Gipfeltreffen mit Putins fünfter Kolonne

3. Juni 2014

In Wien berieten die Führer der russischen Eurasien-Bewegung mit westeuropäischen Rechtspopulisten, Aristokraten und Unternehmern über die Rettung Europas vor Liberalismus und Schwulenlobby.

Vergangenen Samstag in Wien: Rund um das Rathaus feierten Zehntausende den Life Ball, das grösste Benefizfest zugunsten HIV-Infizierter und Aidskranker in Europa. Auf der Bühne sang Conchita Wurst, davor tanzten Schwule und Lesben in burlesken Kostümen im «Garten der Lüste», so das diesjährige Motto des Balls. Zur selben Zeit aber berieten nur wenige Meter entfernt, im Stadtpalais des Fürsten Liechtenstein, Nationalisten und christliche Fundamentalisten aus Russland und dem Westen, wie sie Europa vor Liberalismus und der «satanischen» Schwulenlobby retten und wie sie die alte, gottgegebene Ordnung wiederherstellen könnten. Die Versammlung fand unter strengster Geheimhaltung hinter verschlossenen Türen und zugezogenen Gardinen statt. Sie wurde jedoch dem TA von zwei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt.

Offizielles Thema war der historische Wiener Kongress, der vor genau 200 Jahren mit Gründung der «Heiligen Allianz» dem Kontinent «ein Jahrhundert der relativen Ruhe und des geopolitischen Gleichgewichts» gebracht habe, wie es in der Einladung hiess. Tatsächlich wurde aber im prunkvollen Festsaal des Palais wenig über Geschichte und viel über die Zukunft gesprochen. Denn heute stünden Europäer und Christen vor historischen und geopolitischen Bedingungen, die es notwendig machten, «den Geist der Heiligen Allianz aufleben zu lassen».

Ein Gast aus der Schweiz

Gastgeber der Wiener Tagung waren der russische Oligarch Konstantin Malofeew und seine Stiftung Sankt Basilius der Grosse. Malofeew moderierte auch die Veranstaltung. Weitere Gäste aus Russland waren der Chefideologe der Eurasischen Bewegung, Alexander Dugin, sowie der bekannte nationalistische Maler Ilja Glasunow. Aus Frankreich kamen die Abgeordneten des Front National, Marion Maréchal-Le Pen (Enkelin des Parteigründers und Nichte von Marine Le Pen) sowie der Historiker Aymeric Chauprade. Aus Spanien reiste Prinz Sixtus Henri von Bourbon-Parma an, Anführer der katholisch-monarchistischen Carlisten-Bewegung, aus der Schweiz Serge de Pahlen, Direktor eines Genfer Finanzunternehmens und Ehemann der Fiat-Erbin Margherita Agnelli de Pahlen. Aus Österreich nahmen der Vorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, sein Stellvertreter Johann Gudenus und der Wiener FPÖ-Politiker Johann Herzog teil, aus Bulgarien der Vorsitzende und Gründer der rechtsextremen Partei Ataka, Wolen Siderow. Weiter anwesend waren Rechtsextremisten aus Kroatien, Adelige aus Georgien und Russland sowie ein katholischer Priester.

Presse und Öffentlichkeit wurden von dem Treffen nicht informiert, die Teilnehmer zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Ein privater Wachdienst kontrollierte die Eingänge des barocken Palais. Selbst die Teilnehmer durften nicht fotografieren. Als FPÖ-Chef ­Strache am Konferenztisch ein Handyfoto schoss, wurde er von Tagungsleiter ­Malofeew sofort abgemahnt.

Stargast der Versammlung war Alexander Dugin, 56-jähriger Publizist aus Moskau, Mitbegründer der Nationalbolschewistischen Partei und Chefideologe der Eurasischen Bewegung. Dugin propagiert ein europäisch-asiatisches Bündnis unter Führung Russlands. Seine Ideen waren bei der Rede des russischen Präsidenten Putin nach der Annexion der Krim ebenso bemerkbar wie bei der Gründung der Eurasischen Union von Russland, Weissrussland und Kasachstan Ende Mai. In einer TV-Ansprache im April schlug Dugin vor, Europa auf friedlichem Weg zu einem russischen Protektorat zu machen und es damit vor Homoehen, Pussy Riot und vor sich selbst zu schützen: «Wir müssen Europa erobern und anschliessen.» Fest stehe, so Dugin weiter, «dass uns eine prorussische fünfte Kolonne in Europa unterstützt. Das sind europäische Intellektuelle, die ihre Identität stärken wollen.»

