Ungarns Studenten planen den Aufstand gegen die Regierung

13. Dezember 2012

Der radikale Abbau kostenloser Studienplätze und die Verpflichtung, Stipendien im Land abarbeiten zu müssen, treiben Tausende Hochschüler auf die Strasse.

«Sind wir fähig, gemeinsam den Wahnsinn der Regierung zu stoppen?» David Kiss macht eine kurze Pause, dann tönt ihm ein mächtiges «Jaaa» entgegen. Hunderte Studenten haben sich in der Aula der Budapester Technischen Universität versammelt, noch mehr warten vor dem Gebäude am Donauufer. Am Abend werden es mehrere Tausend sein, die durch die Innenstadt zum Parlament ziehen und eine Donaubrücke blockieren. Für den Studentenführer Kiss ist dieser Mittwoch eine Premiere: Zum ersten Mal protestieren Studierende, Assistenten und Professoren gemeinsam. «Und es ist kein Zufall, dass wir gerade hier beginnen», ruft er der Menge in der Aula zu, «denn hier haben Studenten schon einmal gezeigt, dass sie ein System verändern können.» 1956 begann mit einem Studentenprotest die Revolution gegen das kommunistische Regime.

Überfallartiges Vorgehen

Heute wollen die Studenten keine Regierung stürzen. Aber sie verlangen, dass die Regierung von Viktor Orban die eben erst beschlossenen Budgetkürzungen und Zugangsbeschränkungen für die Universitäten zurücknimmt. Der Aufstand begann am Montag in Budapest und breitete sich schnell auf andere Städte aus.

Besonders das überfallartige Vorgehen der Regierung empört die Studenten. Wenige Tage vor Beschluss des Budgets 2013 brachte die Regierungspartei Fidesz die Universitätsgesetze ein, ohne die Studentenvertreter zu konsultieren. Ohne Debatte beschloss das Parlament dann die drastische Kürzung der vom Staat finanzierten Studienplätze. Von den jährlich 75 000 neuen Studenten in Ungarn hatten im Jahr 2010 noch 56 000 die Chance auf einen bezahlten Studienplatz, 2011 reduzierte die Regierung Orban die Anzahl auf 34 000, im nächsten Semester werden es nur mehr 10 000 sein. Wer kein exzellentes Abiturzeugnis vorweisen kann, muss Studiengebühren von umgerechnet zwischen 1000 und 1200 Franken pro Semester zahlen.

Wer aber noch einen bezahlten Platz oder ein Stipendium bekommen hat, muss sich vertraglich verpflichten, nach Abschluss des Studiums die doppelte Studienzeit in Ungarn zu arbeiten. Nehmen Studenten einen Job im Ausland an, müssen sie sämtliche Ausbildungskosten zurückzahlen.

Auf der Internetsite des Bildungsministeriums erklärt die zuständige Staatssekretärin, dass «die Ära subventionierter Bildung und endloser, von Steuerzahlern finanzierter Studien zu Ende ist». Die Reform erziehe Studierende zu Eigenverantwortung und zwinge Hochschulen zu höheren Standards. Dabei hatte Fidesz, als die Partei 2008 noch in der Opposition war, die Einführung von Studiengebühren mit einem Referendum verhindert. Studiengebühren seien unsozial und machten höhere Bildung zum Privileg der Reichen, sagte Orban damals. Als beim gestrigen Protest diese Rede vom Band abgespielt wurde, reagierte das Publikum mit wütenden Pfiffen. Viele Studierende wählten 2010 Fidesz, weil sie ein Ende der Korruption erhofften. Heute sind sie von Orban bitter enttäuscht.

«Die Regierung will die Verschuldung der Ungarn reduzieren. Aber gleichzeitig zwingt sie uns, Kredite für das Studium aufzunehmen», sagt Amburs Fater, ein Sprecher des unabhängigen «Studenten-Netzwerks». Das Netzwerk will den Protest auf die Gymnasien ausweiten, denn «das gesamte Bildungssystem wird ausgehungert». Ein ungarischer Grundschullehrer verdient umgerechnet 400 Franken im Monat, ein Gymnasiallehrer rund 600 Franken. Nicht nur die Bezahlung, auch das Prestige und die Ausstattung der Schulen sind schlecht.

Schlechte Chancen auf einen Job

Der 25-jährige Soziologiestudent Fater hat viele Freunde, die zum Studieren ins Ausland gegangen sind: nach Berlin, München oder Zürich. Deutschland registrierte dieses Jahr die stärkste Zuwanderung aus Ungarn, die es je gegeben hat. Fater glaubt nicht, dass die Freunde nach der Ausbildung in die Heimat zurückkehren werden. Ungarns Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt. Die Chancen für Hochqualifizierte, einen Job zu finden, sind gering. Aber wenn die Intelligenz das Land verlässt, sagt ein Lehrer in der Aula der Technischen Universität, «dann geht das Land vor die Hunde».

Die Zeit spielt für Orban, in den Weihnachtsferien will niemand demonstrieren. Das sei kein Zufall, sagt Amburs Fater: «Besonders umstrittene Gesetze werden kurz vor Weihnachten beschlossen.» Studentenführer Kiss glaubt aber, dass die Rechnung dieses Mal nicht aufgehen wird. Der Protest stehe erst am Anfang. Am kommenden Montag werden Studenten gemeinsam mit den Gewerkschaften gegen die radikalen Budgetkürzungen in der Kultur- und Sozialpolitik demonstrieren. Und im Januar will die Hochschülerschaft die Studiengebühren mit einem Referendum zu Fall bringen. 200 000 Unterschriften müssen sie dafür sammeln. Das sei natürlich sehr viel, gibt Kiss zu, «aber wir sind gut organisiert. Wir schaffen das.»