Mit «Swissness» in die Falle gelockt

20. Oktober 2018

Sicherheit und Seriosität versprachen zwei Schweizer Investmentfirmen ihren internationalen Kunden. Nun sind bis zu 500 Millionen Franken verschwunden.

Es war die Zeit vor Donald Trump: Robin Cooper, pensionierter Pilot und Farmer in Oklahoma, sah die USA auf dem Weg in die Planwirtschaft und wollte seine Ersparnisse in Sicherheit bringen. Er fand eine Firma, die «Swiss security» versprach, und investierte 2015 einen sechsstelligen Betrag. Drei Jahre danach ist das Vermögen verschwunden. Der 76-jährige Cooper hat noch seine Farm, aber «grössere Ausgaben oder Reisen liegen nicht mehr drin».

Auch Dimitri Pronjuschkin, ein 47-jähriger Insolvenzverwalter in Moskau, suchte nach einer stabilen Anlage. Er fand die Moskauer Niederlassung einer Schweizer Vermögensverwaltung. Der Bezug zur Schweiz war ihm wichtig, «weil der Finanzmarkt dort angeblich viel strenger reguliert wird». Von dieser Illusion musste sich der Russe verabschieden. Ebenso von seinem Geld. Dafür ist er nun um die Erkenntnis reicher, «dass in der Schweiz Gauner genauso unbehelligt arbeiten können wie in Russland».

Pronjuschkin und Cooper kennen einander nicht. Sie haben ihr Geld nicht über dieselbe Firma angelegt. Was die beiden miteinander und mit Hunderten anderen Investoren verbindet, ist das Vertrauen in Schweizer Werte. Für sie stand «Switzerland» für Sicherheit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit. Bei einer Firma mit Sitz in der Schweiz könne nichts schiefgehen, dachten sie. Das war ein Irrtum.

Passive Behörden

Der Russe Pronjuschkin vertraute seine Investments einer Zürcher Firma namens GL Asset Management an, der Amerikaner Cooper kaufte angeblich wert­sichere Edelmetalle bei der Schweizerischen Metallhandels AG (SMH). Beide Firmen werden nun von Investoren und deren Anwälten verdächtigt, ein Schneeballsystem aufgebaut zu haben. Der Schaden soll bis zu 500 Millionen Franken betragen. Gegen beide Firmen wurden Anzeigen in der Schweiz erstattet, die Behörden verhalten sich jedoch passiv. Für die Firmen und ihre Verantwortlichen gilt die Unschuldsvermutung.

Mitarbeiter der Firmen aus der Schweiz und Deutschland sprachen mit dieser Zeitung unter der Bedingung, dass ihre Namen nicht genannt werden. Sie sehen sich ebenfalls als Opfer und behaupten, dass auch sie grössere Geldbeträge investiert und verloren hätten.

Beide Firmen warben um internationale Kunden aus dem oberen Mittelstand, die sich durch die politische Lage verunsichert fühlten. Amerikanische Rentner wie Robin Cooper wollten ihre dritte Säule in Sicherheit bringen. Die Schweizerische Metallhandels AG lockte mit seltenen Metallen: Indium, Gallium oder Tantal würden von der Industrie dringend gebraucht und könnten jederzeit mit Gewinn verkauft werden.

«Willkommen in der Welt der sicheren Werte», heisst es in einer Produktbroschüre von SMH, die dieser Zeitung vorliegt. Daneben prangt das Schweizer Kreuz. «Ich nahm an, dass der Schweizer Staat an der Firma beteiligt war», erinnert sich Robin Cooper. Als Aufbewahrungsort wurde ein Ort präsentiert, so sicher «wie ein Hochsicherheitsgefängnis» – das Zürcher Frei­lager Embraport.

Der kalifornische Anwalt Michael Polin weiss von 680 SMH-Kunden in den USA, die insgesamt 50 Millionen Franken investierten. Sechs sprachen mit dieser Zeitung, alle sagten, dass die Schweiz im Firmennamen und die Lagerung der Metalle in Schweizer Tresors für ihre Wahl entscheidend gewesen seien.

Die Ernüchterung kam, als sie das Metall wieder in Geld umwandeln wollten. Erstens gab es für kleine Mengen gar keinen Markt, zweitens waren die Metalle in den Schweizer Tresors zum Teil gar nicht vorhanden, oder sie stellten sich als minderwertig heraus. Hätte die Zürcher Freilager AG als Betreiberin von Embraport die Angaben der Firma überprüfen müssen? Für die Überprüfung der Mieter im Zollfreilager sei die Zollverwaltung zuständig, antwortet das Zürcher Freilager: Bei Inlandlagerflächen gebe es keine Pflicht zur Verantwortung für eingelagerte Waren. Die Zollverwaltung beruft sich auf das Amtsgeheimnis.

