angeboten spalten. Basescu werde im ersten Anlauf sicher nicht Ponta mit der Regierungsbildung beauftragen, sagt Cristian Pirvulescu. Allerdings glaubt der Politologe, dass der Präsident den Machtkampf verlieren werde. Er vermutet, dass Basescu seine Amtszeit nicht mehr regulär beenden kann.