Ohne Gleichschritt, links umkehrt!

8. Januar 2013

Allgemeine Wehrpflicht oder ein Berufsheer? Österreichs Grosse Koalition unter Führung des sozialdemokratischen Kanzlers streitet über die Zukunft der Landesverteidigung. Nun muss das Volk entscheiden.

Ziemlich spät, aber umso kräftiger rollt die Propagandamaschine an. Gestern Abend stellte im Wiener Museumsquartier der sozialdemokratische Bundeskanzler Werner Faymann eine Reihe von Werbespots vor, die in den nächsten Tagen im TV, in Kinos und im Internet erscheinen werden. Gleichzeitig bekommen 700 000 Haushalte in Wien und im Burgenland Briefe des Kanzlers und der (ebenfalls roten) Landeshauptleute, in denen sie an die «Vernunft» der Wähler appellieren. Und die SPÖ schickt ihre kleinen Funktionäre aus, um Skeptiker in Strassendiskussionen zu überzeugen. Denn am 20. Januar werden die Österreicher zur fundamentalen Frage der Verteidigungspolitik befragt.

Soll Österreich die seit 1955 bestehende Wehrpflicht behalten? Oder wie die meisten Staaten der EU zum Berufsheer wechseln? Die Debatte begonnen hatte der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) im Herbst 2010 mit einer Kehrtwende. Bis dahin waren die Sozialdemokraten vehement gegen ein Berufsheer, vor allem aus historischen Gründen: 1934 hatten im kurzen Bürgerkrieg Berufssoldaten auf Arbeiter geschossen und den Weg in die austro-faschistische Diktatur geebnet. Häupl warf alle Bedenken über Bord, weil er im Wiener Wahlkampf die Unterstützung der rechtspopulistischen «Kronen Zeitung» brauchte. Das Boulevardblatt hält die Wehrpflicht für ein «Auslaufmodell».

Testfall für die Wahlen

Allerdings war dieser Richtungswechsel innerhalb der Partei nicht abgestimmt. Überrascht wurde unter anderem Verteidigungsminister Norbert Darabos, der sich seither mit Erklärungen abmüht, warum er im Juli 2010 die Wehrpflicht für «in Stein gemeisselt» hielt, sie wenige Monate später aber für «megasinnlos» erklärte. Nicht alle sozialdemokratischen Granden können da mithalten. Salzburgs Landeschefin Gabi Burgstaller hält an der Wehrpflicht fest, der steirische Landeschef Franz Voves will sich nicht für ein Berufsheer einsetzen.

Die Österreichische Volkspartei steht den Sozialdemokraten an Wendigkeit nicht nach. In den vergangenen Jahrzehnten hatte die ÖVP immer wieder auf die Schaffung eines Berufsheers gedrängt. Heute aber wollen die Konservativen die Wehrpflicht verteidigen. Der Riss geht quer durch die rot-schwarze Koalition, das Ergebnis der Volksbefragung gilt als Testlauf für die Parlamentswahlen im September. Beide Seiten haben Personenkomitees gegründet, hinter denen mächtige Lobbys stehen. Auf roter Seite die «Kronen Zeitung», auf schwarzer Seite der Raiffeisen-Konzern. Auch die Opposition ist gespalten: Die rechtspopulistische FPÖ will die Wehrpflicht, die Grünen wollen das Berufsheer. Meinungsforscher glauben, dass die Sozialdemokraten das Duell verlieren werden. Die Mehrheit der Österreicher möchte keine Veränderung, schon gar nicht bei der Landesverteidigung.

Österreich gibt pro Jahr rund zwei Milliarden Euro für die Landesverteidigung aus, das sind 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts – der niedrigste Wert in der EU (die Schweiz investiert 1 Prozent des BIP). Im Krisenfall sollen über 50 000 Mann mobilisiert werden können, das ist allerdings nur ein theoretischer Wert, denn die 26 000 Soldaten der Miliz absolvieren kaum noch Übungen. Rückgrat der Armee sind die rund 24 000 Rekruten, die jährlich einberufen werden. Allerdings dauert die Grundausbildung nur sechs Monate, in denen lediglich die Betätigung einer Waffe erklärt werden kann. Die meisten jungen Männer werden zum Dienst in Küchen und Garagen gebraucht.

Die Sozialdemokraten argumentieren, dass ein solches Heer den neuen Aufgaben bei internationalen Einsätzen nicht gewachsen sei und halbjährige Dienstzeit jungen Männern wertvolle Ausbildungszeit stehle. Die SPÖ will mit demselben Budget wie heute ein Berufsheer mit 15 500 Soldaten plus 9500 Milizsoldaten aufstellen. Eine solche Armee, sagen die Gegner des Berufsheers, würde nicht nur viel teurer kommen, sondern das Land auch direkt in die Nato führen. Auch die Konservativen wollen das Heer reformieren, verraten aber nicht, wie. Sie warnen stattdessen, dass ohne die Wehrpflicht nicht nur Österreichs Neutralität, sondern auch der Sozialstaat in Gefahr sei.

Rechte kämpft für Zivildienst

Soziale Organisationen wie die Caritas oder das Rote Kreuz stützen sich heute auf die kostengünstige Arbeit von Zivildienstleistenden. Wer den Dienst an der Waffe ablehnt, muss neun statt sechs Monate lang dienen. Neu ist, dass ausgerechnet die Konservativen den Zivildienst für besonders schützenswert halten. Jahrelang hatten konservative Politiker und Offiziere Zivildienstleistende als «Drückeberger» und «Weichlinge» verspottet.

Dass nun die Österreicher in einer Volksbefragung den Streit der Grossen Koalition entscheiden sollen, kritisieren Kommentatoren als Missbrauch der direkten Demokratie. Österreichs Politiker würden die repräsentative Demokratie ruinieren, schreiben die «Salzburger Nachrichten». Die Doyenne des bürgerlichen Journalismus, Anneliese Rohrer, hält in dieser Situation nur mehr eine kräftige Blamage der Regierung für einen Ausweg. Sie ruft zum Boykott der Volksbefragung auf: Eine solche «demokratiepolitische Grosstat» hätte eine nachhaltig positive Auswirkung auf Österreichs parteipolitische Hygiene.