Schrott auf Schienen

17. Juni 2013

Der niederländisch-belgische Superzug Fyra wird zum Millionendebakel.

Eine «neue Art des Reisens» sollte es sein. Und irgendwie war es das auch. Nur ganz anders, als es die Werbung für den Superzug Fyra im Sinn hatte. Wer jemals in den zweifelhaften Genuss einer Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug zwischen Amsterdam und Brüssel kam, wusste wenig Gutes zu berichten. Punkto Komfort hätte dem niederländisch-belgischen Prestigeprojekt auch die Frauenfeld–Wil–Bahn das Wasser reichen können. WLAN? Fehlanzeige. Steckdosen im Waggon? Nicht vorhanden. Platz für Gepäck? Ebenso wenig. Wer am Flughafenbahnhof Schiphol mit Koffern zustieg, hatte Pech.


Fyra: Mit Hochgeschwindigkeit aufs Abstellgleis. Foto: B. Odehnal

Diese neue Art des Reisens hatte offenbar wenig mit Komfort, aber viel mit Dankbarkeit zu tun: Dankbarkeit, das Ziel überhaupt erreicht zu haben. Beim Fyra war das keine Selbstverständlichkeit. Öfters blieben die Züge mitten auf der Strecke stehen. Weil die Bremsen blockierten, weil eine Tür aus den Angeln flog, weil sich Kabel lösten. Zwei Monate nach ihrem ersten Einsatz standen die meisten Garnituren schon wieder zur Reparatur im Depot.

Seit einigen Tagen steht nun fest, dass die Züge mit der charakteristischen Nilpferd-Schnauze nie wieder in Betrieb gesetzt werden. Den niederländischen Staat könnte das Eisenbahndebakel an die 600 Millionen Euro kosten. Die Belgier dürften etwas billiger davonkommen. Insgesamt lässt sich das Fyra-Abenteuer mit dem Kauf flugunfähiger Drohnen durch das deutsche Verteidigungsministerium vergleichen: In beiden Fällen waren die Verantwortlichen gewarnt worden. In beiden Fällen machten sie blindlings weiter. Und verbrannten sehr, sehr viel Steuergeld.

Dabei war das alles einmal gut gemeint gewesen. Holländer und Belgier wollten ihre Hauptstädte durch einen superschnellen Zug verbinden. Statt in drei sollte der Fyra die Strecke Amsterdam– Antwerpen–Brüssel in zwei Stunden zurücklegen. Dass die Hochgeschwindigkeitsstrecke weit am administrativen Zentrum der Niederlande, Den Haag, vorbeiführte, nahm man in Kauf.

Der Kunstname «Fyra» leitet sich aus dem niederländischen und dem französischen Wort für «Stolz» ab. Der Zug sollte schliesslich der Stolz der Beneluxstaaten werden, eine Kampfansage an TGV und ICE und «eine Einladung zu Komfort, Verlässlichkeit und Geschwindigkeit», wie das Motto im Fyra-Logo versprach. Superschnell sollte der Zug sein, und superbillig zugleich. Deshalb bestellten die belgischen und die niederländischen Staatsbahnen (die beiden Partner im Fyra-Projekt) nicht die schon bewährten Hochgeschwindigkeitszüge bei deutschen oder französischen Firmen, sondern ein brandneues Modell in Italien – ein Fehler.

Die Züge wurden vom italienischen Hersteller Ansaldo Breda mit fünfjähriger Verspätung ausgeliefert, und als sie endlich auf Schienen standen, funktionierte so gut wie gar nichts. Wichtige Teile begannen zu rosten, andere Teile machten sich während der Fahrt selbstständig. Von verärgerten Reisenden und der Presse bekamen die Züge Spitznamen wie «Spaghetti-Bummler» oder «Aldi-Zug», was die deutsche Handelskette allerdings als Rufschädigung betrachtete.

Anfang Dezember 2012 ging der Fyra in Betrieb. Mitte Januar 2013 war schon wieder Schluss. Die neun, jeweils rund 20 Millionen Euro teuren Züge rollten auf ein Abstellgleis. Anfang Juni entschieden die Bahnverwaltungen in Belgien und den Niederlanden, die Züge nie mehr in Betrieb zu nehmen. Der niederländische Bahnchef wird zurücktreten. In Den Haag wird das Fyra-Desaster von einem parlamentarischen Ausschuss, in Brüssel von der Staatsanwaltschaft untersucht. Belgien hat den Kauf weiterer Züge storniert, die Niederländer prüfen noch, wie sie die bereits bestellten sieben Züge wieder loswerden können. Der Hersteller schiebt jede Schuld von sich – und auf die Bahnbetreiber. Die rot-rosa-weissen Garnituren stehen jetzt seit knapp sechs Monaten auf einem Rangierbahnhof in Amsterdam. Brandneu sind sie. Und doch schon Alteisen.