Hassorgien im Internet

31. August 2013

Die grüne Wiener Stadträtin Maria Vassilakou polarisiert wie keine andere österreichische Politikerin. Mit Konsequenzen für das ganze Land.

User Robert P. empfiehlt der Wiener Stadträtin, sie solle sich doch auf die Strasse legen und vom nächsten Linienbus überfahren lassen. Leser D. möchte sie im Tiergarten einsperren, Leser K. sofort in ihr Geburtsland Griechenland deportieren. So geht das nun jeden Tag, auf Facebook und in den Leserforen der Tageszeitungen. Keine österreichische Politikerin zieht so viele Emotionen auf sich wie die einzige Grüne in der Wiener Stadtregierung, Maria Vassilakou.

Fünf Wochen vor den Parlamentswahlen in Österreich scheint es fast so, als würde der Wahlkampf mit Themen wie soziale Gerechtigkeit, Korruptionsbekämpfung oder Wirtschaftsförderung spurlos an den Wienern vorbeigehen. Was die Hauptstadt bewegt, ist die Ausweitung gebührenpflichtiger Parkplatzzonen (das sogenannte Parkpickerl) und die Schaffung einer neuen Fussgängerzone in der Mariahilfer Strasse. Als Stadträtin für Verkehr und Planung ist Vassilakou dafür verantwortlich und wird nun geprügelt: von der bürgerlichen und der rechtspopulistischen Opposition, von der Lobby der Kaufleute und Unternehmer, von den starken Autofahrerclubs, von den Boulevardmedien, von der Gewerkschaft und auch von Teilen des sozialdemokratischen Koalitionspartners.

Private Investoren bestimmten

Nicht einmal der rechtspopulistische Führer der FPÖ, Heinz-Christian Strache, hat derzeit eine so schlechte Presse und ist so heftigen Anfeindungen im Internet ausgesetzt. Es gibt Foren, in denen Vassilakou zum Rücktritt aufgefordert wird und Verschwörungstheorien über sie verbreitet werden. Die Opposition hat eine Sondersitzung des Stadtparlaments beantragt.

Boulevardzeitungen wie die Gratisblätter «Heute» und «Österreich» ziehen tagtäglich über das angeblich von Vassilakou verursachte Chaos in der Stadt vom Leder, in den Foren wird es richtig gehässig. Was hat die Grüne verbrochen, das die Wiener so in Rage versetzt? Sie macht eigentlich nur das, wofür sie gewählt wurde: Politik. Doch in Wien ist das nicht selbstverständlich. Bis zu den Gemeinderatswahlen 2010 hatte die SPÖ unter Bürgermeister Michael Häupl die absolute Mehrheit und überliess die Gestaltung der Stadt privaten Investoren und einer gut organisierten, sozialdemokratischen Beamtenschaft.

Verkauft wurde das unter dem Slogan, Wien sei die «am besten verwaltete Stadt der Welt». Nach der Wahlniederlage wagte Häupl die Koalition mit den Grünen, gegen Widerstand in der eigenen Partei. Viele konservative Sozialdemokraten, vor allem aus den grossen Arbeiterbezirken, hätten lieber eine Partnerschaft mit der pflegeleichten Volkspartei ÖVP gesehen.

Wahlversprechen abarbeiten

Mit dem Verkehrs- und Planungsdossier bekamen die Grünen ihr Lieblingsressort, das allerdings auch das grösste Konfliktpotenzial hat. Wien hat ein gut ausgebautes Tram- und U-Bahn-Netz, doch das Auto ist den Wienern noch immer heilig. Wird ein Parkplatz entfernt, eine Fahrspur für den Bau eines neuen Radwegs geopfert, empfinden sie das als persönlichen Angriff. Besonders aggressiv reagieren männliche Autofahrer mittleren Alters aus den unteren Schichten. Für sie liefert die 44-jährige Vassilakou ein geradezu ideales Feindbild: eine Ausländerin (sie stammt zwar aus Griechenland, lebt aber seit fast 30 Jahren in Wien und spricht akzentfrei Deutsch), eine Frau, eine Linke. Dass Vassilakou aus dem bürgerlichen Milieu kommt, spielt bei den Verschwörungstheorien keine Rolle.

