Liebe aus Verzweiflung

5. September 2013

Die rechtspopulistische FPÖ geht im Wahlkampf auf Kuschelkurs.

«Love is all you need»: Nach dem Motto der Beatles will Österreichs führender Rechtspopulist die Wahlen gewinnen. Mit dem Kreuz in der Hand ist HeinzChristian Strache, Vorsitzender der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), schon öfter aufgetreten. Jetzt aber hat es ihm die Bibel angetan. «Liebe deine Nächsten», fordert ein grinsender Strache auf Plakaten. Mit dem Nachsatz: «Für mich sind das die Österreicher.» Bis zu den Parlamentswahlen am 29. September wird Strache auf der «Nächstenliebe-Tour 2013» durchs Land fahren.

Jeder Auftritt wird von einem abgehalfterten Schlagersänger namens Werner Otti begleitet (Strache nennt ihn den «österreichischen Joe Cocker»). Von schmachtenden E-Gitarren und Synthesizerklängen begleitet, röhrt er die neue Parteihymne ins Mikrofon: «Liebe ist der Weg, Gerechtigkeit sein Ziel / Respekt und Wahrheit bedeuten ihm sehr viel. / Sein Herz schlägt rot-weissrot, oh tut das gut / in dieser schweren Zeit macht er uns Mut.» Mit «er» ist natürlich «Ha Ce» Strache gemeint. Früher wurde bei seinen Auftritten gerappt. Jetzt wird geschmachtet.

20 Jahre lang hetzten Österreichs Rechtspopulisten gegen Ausländer und Muslime, Asylbewerber und Gastarbeiter. Tabus wurden gebrochen, rote Linien des Anstands überschritten. Hauptsache, die Partei und ihre Parolen waren Thema Nummer eins. In den Medien und beim politischen Gegner, den «linken Gutmenschen». Jörg Haider beherrschte die Kunst der Provokation perfekt und schrammte dabei die Grenze zum Strafrecht entlang. Seine politischen Erben sind weniger geschickt: Die Grazer FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter wurde wegen Verhetzung verurteilt, die niederösterreichische Parteichefin Barbara Rosenkranz in den Präsidentschaftswahlen abgestraft, weil sie ein ambivalentes Verhältnis zum Naziregime zeigte.

Die Überraschung ist geglückt

Die Hetze gegen angeblich kriminelle Asylbewerber, gegen Sozialschmarotzer und die Geld fressende EU ist geblieben. Aber schaumgebremst. Sie versteckt sich jetzt hinter dem Bibelzitat der Nächstenliebe. Strache ist nicht mehr ein Rächer der Verlierer, sondern Moses, der sein Volk ins Gelobte Land führt. Er ist «ein Teil von uns, er kann uns verstehen», trällert der Barde Werner Otti: «Gemeinsam werden wir in eine bessere Zukunft gehen.»

Werden die Wähler ihren «Ha Ce» aber hören, wenn er wie Elvis bittet «Love me tender»? Kann das gut gehen, wenn rabiate Rechtspopulisten plötzlich Liebe predigen? Kurzfristig schon. Die FPÖ hat es wieder geschafft: Ihre Kampagne steht im Mittelpunkt. «Ein Plakat, über das nicht diskutiert wird, ist kein gutes Plakat», stellt FPÖ-Wahlkampfleiter Herbert Kickl im «Standard» fest. Hätten die Freiheitlichen wieder die Botschaft «Ausländer raus» in Reimform verbreitet, wären sie kaum aufgefallen. Selbst die grösste Provokation nutzt sich ab.

Lässt sich die mediale Aufmerksamkeit in Stimmen ummünzen? Das ist keineswegs sicher. Die FPÖ wurde seit Haiders Aufstieg nicht wegen ihres Programms gewählt, sondern wegen ihres Unterhaltungswerts. Und ihres Erfolgs. Wer für Haider stimmte, konnte sich als Sieger fühlen. Er konnte es den «Gutmenschen» und «den Bonzen da oben» einmal richtig zeigen. Das war ein gutes Gefühl. Strache vermag dieses Gefühl nicht zu erzeugen. Er kann keine neuen Feindbilder schaffen, kann die Dosis der Provokation nicht immer weiter steigern. Wie viele Wähler werden ihm jetzt bei der Entziehungskur folgen?

Konkurrenz mit Geld

Die Kursänderung zum seriösen Staatsmann will Strache nicht so richtig gelingen. Dass er in Anzug und Krawatte die Nächstenliebe predigt, finden seine Anhänger langweilig. «Unterm Haider war’s lustiger», murmelte beim Wahlkampfauftakt mancher Zuhörer.

«Er will für uns alle das Beste, wir brauchen seine ganze Kraft», singt Werner Otti über den Parteiführer. Seine Kraft braucht Strache aber eher für sich. Er ist auf dem rechtspopulistischen Feld erstmals nicht allein. Der Milliardär Frank Stronach zieht mit provokanten Fernsehauftritten mehr Aufmerksamkeit auf sich, er hat mehr Erfolg und mehr Geld, mit der er sich Liebe kauft. Strache muss predigen, Stronach kann einfach bezahlen. Nicht nur die Wähler, auch die kleinen Funktionäre drohen der FPÖ davonzulaufen. Vielleicht muss die FPÖ bald mit Joy Division singen: «Love will tear us apart again.»