Pneustechen im Gucci-Kostüm

9. Oktober 2012

Wiens Bürgertum probt den Aufstand gegen Parkplatzgebühren.

Das Wiener Quartier Währing war bis jetzt nicht gerade für seinen aufständischen Charakter bekannt. Der 18. Bezirk im Westen der Stadt ist Zentrum des Wiener Bürgertums, hier geht man am Sonntag noch zur Kirche, hier laden Hofratsgattinnen noch zum Salon mit Hausmusik, hier hat die konservative Volkspartei noch eine Mehrheit. Doch jetzt gärt und brodelt es im Bezirk.

Über der Währinger Strasse hängt der Brandgeruch der Revolution. Ehrwürdige Medizinalräte packen Ziegelsteine in ihre Aktentaschen, Damen in Gucci-Kostümen bewaffnen sich mit Nagelfeilen. Wutentbrannt und zu allem entschlossen ziehen sie durch die Gassen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Windschutzscheiben eingeschlagen, die ersten Reifen aufgestochen werden. Die Polizei ist hilflos. Die Lage gerät ausser Kontrolle.

Nein, es ist nicht die neuerliche Preiserhöhung für Mangalitza-Würste auf dem Biomarkt, die das Bürgertum so erregt. Es geht um - Platz. Für das Auto. Oder für die Autos, denn keine bürgerliche Familie kommt heute ohne Zweit- und Drittwagen aus. Im dicht bebauten 18. Bezirk waren Parkplätze schon immer Mangelware. Seit dem 1. Oktober sind sie aber so kostbar wie italienische weisse Trüffel. Und so selten. Schuld daran ist - wie könnte es anders sein - die rot-grüne Stadtregierung. Vor allem die grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou. Die liess nämlich diesen Herbst in den westlichen Bezirken Wiens die «Parkraumbewirtschaftung» einführen. Wer in diesen Bezirken seinen Wohnsitz hat, kann ein «Parkpickerl» kaufen und dann für 135 Euro das ganze Jahr parken, wo er will und kann. Alle anderen, also die «Ausländer» aus den anderen Bezirken und aus Niederösterreich, dürfen höchstens zwei Stunden parkieren und müssen dafür 4 Euro zahlen. Jedes Mal.

Seit vielen Jahren bewährt sich diese Regelung in Wiens inneren Bezirken 1 bis 9. Doch als die Stadtregierung jetzt das Modell auf die Bezirke 12 bis 18 ausdehnen wollte, stiess sie auf den geballten Widerstand der Wutbürger. Die ÖVP sammelte 100 000 Unterschriften gegen das Parkpickerl, der Währinger Bezirksvorsteher, ein konservatives Urgestein, liess die Bezirksbewohner abstimmen. Und die sprachen sich mit deutlicher Mehrheit gegen die Parkraumbewirtschaftung aus. Das war freilich ein paar Monate vor deren Einführung.

Heute sieht die Lage so aus: In den Bezirken 14, 15, 16 und 17 (mit Parkpickerl) herrscht gähnende Leere. Die Strassen sind frei, die Trottoirs können wieder von Fussgängern benutzt werden. Die Bewohner schwärmen von paradiesischen Zuständen und neuer Lebensqualität. Im 18. Bezirk hingegen herrscht das Recht des Stärkeren. Wer einmal eine Parklücke gefunden hat, verteidigt sie mit Zähnen und Klauen. Parkiert wird überall. Auf den Trottoirs, in den Parks, auf den Tramgleisen.

Bürgerwehren streifen durch dunkle Seitengassen, um nach feindlichen Fahrzeugen zu fahnden - das sind alle mit Kennzeichen aus Niederösterreich, deren Besitzer den täglichen Arbeitsweg nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen wollen. Diese Autos bekommen als Gruss einen Kratzer in den Lack oder eine Warnung an die Windschutzscheibe geklebt.

Die Bezirkspolitik ist auch nicht gerade um Beruhigung der Lage bemüht. Ein konservativer Lokalpolitiker schrieb in einem Interneteintrag, die grüne Stadträtin Vassilakou würde sich wohl über die Zustände in Währing «totlachen» und fügte hinzu: «Hoffentlich bald.» Am Tag darauf entschuldigte er sich halbherzig für seinen Todeswunsch.

Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Vassilakou will die Gebührenzonen ausweiten, Währings Bezirksvorsteher bleibt stur bei seinem Njet. Nur Wiens Bürgermeister Michael Häupl scheint einen Ausweg gefunden zu haben. Er aktiviert ein uraltes Feindbild und lenkt die Aufmerksamkeit auf angebliche «Velorowdys», die Wien unsicher machten.

So lässt sich der Frieden in der Stadt wiederherstellen: Denn im Hass auf die Radfahrer sind Wiens Autofahrer harmonisch vereint.