Russischer Angriff auf einen Schweizer Strafverfolger

26. Juli 2018

Eine aus der Trump-Russland-Affäre bekannte Anwältin will einen Schweizer Staatsanwalt zu Fall bringen.

Für Natalia Weselnitskaja ist die Zeit gekommen, um «in die Offensive zu gehen». Per Mail gibt die russische Anwältin im April dieses Jahres Anweisungen an zwei Schweizer Kollegen: Der ältere solle «sanft, aber beharrlich» auftreten, der jüngere «hart und aggressiv». Good cop, bad cop. Das Ziel: der Schweizer Staatsanwalt des Bundes, Patrick Lamon. Er ermittelt gegen Klienten des russisch-schweizerischen Anwaltstrios. «Wir sollten versuchen, ihn loszuwerden», empfiehlt der eine Schweizer Anwalt, als er der Russin zurückmailt. Belastendes Material über Lamon soll Zeitungen zugespielt werden und der Absender verborgen bleiben.

Die Methode, Medien in Justizverfahren gezielt zu beeinflussen, kommt als «Litigation-PR» aus den USA, in der Schweiz ist sie verpönt. Besonders brisant: Es gibt konkrete Hinweise, dass dieser Versuch mit der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau abgesprochen wurde – also mit jener russischen Behörde, die eigentlich mit der Schweizer Bundesanwaltschaft zusammenarbeiten sollte.

Tipps für die Staatsanwälte

Strafverteidigerin Natalia Weselnitskaja pflegt nämlich weit über das normale Mass Kontakte zur russischen Generalstaatsanwaltschaft. So schickte sie etwa den staatlichen Strafverfolgern Tipps und Formulierungen für deren offiziellen Schriftverkehr. Das beweisen Weselnitskajas Mails, die gehackt und dem «Dossier Center» zugespielt wurden. Diese Recherchegruppe wurde von dem im Exil lebenden Milliardär und Putin-Gegner Michail Chodorkowski gegründet. Sie stellte Tagesanzeiger.ch/Newsnet die gehackten Mails im Rahmen einer Kooperation zur Verfügung. Weselnitskaja bezweifelt die Authentizität der Mails. Darunter finden sich allerdings auch Nachrichten, die Weselnitskaja im Februar 2018 an Tagesanzeiger.ch/Newsnet schickte. Diese sind zweifelsfrei authentisch.

Wer ist die Frau, die vom fernen Moskau aus die Schweizer Staatsgewalt herausfordert?

Die heute 43-Jährige begann ihre juristische Karriere bei der Moskauer Staatsanwaltschaft, später machte sie sich als Anwältin selbstständig und arbeitete unter anderem für eine Firma im Umfeld des Geheimdienstes FSB. 

Bekannt wurde Weselnitskaja durch ihre Treffen im Juni 2016 mit Donald Trumps Sohn Donald Jr., dem Schwiegersohn Jared Kushner sowie dem damaligen Wahlkampfmanager Paul Manafort in New York. Sie soll im US-Wahlkampf belastendes Material gegen Hillary Clinton angeboten haben. Weselnitskaja streitet dies ab: Sie sei lediglich im Interesse ihrer Klienten in die USA gekommen, sagte sie gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet in einem Interview im Februar 2018 .

Der Grund für Weselnitskajas Angriff auf den Bundesstaatsanwalt sind Klienten von ihr: zypriotische Firmen und deren russischer Besitzer. Diese sollen in einen Steuerbetrug im grossen Stil verwickelt sein. 230 Millionen Dollar wurden dem russischen Finanzamt mit der Ausstellung gefälschter Rechnungen entzogen.

Als der russische Wirtschaftsprüfer Sergei Magnitski den Betrug aufdecken wollte, wurde er verhaftet und starb 2009 in einem Moskauer Gefängnis. Auf Initiative von Magnitskis Arbeitgeber, dem US-Investor Bill Browder, beschloss 2012 das amerikanische Parlament das Magnitski-Gesetz, das mutmassliche Beteiligte an dem Verbrechen unter Sanktionen stellt.

Seither hat Weselnitskaja eine Mission: Die US-Sanktionen sollen aufgehoben und ihre Klienten von jedem Verdacht reingewaschen werden. Für diese Mission hat sie Partner gewonnen – Anwälte in den USA, in den Niederlanden und in der Schweiz. Auch auf Schweizer Konten soll das Geld aus dem russischen Millionenbetrug geflossen sein. Nach einer Anzeige des Investors Browder liess die Bundesanwaltschaft 2012 18 Millionen Dollar einfrieren, darunter 7,6 Millionen Dollar von Weselnitskajas Klienten.

Um dieses Geld wird nun gekämpft, auch vonseiten der Moskauer Behörden. Im Juni 2015 stellt die russische Generalstaatsanwaltschaft ein eher ungewöhnliches Rechtshilfeersuchen an die Schweiz: Sie will im Fall Magnitski Akten einsehen – und alle Details der Ermittlungen erfahren.

Den Spiess umgekehrt

Das Ersuchen soll die Schweizer Ermittlungen offenbar in eine Richtung lenken: Weselnitskajas Klienten seien unschuldig, hinter dem Betrug stecke Browder, heisst es darin. Die mutmasslichen Täter sollen also Opfer sein.

