Ringier gibt «Népszabadság» auf

5. September 2012

Um die Fusionspläne mit Axel Springer nicht zu gefährden, verkauft der Schweizer Medienkonzern Ungarns letzte unabhängige Tageszeitung.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Der Schweizer Medienkonzern Ringier möchte sein Engagement in Ungarn reduzieren und die Tageszeitung «Népszabadság» verkaufen. Was bisher nur als Gerücht durch ungarische Redaktionsräume geisterte, wurde vergangene Woche durch den Minderheitseigentümer der Zeitung bestätigt. Die Stiftung für freie Presse, die von der Sozialistischen Partei Ungarns gegründet wurde und ihr weiterhin nahesteht, hält derzeit 27,7 Prozent an der Aktiengesellschaft, Ringier hat 70,8 Prozent, der Rest gehört den Redaktoren. In einem Interview bestätigte der Stiftungsvorsitzende Laszlo Kranitz, dass Ringier seine Anteile verkaufen wolle. Die Stiftung habe ein Vorkaufsrecht und ein «korrektes Kaufangebot» präsentiert. Ringiergibt zu seinen Geschäftsbeziehungen keinen Kommentar ab. Ungarn ist das letzte Land im Osten Europas, in dem der Schweizer Medienkonzern noch keine Partnerschaft mit dem deutschen Axel-Springer-Konzern eingegangen ist. Die ungarische Medienbehörde will diese Fusion aber nur genehmigen, wenn sichRingier von «Népszabadság» trennt.

«Népszabadság» («Volksfreiheit») gilt als die letzte unabhängige Tageszeitung in Ungarn. Alle anderen Tageszeitungen stehen unter direktem oder mittelbarem Einfluss politischer Parteien. So dient die kleine Tageszeitung «Népszava» («Volksstimme») den oppositionellen Sozialisten als Sprachrohr, während die grösseren Zeitungen «Magyar Nemzet» und «Magyar Hirlap» die Politik der Regierungspartei Fidesz verteidigen. «Magyar Hirlap» gehörte früher ebenfallsRingier, wurde vor einigen Jahren verkauft und danach von einem nationalistischen Unternehmer gekauft, der das Blatt von Mitte-links nach ganz rechts mit einer antisemitischen Note umpolte.

Unter den Journalisten von «Népszabadság» geht jetzt die Angst um, dass ihrem Blatt ebenfalls die politische Vereinnahmung droht. «Wir sitzen in der Falle», sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will, «niemand fragt noch, was wir wollen oder was für die Zeitung gut wäre.» - «Népszabadság» war vor der Wende das Zentralorgan der Sozialistischen Partei. Ältere Redaktoren hätten deshalb weniger Probleme, wenn die Partei heute wieder als Eigentümerin auftrete, meint der Mitarbeiter. Aber jüngere Journalisten seien sehr enttäuscht, «viele werden die Redaktion verlassen».

Auch der frühere Chefredaktor Karoly T. Vörös sieht den Eigentümerwechsel als Problem. Der Fortbestand der Zeitung sei durch den Verkauf zwar nicht gefährdet. Aber es sei nicht ausgeschlossen, dass die Sozialisten Einfluss auf die Blattlinie nehmen wollten. Auf alle Fälle werde die Zeitung dann nicht mehr als unabhängig wahrgenommen. Vörös leitete von 2004 bis 2011 die Zeitung. Ständig seien er und sein Team unter Druck gestanden, «zu beweisen, dass wir von den Sozialisten unabhängig sind», sagt er. Mit dem Verkauf könnte das jahrelange Bemühen um Distanz zu allen Parteien zunichte gemacht werden.

Ein Strohmann als Käufer?

Ungarische Medien berichten, dass Ringier für seinen Anteil an «Népszabadság» 1,5 Milliarden Forint (6,3 Millionen Franken) sowie eine Garantie verlangt, dass die Zeitung in den nächsten fünf Jahren weiterhin Kunde der Ringier-Druckerei bleibt. Allerdings sollen die Schweizer eine Teilzahlung sowie den Kauf der Vertriebsfirma Medialog angeboten haben, womit die enormen Schulden der Zeitungsgesellschaft getilgt werden könnten. Derzeit sollen Verhandlungen in Zürich laufen.

Sollte die sozialistische Stiftung vom Kauf doch noch zurückschrecken, hat sich ein weiterer Interessent gemeldet: Laszlo Csintalan war bis vor 14 Jahren ein führender Funktionär der Sozialistischen Partei, danach wechselte er die Seite und schloss sich der heutigen Regierungspartei Fidesz von Viktor Orban an. Auf dem Nachrichtenportal «Mandiner» vermutet ein Kommentator, dass Csintalan nur als Strohmann diene und hinter seinem Angebot entweder Fidesz selbst oder ein mit der Regierung sympathisierender Unternehmer stehe.