Zu spät fanden die Investoren heraus, dass sie Verträge nicht mit der Schweizerischen Metallhandels AG in Zürich, sondern mit einer fast gleichnamigen Firma in Panama abgeschlossen hatten. Diese Schweizerische Metallhandel Panama ist mittlerweile bankrott.

Die Schweizer Firma besteht noch, sie betreibe jedoch seit fünf Jahren «reines Lagergeschäft», schreibt Geschäftsführer Guido Rossmann: Gesellschaftsrecht­liche Verbindungen zwischen SMH Panama und SMH Schweiz gebe es nicht. US-Anwalt Polin entgegnet, dass Dokumente wie Banküberweisungen oder Metallzertifikate die Verbindung der beiden Firmen beweisen würden. Er kündigt Gerichtsverfahren in Panama, der Schweiz und anderen Ländern an.

Überweisung nach Zypern

Auch die Zürcher Firma GL Asset Management bewarb ihre Tätigkeit mit Verweis auf Schweizer Qualität. Kunden suchte man vor allem unter vermögenden Russen und Ausländern wie James K. Der Amerikaner arbeitete für einen grossen Schweizer Konzern in Moskau. Heute lebt er in der Schweiz. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung sehen, denn seine Familie weiss bis heute nicht, dass sein Investment verschwunden ist.

Für K. sah alles sehr seriös aus: die Niederlassung von GL in Moskau, die umtriebigen Mitarbeiter, die Konferenzgespräche mit der Zürcher Zentrale. Kam es ihm nicht verdächtig vor, dass er sein Geld nach Zypern und Litauen überweisen musste? «Mir wurde versichert, dass ich das Geschäft mit einer Schweizer Gesellschaft abschliesse», antwortet der Amerikaner.

Die Finma schweigt

K. vertraute dem charismatischen Gründer und Namens­geber von GL, dem russisch-­estnischen Unternehmer German Lillevälli. Der passionierte Schachspieler versprach hohe Renditen durch radikal neue Investmentmethoden, gestützt auf künstliche Intelligenz und komplexe Algorithmen. Seit April ist Lillevälli verschwunden und mit ihm bis zu 500 Millionen Franken seiner Investoren. Das schätzen Geschädigte, die von der Zahl der Mitarbeiter auf die Zahl der Kunden hochrechneten.

Lillevällis Firma GL Asset Management ist mittlerweile bankrott, das Büro in Zürich geschlossen. «Meine Mandanten sind sehr enttäuscht, dass die Schweizer Behörden nichts unternehmen», sagt der Anwalt Paul Peyrot, der russische und Schweizer Investoren vertritt. Er reichte Anfang Juli 2018 eine Strafklage bei der Staatsanwaltschaft Zürich ein. Seither wartet er auf eine Antwort. Die Staatsanwaltschaft sagt, sie könne dazu derzeit keine Auskunft geben.

Ein ehemaliger Kunde von GL Asset Management, der nicht genannt werden will, hat den Fall bei der Finanzmarktkontrolle gemeldet. Ob die Finma ermittelt, weiss er nicht. Die Behörde gibt keine Auskunft. Die Finma sei an das Amtsgeheimnis gebunden, erklärt ihr Sprecher Vinzenz Mathys. Hinweisgebende Personen hätten keine Parteienstellung und müssten Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg durchsetzen.

Dass Firmen illegale Angebote mit dem Qualitätsversprechen des Schweizer Finanzplatzes verknüpfen, sei ein relativ konstantes Phänomen, sagt Mathys. Die Finma gehe allen Hinweisen nach und setze Anbieter mit betrügerischen Absichten auf die öffentliche Warnliste. Jedoch stehen weder GL Asset Management noch die Schweizerische Metallhandels AG auf dieser Liste.

In Moskau hat Dimitri Pronjuschkin eine Website mit Warnungen vor GL Asset Management und Gründer Lillevälli hochgeladen. Ein russisches Gericht hat seine Anzeige angenommen. Die Schweizer Justiz betrachte den Fall hingegen nicht als ihr Problem, glaubt der Russe. Dabei «war die Schweiz Zentrum des Firmenkonstrukts», sagt Anwalt Peyrot: «Lillevälli war hier Verwaltungsrat.»

Der Imageschaden für den Finanzplatz Schweiz sei nicht mehr abzuwenden, glaubt James K. und nennt sich selbst als Beispiel: «Alles, was aus der Schweiz kommt, ist für mich jetzt erst einmal verdächtig.»