In den gehackten Mails finden sich nun konkrete Hinweise, wie diese Umkehr der Geschichte zustande kam: Fünf Tage bevor das russische Rechtshilfeersuchen an die Schweiz geschickt wird, erhält die russische Generalstaatsanwaltschaft ein Thesenpapier von Natalia Weselnitskaja. Der Inhalt ist fast identisch mit dem späteren Rechtshilfeersuchen. Dass sich ein Staatsanwalt beim Verfassen eines Rechtshilfeersuchens von einer Anwältin helfen lässt, die in den Fall involviert ist, wäre in der Schweiz nicht möglich. Und in Russland? Dort reagiert die Generalstaatsanwaltschaft nicht auf entsprechende Fragen von Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Auch Weselnitskaja will «aufgrund des Untersuchungsheimnisses» nichts dazu sagen.

Ersuchen sei «rechtskräftig abgeschlossen»

Im Dezember 2016 lädt der stellvertretende Generalstaatsanwalts Saak Karapetjan den Schweizer Polizisten und Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft Viktor K. (Name geändert) nach Moskau ein. Es sollen mehrere offene Fälle besprochen werden. K. fährt, obwohl seine Vorgesetzten die Reise verbieten. In Moskau trifft er auch Natalia Weselnitskaja. Warum? Sie habe ihren Fall weiterbringen wollen, antwortete die Anwältin als sie vom Tagesanzeiger im Februar 2018 interviewt wurde.

Nach seiner Rückkehr aus Moskau in die Schweiz wird K. entlassen. Die Bundesanwaltschaft leitet ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Annahme von Bestechung ein. K. bestreitet die Vorwürfe.

Kurz nach diesem Treffen, im Januar 2017, schickt die russische Generalstaatsanwaltschaft eine strenge Mahnung nach Bern: Der Fall habe höchste Priorität, das Rechtshilfeersuchen müsse erfüllt werden. Im August 2017 schickt das Bundesamt für Justiz deshalb Antworten nach Moskau. Damit sei das russische Ersuchen «rechtskräftig abgeschlossen» worden, teilt die Medienstelle des BJ mit. Die Schweizer Bundesanwaltschaft beantwortet das russische Rechtshilfeersuchen vorerst nicht.

Zur selben Zeit wird auch in den USA gegen Weselnitskajas russische Klienten ermittelt. Im Oktober 2017 einigen sich beide Seiten auf einen Vergleich: Die Firma von Weselnitskajas Klient bleibt von einer Anklage verschont, muss aber sechs Millionen Dollar zahlen.

Der Vergleich stimmt Weselnitskaja optimistisch, dass ihre Klienten in der Schweiz ähnlich vorgehen könnten. Doch die Verhandlungen scheitern. Weselnitskaja ist frustriert: Über fünf Jahre sind die Millionen in der Schweiz eingefroren. Es gibt keine Anklage, aber auch keine Einstellung. 

Wieso dauert alles so lang? Das Strafverfahren sei sehr komplex, antwortet die Medienstelle der Bundesanwaltschaft, «sowohl im Hinblick auf den mutmasslichen Tatbestand der Geldwäscherei in der Schweiz als auch die mutmassliche Vortat in Russland». Die Bundesanwaltschaft sei dabei auf Rechtshilfe aus fünf Ländern angewiesen. Kürzlich habe man Dokumente aus Zypern erhalten, «die gegenwärtig analysiert werden». Den Angriff auf Staatsanwalt Lamon will die Bundesanwaltschaft hingegen nicht kommentieren, weil es sich um ein laufendes Verfahren handle. 

Anwältin ändert die Taktik

Da sie weder durch Intervention der russischen Generalstaatsanwaltschaft noch durch einen Vergleich die in der Schweiz eingefrorenen Gelder frei bekommt, ändert Weselnitskaja ihre Taktik. Einen Zürcher Anwalt hat sie bereits. Dieser ersucht darum, anonym zu bleiben, da kein öffentliches Interesse an seiner Person bestehe. Anfang 2018 nimmt sie zusätzlich Kontakt zu Pierre Schifferli in Genf auf. Der 71-Jährige war Abgeordneter des Genfer Grossen Rats und Vizepräsident der kantonalen SVP. Er gilt als einflussreicher Anwalt.

Laut den gehackten Mails fordert Weselnitskaja im April 2018 Schifferli und seinen Zürcher Kollegen auf, gegen Staatsanwalt Patrick Lamon vorzugehen: «Ich erwarte euren Angriffsplan.» Die Anwälte graben ein 15 Jahre altes Dossier eines Freiburger Strafrechtsexperten aus, mit harter Kritik an Lamons Arbeit. Für Weselnitskaja werden die 90 Seiten sogar ins Russische übersetzt. Sie sei froh, nun ein «so tolles Team» zu haben, schreibt Weselnitskaja dem «lieben Pierre». Tagesanzeiger.ch/Newsnet bat Schifferli und seinen Kollegen um Stellungnahmen. Beide berufen sich auf das Anwaltsgeheimnis und schweigen.

Dabei würde auch die Gegenseite Staatsanwalt Lamon gerne loswerden. Im Februar 2018 stellt William Browders Investmentfirma Hermitage Capital den Antrag auf Abberufung Lamons: Er habe die Aktivitäten des Bundespolizisten Viktor K. in Russland zu lange unterstützt und gedeckt. Die Klage wird im März vom Bundesstrafgericht abgelehnt: Es gebe keinerlei Beweise, dass der Staatsanwalt des Bundes beeinflusst worden sei oder das Verfahren nicht fortführen könne.