Kein Zug für Eis und Schnee

27. Dezember 2010

Der österreichische Railjet erweist sich als nicht besonders winterfest.

Von Bernhard Odehnal, Wien

«Österreich machts besser», jubelte unlängst die Boulevardzeitung «Österreich» und meinte die Bewältigung des Schneechaos. Besonderes Lob bekamen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), deren neuer Chef Christian Kern in der Zeitung auch den Grund für die «sensationelle Pünktlichkeit» erklären darf: Die Vorbereitungen auf den Winter hätten bei den ÖBB voll gegriffen, «trotz der extremen Wetterbedingungen haben wir uns als Bahn gut geschlagen». Nun soll der Zeitung keineswegs unterstellt werden, ihre Jubelmeldung habe etwas mit dem ganzseitigen Inserat der ÖBB in derselben Ausgabe zu tun. Es ist nur so, dass viele Bahnreisende den Jubel schwer nachvollziehen können.

Und ihre Reiseberichte bestätigen nicht gerade das Lob des Bahnchefs auf die tolle Wintervorbereitung.

Da sprechen wir jetzt gar nicht über die Familie, die unlängst 13 Stunden lang von Venedig nach Wien bei minus 4 Grad im österreichischen Liegewagen fahren musste, dick eingehüllt in alle Kleider und Decken, die sie im Gepäck hatten. Die Heizung war schon bei der Abfahrt ausgefallen; niemand wollte sie reparieren. Pech halt.

Nein, sprechen wir lieber über die ganz normalen Winterpannen – über Züge, die auf offener Strecke liegen bleiben, über Fahrgäste, die in der Kälte ohne Information zurückbleiben. Sprechen wir also wieder einmal über den Railjet – den rot-grauen Superzug der ÖBB, der seit Fahrplanwechsel Mitte Dezember dreimal täglich zwischen Zürich und Wien verkehrt. Wenn er denn wirklich fährt.

Schon in der warmen Jahreszeit bekamen die ÖBB die technischen Probleme ihres Wunderzugs kaum in den Griff. Notbremsungen waren an der Tagesordnung, obwohl niemand die Notbremse gezogen hatte. Oder der Computer in der Lokomotive stürzte ab, und der Zug blieb stehen.

«Kinderkrankheiten», lautete die Erklärung von ÖBB und Herstellerfirma Siemens. Doch merkwürdigerweise werden diese Krankheiten auch im dritten Einsatzjahr desRailjet nicht weniger. Im Gegenteil: Im Oktober brach während der Fahrt eines Zugs durch Tirol die Kupplung zwischen zwei Wagen. Der geteilte Zug wurde zwar automatisch gebremst, dennoch hätte der Vorfall schlimm ausgehen können.

Und jetzt der Winter. Temperaturen unter null Grad. Schnee und Eis.Damit konnten die Hersteller des Railjet natürlich nicht rechnen. Als Erstes fielen die Toiletten aus. Fahrgäste berichteten, dass auf einer Fahrt in allen sieben Wagen einer Railjet-Garnitur, nur mehr ein einziges WC funktionierte. Alle anderen waren wegen «extremer Kälte» versperrt. Dann kamen die Türen. Um den Komfort zu erhöhen, haben sie ausfahrbare Trittbretter. Bloss: Wenn deren Mechanik durch Eis oder festen Schnee blockiert wird (was im Winter keine Seltenheit ist), können die Türen nicht geöffnet werden. Und so steckte unlängst ein Zug in Salzburg fest und niemand konnte aus- oder einsteigen. Ein anderer Zug blieb wenige Tage später in Sankt Pölten liegen – die Fahrgäste mussten ihn verlassen (wenigstens liessen sich dieses Mal die Türen öffnen). Den Grund für das «Gebrechen» erfuhren die Passagiere nicht.

Wer unter diesen Bedingungen mit der Bahn fuhr, wird sich wohl dem Urteil eines Journalisten des «Standards» anschliessen, der seine Kolumne mit der unmissverständlichen Aufforderung betitelte: «Fahr zur Hölle, Railjet!» Dabei meinte der Mann gar nicht die winterlichen Gebrechen des Zugs, sondern klagte über die unbequemen Sitze und das unwirtliche, kalte Bistro. Sein Fazit: Der Railjet sei ein «seelenloser Technokratenzug».

Ein einziger Trost bleibt ihm und den vielen Reisenden, die in den vergangenen Winterwochen mehr Stunden im Railjet verbrachten, als ihnen lieb war: Die ÖBB müssen sparen, Bahnchef Kern hat eben erst die Bestellung weiterer 16 Railjet-Garnituren abgesagt.