Millionen für Shoppingmalls und politisches Lobbying

29. Mai 2016

Aus «geistigem Eigentum» in der Schweiz will die Schaffhauser Stiftung Rising Tide 200 Millionen Dollar Gewinn gemacht haben. Das Geld landete auf den Cayman-Inseln.

«1,5 Millionen Dollar für Krebsforscher aus der Schweiz und Spanien!». So jubelte vergangenen Herbst die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung. Das Preisgeld für die ausgezeichneten Projekte kam von der Schaffhausener Stiftung «Rising Tide Foundation for Clinical Cancer Research». Ihre Schwesterstiftung Rising Tide ist ebenso philanthropisch tätig, als Partner der Schweizer Start-up-Förderung «Venture kick». Recherchen der «SonntagsZeitung» zeigen jedoch, dass diese menschenfreundlichen Aktivitäten möglicherweise Tarnung für Offshore-Geschäfte sind. Im Herbst 2014 schrieb die «SoZ» erstmals über Rising Tide als Finanzier des konservativsten Flügels der US-Republikaner. Interne Mails bewiesen, dass fast 3 Millionen Dollar über die Schweizer Stiftung an die Lobbyinggruppe «FreedomWorks» flossen, einem bedeutenden Sponsor der Tea Party. Das Geld kam von der gewinnorientierten Spitalskette «Cancer Treatment Centers of America» CTCA. Dessen Gründer, Richard J. Stephenson, bezeichnet sich als Philanthrop und fördert die Tea Party. Sein Sohn Shawn Stephenson ist Präsident der zwei Rising Tide Stiftungen und Vorsitzender der Rising Tide GmbH in Schaffhausen.

Gewinn steigt um über 130 Millionen

Neue Dokumente zeigen Verbindungen zu Offshore-Gesellschaften und weitaus grössere Geldflüsse: Ab 2006 gab es in Schaffhausen nicht nur eine GmbH namens Rising Tide, sondern auch die Schweizer Niederlassung einer ungarischen Gesellschaft gleichen Namens. Rising Tide in Budapest machte innert vier Jahren einen beachtlichen Gewinn von 200 Millionen Dollar. Im Jahr nach der Gründung waren es 12,2 Millionen, 2010 stieg der Gewinn auf 136,3 Millionen. Woher der plötzliche Reichtum? Die ungarische Bilanz gibt als einzige Quelle «geistiges Eigentum der Schweizer Niederlassung» an. Was damit gemeint ist? Die «SoZ» schickte Präsident Shawn Stephenson eine lange Liste mit Fragen und bat um ein Interview. Eine Antwort kam nicht. 

Eine interne Vereinbarung gibt einen Hinweis: Das Papier listet 70 Domain-Namen auf, die im Besitz von Rising Tide Budapest und der Schaffhausener Zweigstelle. Viele Domains sind inaktiv, andere führen zu Tochtergesellschaften von CTCA. Domainnamen wie www.demandacure.com wären bei kommerziellen Anbietern für Jahresgebühren von 30 bis 40 Franken zu kaufen. Hat Rising Tide stattdessen CTCA oder einer amerikanischen Tochterfirma Millionen Dollar verrechnet? Die Spitalskette könnte die Ausgaben abschreiben und sehr viel Steuer sparen. Zwar dürfen Unternehmen für geistiges Eigentum nicht einen beliebig hohen Wert angeben, sagt der Leiter des amerikanischen Instituts für Steuer- und Wirtschaftspolitik, Matt Gardner: «Allerdings haben die Steuerbehörde kaum Kapazitäten, Betrug nachzuweisen». Rising Tide ist heute noch Eigentümer und Manager der Homepage von CTCA. Warum braucht ein amerikanischer Spitalsbetreiber eine Schweizer Stifung für seinen Internet-Auftritt? Wieder ist die Antwort: Schweigen. 

Schweigen am Telefon, keine schriftliche Antwort

Mehr Auskunft geben die ungarischen Bilanzen über den weiteren Weg der 200 Millionen Dollar: Der gesamte Gewinn aus dem geistigen Eigentum in der Schweiz wanderte über Budapest zum einzigen Aktionär von Rising Tide Ungarn: «Rising Tide Ltd.» auf den Caymaninseln. Möglicherweise verschwanden auf diese Weise noch mehr Millionen: Es gab eine weitere Konstruktion mit ungarischer Firma und Zweigniederlassung in Schaffhausen, allerdings mit anderem Namen. 

