Letzte Grenzen der Reisefreiheit

18. April 2013

Österreichs Taxiunternehmer verlangen von der Schweiz Rechte, die sie im eigenen Land nicht bekommen.

Nein, Bundesrätin Doris Leuthard wird vermutlich kein Taxi nehmen müssen, wenn sie heute vom Wiener Flughafen zum Amtsbüro ihrer österreichischen Ressortkollegin Doris Bures fährt. Der Streit um Taxis wird jedoch ein wichtiger Punkt ihrer Gespräche in Wien sein. Und ein ungewöhnlicher dazu: Ein Konflikt zwischen der Schweiz und Österreich ist im Verkehrsressort eine Seltenheit. Aber Kompromissbereitschaft gehört halt diesund jenseits des Rheins nicht zu den primären Eigenschaften von Taxiunternehmern. Die Fronten sind dermassen verhärtet, dass auch die Politik sich schwertun wird, eine Lösung zu finden.

Es geht um den Flughafen Zürich. Dorthin haben Taxis aus Süddeutschland und Westösterreich (fast ausschliesslich aus Vorarlberg) während Jahrzehnten Fahrgäste gebracht und von dort Fahrgäste abgeholt. Bis die Schweizer Taxilenker, die über die ausländische Konkurrenz gar nicht glücklich waren, einen Vertrag aus den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts ausgruben, der genau das verbietet: Ausländische Taxis dürfen Gäste zwar nach Kloten bringen, aber von dort keine in ihre Heimat mitnehmen.

Seit drei Jahren tobt nun der Streit, Anwälte und Gerichte sind damit beschäftigt, selbst die EUKommission wurde eingeschaltet. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht, vor allem seit der Bezirksrat Bülach im Februar 2013 das Verbot der Fahrgastaufnahme für ausländische Taxis bestätigte.

Erbost sind die Österreicher auch, weil sie sich als unschuldiges Opfer eines deutsch-schweizerischen Streits sehen, in dem das Taxiverbot eigentlich nur Revanche für das Überflugverbot ist. Wobei: Eigentlich setzen die Schweizer nur um, was in Österreich nicht nur üblich, sondern in der Verfassung verankert ist. Denn auch wenn sich Europa aufmacht, seine Grenzen abzuschaffen: Für das österreichische Taxigewerbe bleiben sie bestehen. Zwischen allen neun österreichischen Bundesländern. Und sie sind unüberwindbar. Reisefreiheit im vereinten Europa? Fehlanzeige. Ein Wiener Taxi darf seine Fahrgäste nach Niederösterreich bringen. Aber es darf in Niederösterreich keine Fahrgäste aufnehmen. Gleiches gilt für Tiroler Taxis in Salzburg. Und umgekehrt.

Das ist keineswegs bloss totes Recht, sondern wird streng kontrolliert. Wehe, ein niederösterreichischer Taxifahrer beobachtet einen Wiener Kollegen, der einen Fahrgast einsteigen lässt. Sofort wird das Kapitalverbrechen zur Anzeige gebracht. Niederösterreich – das ist für Wiener Taxis Feindesland. Da fahre er ja noch lieber mit einem serbischen Kennzeichen nach Kosovo, meinte einmal ein Wiener Lenker. Leidtragende sind (natürlich wieder) die Kunden: Fahren sie mit dem Taxi über eine Bundesländergrenze, müssen sie gleich auch die Rückfahrt bis zu dieser Grenze bezahlen.

Womit wir beim Vienna International Airport wären: Der heisst zwar so, liegt allerdings 20 Kilometer vom Zentrum Wiens entfernt, in der niederösterreichischen Gemeinde Schwechat. Wer mit dem Taxi in die Hauptstadt will (20 Minuten Fahrzeit), muss eines der beigen Schwechater Taxis nehmen, die ihr Monopol leidlich ausnutzen und 5 bis 10 Euro mehr verlangen als ihre Wiener Kollegen bei der Fahrt zum Flughafen. Alle Versuche, diese absurden und für Fahrgäste unerquicklichen Verhältnisse zu ändern, scheiterten vor Gericht. Die regional begrenzten Konzessionen wurden von den Verfassungsrichtern bestätigt.

Sollte Doris Leuthard also heute aus irgendeinem Grund vergeblich auf den Abholservice des österreichischen Verkehrsministeriums warten, dann kann sie nicht einfach ein Wiener Taxi rufen. Der Fahrer dürfte sie nicht mitnehmen. Sie könnte ein Schwechater Taxi nehmen, aber das würde dem Grundprinzip der Sparsamkeit widersprechen. Günstig und doch schnell käme die Bundesrätin mit der S-Bahn in die Stadt. Das Ticket kostet gerade mal 4.50 Franken – und die Bahn bringt sie fast vor die Tür des Ministeriums in Wien.