Orbán hat das Problem des Antisemitismus erkannt

3. Mai 2013

Ab Sonntag tagt der Jüdische Weltkongress in Budapest. Ein Fall von antisemitischer Gewalt hat die ungarische Regierung jetzt unter Zugzwang gesetzt.

Ein Fussballmatch in Budapest. Es spielt der Traditionsverein Ferencvaros, dessen Fans für ihre rechtsextreme, antisemitische Haltung berüchtigt sind. Auch an diesem Sonntag grölen einige im Ferenc-Puskas-Stadion «Sieg Heil». Als der Matchbesucher Ferenc Orosz die Fans neben ihm auffordert, solche Rufe zu unterlassen, beschimpfen sie ihn als «jüdischen Kommunisten». Nach dem Spiel schlagen ihm zwei Hooligans mit den Worten «So sieht ‹Sieg Heil› aus» ins Gesicht. Er wird mit einem Nasenbeinbruch ins Spital gebracht.

Der jüngste Fall antisemitischer Gewalt ist für die ungarische Regierung besonders unangenehm, denn er traf eine öffentlich bekannte Person. Orosz leitet die ungarische Sektion der «RaoulWallenberg-Vereinigung», einer internationalen Organisation, die sich dem Andenken des schwedischen Diplomaten widmet, der 1945 Tausende Budapester Juden vor dem Holocaust rettete. Orosz ist ausserdem Mitglied der ungarischen Regierungspartei Fidesz.

«Beschämend und empörend»

Entsprechend deutlich waren die Reaktionen: Aussenminister Janos Martonyi bezeichnete die Attacke in einem offenen Brief als «beschämend und empörend». Der Minister für Humanressourcen, Zoltan Balog, zeigte sich schockiert über den Angriff «auf einen guten Freund» und versprach «Massnahmen gegen alle Formen von Hassrede und rassistischer Gewalt». Regierungschef Viktor Orban forderte oberste Priorität für die Verfolgung der Täter. Ein Angreifer konnte von der Polizei ermittelt werden, ein zweiter wird noch gesucht.

Die antisemitische Attacke ereignete sich wenige Tage vor der Ankunft jüdischer Gäste aus aller Welt in Budapest. Vom 5. bis 7. Mai wird der Jüdische Weltkongress (WJC), eine internationale Vereinigung jüdischer Organisationen, die Jahresversammlung in der ungarischen Hauptstadt abhalten, als Zeichen gegen wachsenden Antisemitismus und Rassismus in Ungarn und anderen europäischen Ländern.

Orban sowie der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle werden vor den 500 Delegierten reden. Orbans Rede am Sonntagabend wird mit besonders grosser Spannung erwartet. Der Jüdische Weltkongress registriere, dass die ungarische Regierung das Problem des Antisemitismus erkannt habe, sagt ein Sprecher des WJC, der nicht namentlich genannt werden will. Aber nun wolle man auch Ergebnisse sehen. Attacken wie jene auf Ferenc Orosz müssten vor Gericht geahndet, antisemitische Äusserungen klar verurteilt werden. Eine von Rechtsextremen geplante Kundgebung gegen «Bolschewismus und Zionismus» während der Tagung des WJC wurde vom ungarischen Innenministerium verboten.

Der Angriff auf Orosz ist kein Einzelfall. Vor ein paar Monaten wurde im Zentrum Budapests ein Rabbiner attackiert. Antisemitische Schmierereien an Denkmälern und antisemitische Kundgebungen sind häufig. Ein Abgeordneter der rechtsextremen Partei Jobbik verlangte die Kennzeichnung jüdischer Parlamentarier. Eine kleine Gruppe Neonazis versuchte vor zwei Wochen, den Gedenkmarsch für die Opfer des Holocaust zu stören. Einer trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Jews to the gas». Die Polizei reagierte nur zögerlich.

Im Parlament verurteilen Orban und seine Partei antisemitische Exzesse. Auf lokaler Ebene ist Fidesz allerdings zu Kooperationen mit der antisemitischen Jobbik bereit. Anträge auf Ehrung antisemitischer Schriftsteller oder die Errichtung grossungarischer Denkmäler werden gemeinsam beschlossen. Als vergangene Woche der Jobbik-Vorsitzende Gabor Vona eine Delegation aus dem Iran empfing, sass ein Bürgermeister von Fidesz am Tisch.

Der Hassprediger neben Orban

Ungarns bekanntester Hassprediger, der Publizist Zsolt Bayer, darf sich öffentlich an der Seite von Orban und Superminister Balog zeigen. Bayer hetzt in einer Zeitung und im Fernsehen regelmässig gegen Juden und Roma. In einem Kommentar bedauerte er, dass in der Zwischenkriegszeit nicht alle jüdischen Intellektuellen in Ungarn massakriert wurden. Die Hassreden werden auch Thema auf der Jahresversammlung des Jüdischen Weltkongresses sein.