Vassilakou arbeitet seit ihrem Amtsantritt konsequent ihre Wahlversprechen ab. Das überraschte nicht nur den Koalitionspartner. In den eigenen Reihen hat sie zwar breite Unterstützung, gilt aber auch dort als ziemlich beratungsresistent und stur. So trifft sie manchmal Entscheidungen, die auch bei den Grünen für Kopfschütteln sorgen. Allerdings halten ihr Anhänger zugute, dass in zwei Jahren rot-grüner Koalition in Wien nun zum ersten Mal der Veloverkehr wirklich gefördert wird.Bei den österreichischen Parlamentswahlen Ende September geht es nicht primär um Wiener Kommunalthemen. Aber das Klima in der Stadtpolitik könnte entscheidend für neue Koalitionen auf Bundesebene sein. Die Vorsitzende der Bundesgrünen, Eva Glawischnig, hat sich zum Wahlziel gesetzt, die Freiheitlichen zu überholen und als kleiner Koalitionspartner in die Regierung einzuziehen. Die Möglichkeit scheint da zu sein. Österreichweit haben die Grünen das Image der kiffenden Chaoten und realitätsfernen Bäumeküsser abgelegt. Mittlerweile sind sie in fünf Landesregierungen vertreten: in Oberösterreich (seit 2003), in Wien (seit 2010) und seit diesem Frühjahr in Tirol, Salzburg und Kärnten.Auf Bundesebene herrscht zwischen der Regierungspartei ÖVP und den Grünen jedoch eisige Stimmung. Die Grünen prangern die Justiz- und Fremdenpolitik der Bürgerlichen als zynisch und herzlos an, die ÖVP malt noch immer das Bild der Grünen als drogensüchtige Chaoten. In den Bundesländern hingegen funktionieren die Koalitionen zwischen ÖVP und Grünen viel besser als zwischen SPÖ und Grünen. Sowohl in Oberösterreich als auch in Salzburg und Tirol herrscht ein Klima des gegenseitigen Respekts. Auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist: Man fällt einander nicht in den Rücken.

Die Grünen als «Flohzirkus»

Ganz anders in Wien: Die SPÖ betrachtet die Koalition mit den Grünen nur als Betriebsunfall und versucht, den kleinen Partner zu zerquetschen. Vassilakou macht gute Miene zum bösen Spiel und versichert bei jeder Gelegenheit, wie gut ihr Verhältnis zu Bürgermeister Häupl sei. Die Angriffe im Boulevard und den Shitstorm in Internetforen versuchen die Grünen mit Sachargumenten zu kontern. Verschwörungstheorien wie jene, dass Vassilakou ihre Kinder mit dem Cabriolet zur Schule bringe (tatsächlich hat sie keine Kinder und fährt meistens mit der U-Bahn), werden ignoriert.

Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das rot-grüne Experiment in Wien auf der Kippe steht. Langzeit-Bürgermeister Häupl hat seine Partei immer weniger unter Kontrolle, die Anhänger einer Grossen Koalition in der Wiener SPÖ wagen sich aus der Deckung. Sie halten die Grünen für einen «Flohzirkus» und fordern offen einen Koalitionswechsel.

Besonders stark ist diese Fraktion im Aussenbezirk Liesing. Von dort kommt Bundeskanzler Werner Faymann, dort hat er immer noch seine Basis. Faymann ist erklärter Anhänger einer Grossen Koalition auf Bundesebene. Sollten ÖVP und SPÖ jedoch gemeinsam keine Mehrheit erhalten, müssten sie einen dritten Partner ins Boot holen.