Koller entdeckt das österreichische Sieger-Gen

11. September 2012

Österreich fühlt sich stark genug, um heute Erzrivale Deutschland zu schlagen.

Bernhard Odehnal, Wien

Österreichs Captain Christian Fuchs hat ein «sehr gutes Gefühl», Mittelfeldspieler Veli Kavlak tippt auf einen 2:1-Sieg, und der ehemalige Nationalspieler Hans Krankl glaubt sogar an einen 3:2-Erfolg. Das Selbstbewusstsein der Österreicher vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland heute Abend in Wien (20.30 Uhr) kennt kaum Grenzen. Bestätigt werden sie durch deutsche Medien, die sich über die «Angst vor den Ösis» (so die «Bild») wundern und der österreichischen Mannschaft «echte Typen» zugestehen.

Ja, es gebe in seinem Team «drei bis vier Spieler mit dem Sieger-Gen», sagt auch Trainer Marcel Koller, «die können alle anderen mitreissen». Die Euphorie der Österreicher vor dem «Spiel des Jahres» kann der 51-jährige Zürcher freilich nicht teilen. Für ihn ist es ein Spiel der Nummer 49 gegen die Nummer 2 der Weltrangliste. Und Koller warnt vor allzu grossem Enthusiasmus, auch im (eher unwahrscheinlichen) Fall eines Sieges. In der Qualifikationsgruppe C sei Deutschland ganz klar Gruppenfavorit. Der Weg zum zweiten Platz und damit zum Ticket für die Endrunde in Brasilien 2014 - acht der neun Gruppenzweiten kommen in die Barrage - führe über Siege gegen Kasachstan, Irland, Schweden oder die Färöer.

Die Deutschen haben ihr erstes Spiel gegen die Mannschaft der kleinen Inselgruppe im Nordatlantik am Freitag absolviert und mit dem 3:0 zu Hause nicht gerade für Begeisterungsstürme gesorgt. Trainer Joachim Löw muss ohnehin schon seit der Niederlage gegen Italien im EM-Halbfinal Kritik einstecken. Die Enttäuschung sei danach enorm gewesen, sagt Löw am Montag in Wien, «es hat gedauert, bis das alle verarbeitet haben. Aber jetzt ist die Mannschaft wieder motiviert und leidenschaftlich.» Den Österreichern attestiert Löw enorme Entwicklung und «völlig zu Recht» viel Selbstbewusstsein. Der «Koller-Faktor» sei dafür eine von mehreren Erklärungen, sagt er, der den Schweizer aus dessen Trainerzeit bei deutschen Clubs kennt: Koller könne eine Mannschaft gut organisieren. Deshalb erwartet Löw heute «ein Spiel auf Augenhöhe».

Ein Match als Staatsaffäre

Koller nimmt das Lob gelassen auf. In den Stunden vor dem Spiel wirkt er völlig entspannt. «Ich muss ja nicht wie ein Hampelmann herumlaufen», antwortet er auf die Frage, ob er gar nicht nervös sei. «Ich finds super. Ich freue mich auf ein volles Stadion, das habe ich hier noch nie erlebt.» Alle Tickets für die 47 000 Plätze des Ernst-Happel-Stadions sind seit langem verkauft, Bundespräsident Heinz Fischer, viele Minister und die Landeshauptleute haben ihren Besuch angekündigt. Spiele gegen Deutschland sind immer eine Staatsaffäre.

Überraschungen wird es für die Österreicher kaum geben. Zum ersten Mal dürften ausschliesslich Legionäre das Spiel beginnen. Sollten die Spekulationen heimischer Medien stimmen, werden acht Feldspieler und der Goalie im österreichischen Team aus der deutschen Bundesliga kommen. Mit dem Stürmer Marko Arnautovic, dem Mittelfeldspieler Zlatko Junuzovic und dem Verteidiger Sebastian Prödl stehen drei Teamkollegen von Werder Bremen auf dem Feld. Auch wenn im deutschen Team die meisten Spieler vom FC Bayern und aus Dortmund kommen - man kennt einander doch und weiss von den Stärken und Schwächen des Gegners.

Im Gegensatz zu den Deutschen hatten die Österreicher eine besonders lange und intensive Vorbereitungszeit. Koller hat sie genutzt, um jedem einzelnen Spieler seine Stärken bewusst zu machen. Kritik an Schwächen sei nur selten gefallen, wird nach dem Training erzählt. Die Arbeit mit den Spielern mache Spass, bestätigt Koller, nicht nur auf dem Platz, auch im Hotel oder in der Freizeit, «da ist echter Teamgeist da». Gefürchtet ist bei den Österreichern vor allem das deutsche Mittelfeldzentrum mit Mesut Özil und Sami Khedira von Real Madrid. Doch eine Manndeckung lehnt Koller ab, «das ist nicht mein Stil». Stattdessen heisst es heute Abend: «Alle gegen Özil.»