In den Jahren 2010 und 2011 wurden diese Firmen-Netzwerke aufgelöst. Rising Tide Budapest wurde liquidiert, Rising Tide Cayman Islands in Global Philanthropic Holdings umbenannt. Rising Tide GmbH Schaffhausen wurde erst umbenannt, dann liquidiert. Und dann neu gegründet: Eine Gesellschaft und zwei Stiftungen. Offenbar war es den Besitzern der Gesellschaften wichtig, ihre menschenfreundlichen Aktivitäten zu verschleiern.

Stifter von Rising Tide ist der bei Zürich lebende emeritierte Jus-Professor und Experte für Schuldrecht, Hermann Schulin. Am Telefon sagt Schulin knapp, er wolle Gutes tun, aber nicht darüber reden. Warum nicht? «Auch das möchte ich nicht erklären.» Schulin bietet an, weitere Fragen zu beantworten, sollten sie per Brief geschickt werden. Die SoZ schickte den Brief Ende März. Eine Antwort kam nie. 

«Du bist der romantischte Mann, den ich mir vorstellen kann»

Von den Caymaninseln floss ein Teil des Vermögens vermutlich abermals in Lobbyingorganisationen des Neoliberalismus. Wie etwa dem «Hayek-Institut» und dem «Austrian Economics Center» in Wien. Beide Vereine wollen die Lehren des neoliberalen Ökonomen Friedrich Hayek verbreiten, unter anderem mit einer alljährlichen «Free Market Road Show». Präsidentin Barbara Kolm berät die rechtspopulistische FPÖ in Wirtschaftsfragen und forderte die Gründung «einer Tea Party in Europa». Finanziell unterstützt wird die Road Show unter anderem vom «Global Philantropic Trust» auf den Caymaninseln. Informationen über diesen Sponsor gibt es von Kolm nicht. Die Anfrage der SoZ bleibt unbeantwortet. Auffallend ist, dass der Trust und jene Holding, die früher Rising Tide hiess, auf den Caymaninseln an derselben Adresse sitzen.

Auffallend sind auch personellen Verzahnungen. In den Vorständen der neoliberalen Thinktanks in Wien sitzt das amerikanische Ehepaar Matt und Terry Kibbe. Sie waren lange Zeit publizistische Speerspitze der Tea Party. Matt Kibbe leitete die von Rising Tide mitfinanzierte Lobbyingruppe FreedomWorks, Terry Kibbe sass im Beirat der Schweizer Stiftung und des Global Philantropic Trust. Mit dem Durchmarsch von Donald Trump wurden die beiden politisch ins Abseits gedrängt. Sie gründeten eine libertäre Grassroots-Gruppe namens «Free the people». In Internet stellten sie ein Video, in dem Matt seiner Frau zum Valentinstag statt Blumen eine Pistole schenkt. «Das ist genial», schwärmt Terry Kibbe, «du bist der romantischte Mann, den ich mir vorstellen kann.»

Millionen flossen auf die Caymaninseln

Der Name «Rising Tide» taucht auch in Südamerika auf. Vergangenes Jahr berichteten Lokalzeitungen der brasilianischen Stadt Marabá über einen Rechtsstreit, der den Bau einer riesigen Shoppinmall verhindere. Investitionsvolumen: 15 Millionen Dollar. Als Vertreter der Investoren wird «Shawn Stephenson, CEO der Rising Tide Stiftung» zitiert. Stephenson ist unglücklich, dass der Bau nicht vorankommt und warnt «die ganze Welt» vor wirtschaftlichen Risken in Brasilien. In Brasilien tritt Stephenson als Berater der Investorenfirmen Stellar Insurance und Whithall Investments auf. Beide sind mit Global Philanthropic, vormals Rising Tide Cayman Islands, verbunden. Der Bau der Shopping-Mall wurde 2010 beschlossen - in jenem Jahr als 136 Millionen Dollar aus der Schweiz über Ungarn auf die Caymaninseln flossen.