Viel Lärm um eine Fahne

11. Februar 2013

Ungarn und Rumänien sind in einen neuen Konflikt geraten. Auslöser ist die Fahne einer alten ungarischen Minderheit in Siebenbürgen.

Die Sache sei «noch lange nicht vorbei», droht Ungarns Staatssekretär Zsolt Nemeth dem Nachbarland Rumänien. Aussagen ungarischer und rumänischer Regierungspolitiker deuten darauf hin, dass beide Seiten an einer Eskalation des Konflikts interessiert sind. Ungarn und Rumänien steuern (wieder einmal) auf eine diplomatische Eiszeit zu.

Auslöser ist dieses Mal ein Stück Stoff, blau, mit einem goldenen Streifen in der Mitte. Diese Fahne wurde vor einigen Jahren von den Szeklern, einer ungarisch sprechenden Minderheit in Rumänien, zu ihrem Symbol erklärt. Danach hingen die Fahnen vor Rathäusern und Schulen in den Bezirken Covasna und Harghita, in Siebenbürgen. Als in der Stadt Sfantu Gheorge (ungarisch: Sepsiszentgyorgy) Anfang Februar ein neuer Präfekt vereidigt wurde, liessen Vertreter der sozialdemokratischen Regierung von Victor Ponta die Fahne einholen.

Das empörte nicht nur die Szekler, sondern auch die rechtspopulistische Regierung in Budapest. Als Antwort auf den rumänischen Erlass liess die Regierungspartei Fidesz vor dem Rathaus des 22. Budapester Bezirks die Szeklerfahne hissen. Durch die Anwesenheit von Staatssekretär Zsolt Nemeth bekam die Zeremonie den Charakter eines Staatsaktes. In seiner Festrede kritisierte er die «symbolische Aggression» Rumäniens und warnte vor einem «Krieg der Fahnen». Gleichzeitig schürte die Regierung den Konflikt. Weitere von Fidesz regierte Gemeinden sowie ein rechtsextremer Bürgermeister wollen in den nächsten Tagen die Szeklerfahne vor öffentlichen Gebäuden aufziehen. Die von der Regierung kontrollierte Radiostation Kossuth rief alle Gemeinden Ungarns auf, Flagge zu zeigen.

Ponta schürt Spannungen

In Bukarest nahm die linkspopulistische Regierung die ungarische Provokation auf und liess die Muskeln spielen. Der ungarische Botschafter wurde ins Aussenministerium zitiert und mit der Ausweisung bedroht. Premierminister Victor Ponta erklärte, seine Regierung werde nicht der Eindruck entstehen lassen, «dass uns jemand jenseits unserer Grenzen Lektionen erteilen kann». Niemand dürfe den Rumänen sagen, welche Fahnen sie hissen müssten. Ein Kommentator der konservativen Zeitung «Romania Libera» warf der sozialdemokratischen Regierung daraufhin vor, sie wolle ethnische Spannungen schüren, weil sie damit leichter regieren könne. Der Konflikt werde aber Rumänien in der EU schaden, weil in Brüssel wieder einmal der Eindruck entstehe, «dass Rumänien zu früh in die Europäische Union aufgenommen wurde, wenn es immer wieder Spannungen mit den Nachbarn erzeugt».

Die Szekler sind eine eigene Minderheit innerhalb der ungarischen Minderheit in Rumänien. Bis 1920 gehörte ihr Siedlungsgebiet zu Ungarn, dann fiel es durch die Teilung des Landes im Friedensvertrag von Trianon an Rumänien. Heute leben rund 650 000 Szekler im Hügelland Siebenbürgens. In vielen Dörfern hat sich das Leben in den vergangenen hundert Jahren kaum verändert. Die Menschen leben von der Viehzucht und holen das Heu mit Pferdewagen von den Feldern. Die Strassen sind nicht asphaltiert, die Höfe haben keinen Strom und keine Kanalisation. Der ungarische Nationalismus ist hier besonders stark. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird im Szeklerland immer wieder die Forderung nach Autonomie laut, was die rumänische Regierung aber ablehnt.

In der aufgeheizten Stimmung kann jede sprachliche Nuance grosse Bedeutung erlangen. In seinen Reden verwendet Staatssekretär Nemeth den ungarischen Begriff für Siebenbürgen: Erdely. Die Rumänen fassen das schon als Provokation auf, sie wünschen sich den international üblichen Begriff Transilvania. Als echte Bedrohung sieht Bukarest die Ankündigung der ungarischen Regierung, sie werde die Autonomiewünsche der Szekler unterstützen.