Lob für den Statthalter Putins

Ob Dugin damals schon auf Teilnehmer des Wiener Treffen anspielte? Etwa den italienischen Historiker Roberto de Mattei, der Erdbeben und Tsunami in Japan zur Strafe Gottes und den Untergang des Römischen Reichs mit dessen Toleranz der Homosexualität erklärte? Oder den Bulgaren Siderow, dessen Partei sich als Bollwerk gegen den Vormarsch von Türken und Juden in Europa versteht? Die Führung der Freiheitlichen Partei Österreich konnte sich wohl kaum angesprochen gefühlt haben. Dennoch hat auch sie beste Kontakte nach Russland. Tagungsteilnehmer Johann Gudenus wurde 2012 von Putins Statthalter Ramsan Kadyrow in Grosny empfangen und meinte danach, dass niemand von Kadyrow verfolgt werde. Im März 2014 reiste Gudenus als Beobachter zum international nicht anerkannten Referendum auf die Krim. Auch dort sah er «keinen Druck oder Zwang». Fragen zum Treffen in Wien wollte Gudenus dem TA nicht beantworten: Das sei eine private Veranstaltung gewesen.

Der 39-jährige Gastgeber Konstantin Malofeew machte sein Vermögen mit dem Investmentfonds Marshall Capital. Er gründete auch einen Wohltätigkeitsfonds zur Unterstützung von Spitälern, Schulen und orthodoxer Kirche. Wichtig ist ihm dabei stets die Vermittlung traditionell russisch-christlicher Werte. In einem Porträt der «Financial Times» wird er als «moderner Rasputin» bezeichnet, der über einen befreundeten Mönch direkten Zugang zu Präsident Putin habe. Russische Medien verdächtigen Malofeew, dass er die prorussischen Separatisten in der Ostukraine finanziere. Die Anfrage des TA wurde von seinem Büro nicht beantwortet. In einem Interview mit der russischen Ausgabe von «Forbes» bestätigte Malofeew, dass der selbst ernannte Premier der «Volksrepublik Donezk», Alexander Borodai, sein ehemaliger Mitarbeiter sei: Er wünsche ihm für seine weitere Arbeit «viel Glück», denn was jetzt in der Ukraine passiere, «muss jeden Russen beunruhigen».

Weniger beunruhigt war Tagungsteilnehmer Ilja Glasunow. Bei der Nachricht von der russischen Annexion der Krim traten ihm vor Freude «Tränen in die Augen». In einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen zeigte der Maler vor einigen Wochen seine Monumentalwerke russischer Helden und Heiliger und verkündete, dass niemand das neue Russland in die Knie zwingen könne. Putins eiserner Wille sei ein Wunder: «Ich spüre tiefes Entzücken über seinen unerschütterlichen Glauben und seine Taten für die Einheit des russischen Volkes.»

Treffen in Moskau geplant

Auch andere Gäste im Festsaal des Stadtpalais Liechtenstein lobten Putin. Ein Redner sah in Russlands Präsidenten den «Erlöser» und die Reinkarnation Alexander des Ersten. Der Zar hatte die «Heilige Allianz» gegen Napoleon geschmiedet, auf dem Wiener Kongress allerdings auch gedrängt, das besiegte Frankreich wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. So war es für die Tagungsteilnehmer im Jahr 2014 auch kein Problem, Vertreter des Front National in ihrer Mitte zu begrüssen. Der 45-jährige Aymeric Chauprade, frisch gewählter EU-Abgeordneter und Historiker, ist ein Intellektueller nach dem Geschmack Dugins. Chauprade vertritt die Idee eines Europa der Nationen mit besonders starker Bindung zu Russland. Die 24-jährige Marion Maréchal-Le Pen hingegen mahnte die vielen älteren Herren in der Runde, die Jugend nicht zu vergessen. Auch ein «Marsch des Lebens» durch Europa wurde vorgeschlagen. Damit könnte – so die Idee – der Vatikan zur Unterstützung motiviert werden.

Die Tagung der Nationalisten endete mit klassischem Konzert und Galaempfang (Smokingpflicht für die Herren). Das nächste Treffen soll im Januar stattfinden, vermutlich in Moskau. Der Organisator schlug die Krim vor, doch das lehnten andere Teilnehmer ab. Im ­Winter sei die umstrittene Halbinsel zu feucht und ungemütlich.