Ihr könnt euch niemals sicher fühlen

20. Juli 2012

Die Enttarnung von Laszlo Csatary mag wenig zimperlich verlaufen sein. Doch was zählt, ist seine Verhaftung.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Kann es so viel Zufall geben? Ungarns Präsident Janos Ader besucht Israel und hält eine Rede vor der Knesset. Zur gleichen Zeit wird in Budapest einer der letzten noch lebenden mutmasslichen Nazikriegsverbrecher verhaftet: Laszlo Csatary soll für die Misshandlung und Deportation von mehr als 15 000 ungarischen Juden aus der Stadt Kassa (heute: Košice) 1944 verantwortlich sein. Nein, die Gleichzeitigkeit ist kein Zufall. Die ungarische Regierung suchte einen Notausgang in letzter Sekunde. Internationale und bilaterale Beziehungen standen auf dem Spiel.

Wahlerfolge der rechtsextremen Partei Jobbik und Antisemitismus in Ungarn beunruhigen Israel mehr noch als die EU. Ein Zeichen setzte das israelische Parlament im Juni mit der Ausladung des ungarischen Parlamentspräsidenten Laszlo Köver. Der hatte zuvor an einer Gedenkfeier für den antisemitischen Schriftsteller Jozsef Nyirö teilgenommen, einen Parteigänger der faschistischen Pfeilkreuzler. Die Bücher Nyirös wurden von der rechtsnationalistischen Fidesz-Regierung in den Lehrplan ungarischer Schulen aufgenommen.

Der Staat blieb untätig

Statt Köver fuhr nun Präsident Ader nach Israel, um den hundertsten Geburtstag von Raoul Wallenberg zu feiern, jenem schwedischen Diplomaten, der gemeinsam mit dem Schweizer Carl Lutz Zehntausende Budapester Juden vor der Vernichtung rettete. Doch am Tag vor der Feier kam die Enthüllung: Ein ehemaliger Kommandant der ungarischen Gendarmerie, die Hunderttausende Juden deportierte, kann heute unbehelligt in Budapest leben. Hätte die ungarische Justiz nicht reagiert, wäre es beim Staatsakt in Jerusalem zum Eklat gekommen.

Enttarnt wurde Laszlo Csatary nicht von der ungarischen Justiz, sondern von Reportern der britischen Boulevardzeitung «The Sun». Die entscheidenden Hinweise kamen vom Jerusalemer Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff.Zuroff hatte die ungarische Staatsanwaltschaft 2006 über Csatary informiert und ihr im September 2011 dessen Wohnadresse geliefert. Aber er sah keine Ermittlungen. Die Ungarn hätten gehofft, dass Csatary einfach verschwinden würde, sagte der Nazijäger in einem Interview. Aus Erfahrung mit Ungarn und Österreich wusste er, dass er sich der Massenmedien bedienen musste, um etwas zu erreichen. In beiden Ländern verteidigen rechte Politiker und Richter noch immer den Opfermythos: dass am Holocaust nur deutsche Nazis beteiligt gewesen seien.Zuroff wird von Kollegen als sehr seriöser Rechercheur beschrieben. In der Wahl der Mittel ist er aber nicht zimperlich. In Österreich schaltete er ein teures Inserat in der weit rechts stehenden «Kronen Zeitung» und konnte damit eine KZ-Aufseherin fassen. In Ungarn wählte er die «Sun» als Partnerin, obwohl deren Schlagzeilen weltweit oft für Empörung sorgen. Gern stellt das Blatt Kontinentaleuropa als Hort des Bösen dar. Vor der EM in Polen und der Ukraine brachte die «Sun» eine Reportage über ukrainische Neonazis und sagte furchtbare Strassenschlachten voraus.

Für Zuroff spielen die Motive der Zeitung keine Rolle. Was zählt, ist das Ergebnis. Aber schoss der Nazijäger dieses Mal über das Ziel hinaus? In der britischen BBC behaupten ungarische Historiker, Csatary sei als Ghetto-Kommandant nur ein kleines Rädchen gewesen. Er könne 2000 Namen von Männern nennen, die «für schlimmere Verbrechen verantwortlich waren», wird der Budapester Holocaust-Forscher Laszlo Karsai zitiert. Aber letztlich ist es gar nicht so wichtig, wie weit oben Csatary in der Hierarchie der Vernichtungsmaschinerie wirklich stand. Viel wichtiger sind die Signale, die Zuroff mit der Entlarvung des alten Mannes gesendet hat. Einerseits an die letzten noch lebenden Kriegsverbrecher: Ihr könnt euch niemals sicher fühlen. Anderseits an die Regierungen und Gerichte jener Länder, die es mit der Verfolgung der Verbrecher nicht so genau nehmen: Drückt euch nicht vor der Verantwortung. Denn das könnte unangenehm für euch werden.