Korrespondent ausser Kontrolle

8. November 2013

Ein ungarischer Journalist beschimpft seine ausländischen Kollegen.

Warnung! Dieser Artikel enthält derbe Ausdrücke und Schimpfwörter. Er ist für Jugendliche unter 14 Jahre nicht geeignet.

Leider lassen sich diese Ausdrücke nicht vermeiden, denn der Brief, den diese Zeilen behandeln, besteht im Wesentlichen aus Flüchen. Bereits die Anrede lässt ein gewisses Mass an Höflichkeit vermissen: «Hört zu, ihr Arschgesichter!» Gemeint sind alle ausländischen Korrespondenten, die aus und über Ungarn berichten, «mit ein paar ehrenwerten Ausnahmen». Autor des Briefs ist István Lovas, der aus Brüssel für die ungarische regierungsnahe Zeitung «Magyar Nemzet» schreibt und vor einigen Tagen den unbändigen Drang spürte, seine Kollegen auf das Gröbste zu beschimpfen.

Immerhin kann er sich im Brief, den er per Mail an den Verband der Auslandspresse in Budapest schickte, zur Selbsterkenntnis durchringen: «Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so grob.» Dann legt er alle Hemmungen ab, denn «ihr verdammten Scheissköpfe verdient es ja nicht anders». Was hat den Mann so empört? Es sind so ziemlich alle Berichte, die über Ungarn erscheinen, mit Ausnahme jener der britischen BBC, denn deren Korrespondent sei anständig. Alle anderen aber: Arschlöcher, die ständig über Antisemitismus und Rechtsextremisten schreiben, niemals über «Themen, die wirklich wichtig sind». Deshalb sollten die Kollegen doch «Scheisse essen».

Zuerst herrschte unter den Adressaten starker Zweifel, ob die Mail echt sei. Aber Lovas war so freundlich, seine Mail-Adresse und eine Telefonnummer anzugeben. Er beantwortete die telefonische Anfrage freundlich und eindeutig: Ja, das habe er geschrieben. Gibt es ein Problem?

Aber woher denn! Jeder Korrespondent, der jemals kritisch über die ungarische Regierung unter Viktor Orbán berichtete, erhielt schon wüste Beschimpfungen, per Mail oder am Telefon. Allerdings kamen die von Privatpersonen. Eine solche Tirade vom Vertreter einer regierungsnahen Zeitung ist neu. Die Korrespondenten beschlossen dennoch, die Hass-Mail zu ignorieren. Protest würde Lovas nur das bringen, was er sich offenbar wünschte: Aufmerksamkeit.

Dann fand der Brief aber doch seinen Weg in die ungarischen Medien. Zuerst in ein regierungskritisches Internetportal, von dort in die Tageszeitungen. Und jetzt gibt das von der Regierungspartei Fidesz gegründete neokonservative Wochenmagazin «Heti Valasz» dem schimpfenden Korrespondenten Lovas mehrere Seiten, damit er in einem Interview seine Sicht der Dinge darlegen kann. Auch auf dem Cover ist sein Gesicht zu sehen, mit dem Titel: «Hau ab, Auslandspresse!» (Die Ungarn verwenden für diese unfreundliche Aufforderung ein deutsches Lehnwort: Abcúg!)

Im Interview gibt Lovas zu, dass er seinen Hassbrief nicht mehr ganz nüchtern, sondern «nach einer guten Flasche Wein und zwei Gläschen Schnaps zum Abendessen» in drei Minuten verfasst habe. War das klug? Zu bereuen gebe es nichts, sagt Lovas, denn «wenn Korrespondenten 23 Jahre lang Lügen schreiben, kann ich wohl auch einmal meine Meinung sagen». Neben das Interview stellt die Zeitung eine Analyse, in der Lovas’ Meinung im Wesentlichen bestätigt wird, wenn auch nicht so derb: Ungarn stehe im Ausland auf einer schwarzen Liste, die ausländischen Journalisten dürften deshalb ungestraft Falschmeldungen und Lügen verbreiten.

István Lovas hat jedenfalls genug vom Ausland. Er würde sich freuen, wenn ihn die Chefredaktion nach Hause rufe, sagt er im Interview. Gut möglich, dass der Wunsch bald erfüllt wird. Gut möglich, dass er zu Hause einen Orden bekommt. Die Regierungspartei war schon in ähnlichen Fällen recht grosszügig. Fürs Erste bekommt Lovas jetzt einmal etwas Ruhm: Sein Gesicht und sein Fluch über die Auslandspresse hängen an jedem Budapester Kiosk. Zumindest eine Woche lang. Dafür brauchte Lovas nicht mehr als eine Flasche Wein, zwei Schnäpse und drei Minuten am Computer.