Roma wurden zu Unrecht als Sündenböcke abgestempelt

25. Mai 2012

Ein angeblicher Überfall von Roma auf einen Jungen provozierte in Tschechien rassistische Proteste. Jetzt stellt sich heraus: Der Überfall war erfunden.

Von Bernhard Odehnal, Breclav
 
Es war ein Schock für das ganze Land. Schwer verletzt wurde ein 15-Jähriger namens Petr in das Spital der südmährischen Stadt Breclav eingeliefert. Petr sagte aus, er sei von drei Roma auf der Strasse schwer verprügelt worden, weil er keine Zigarette für sie gehabt habe. Der Vorfall ereignete sich Mitte April.
 
Eine Woche danach rief die rechtsextreme Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit (DSSS) zum Protestmarsch durch Breclav auf. Zweitausend Menschen kamen. Auf Transparenten forderten sie «Stoppt den Zigeunerterror» und Zwangsarbeit für arbeitslose Roma. Unter den Demonstranten waren rund 200 gewaltbereite Neonazis. Die Romagemeinde der Stadt musste von der Polizei vor Übergriffen geschützt werden.
 

Die Lüge passte in die Stimmung

Seit gestern ist aber klar: Alles war ganz anders. Die Polizei testete das angebliche Opfer mit dem Lügendetektor und Petr gab zu, dass der Überfall nur eine Erfindung war. Tatsächlich hatte er sich bei einer Mutprobe mit Freunden verletzt und aus Angst vor seiner Mutter die Geschichte mit den gewalttätigen Roma ausgedacht. Seine vier Freunde behielten die Wahrheit ebenfalls für sich.
 
In Breclav wollte zuerst auch niemand wirklich nachfragen. Obwohl es zuvor keine Probleme mit der kleinen Romagemeinde gegeben hatte, passte die Geschichte vom Überfall in die aufgeheizte, rassistische Stimmung. Ein populärer Sänger spendete dem angeblichen Opfer 100 000 Kronen, Petrs Mutter wollte einen Fonds für Verbrechensopfer einrichten.
 
Einige Wochen vor dem Vorfall in Breclav war es in Nordböhmen zu pogromartigen Protesten gegen die Roma gekommen. Auch dort waren Neonazis und DSSS gemeinsam aufmarschiert und hatten Unterstützung in der Bevölkerung gefunden. Die Rechtsextremen kommen zwar bei Wahlen nie über ein Prozent, doch ihre antiziganistische Propaganda findet breite Zustimmung. 80 Prozent der Tschechen erklären in Umfragen, dass sie keine Roma als Nachbarn wollten.
 

Entschuldigung gefordert

In Breclav wussten Polizei und Stadtrat offenbar schon bald nach dem Überfall, dass dieser nur erfunden war. Sie wollten es aber zunächst nicht öffentlich machen. Erst jetzt wurde der Druck der Medien zu stark. Die Prager Menschenrechtsanwältin Klara Kalibova spricht vom Versagen der Gesellschaft: «Es gab angeblich ein Verbrechen, aber es wurden niemals Verdächtige gefunden. Stattdessen machte man die Roma pauschal zu Sündenböcken. Und wir alle haben geschwiegen.» Der Schaden sei kaum wieder gutzumachen, sagt Kalibova. Die Roma von Breclav lebten in Angst, viele wollten die Stadt und das Land verlassen.
 
Der Bürgermeister von Breclav erklärte am Donnerstag, dass seine Stadt jetzt vor allem Ruhe brauche. Klara Kalibova ist das zu wenig. Sie fordert eine Entschuldigung an die Romagemeinde, und zwar von höchster Ebene, «am besten von Regierungschef und Innenminister». Die Tageszeitung «Dnes» zeigte gestern das Gesicht des angeblichen Überfallopfers und titelte dazu: «Er betrog das ganze Land».