Zürcher Graffiti auf Wiener Hauswänden

15. Februar 2014

Der Schweizer Sprayer mit dem Pseudonym Puber lebt seit einiger Zeit in Wien und hinterlässt dort Nacht für Nacht seine Zeichen. Das ärgert nebst Lokalpolitikern und der Polizei auch die lokale Graffiti-Szene.

Ein städtischer Kindergarten im Wiener Bezirk Mariahilf: Liebevoll malten die Kinder gelbe Blumen und putzige bunte Häuser auf die weisse Aussenwand. Nur wenig ist davon noch zu sehen. Die kindliche Landschaft ist fast vollständig von Graffiti bedeckt. Einem privaten Kindergarten im Nachbarbezirk Neubau ging es ähnlich. Die Kinder bemalten eine Begrenzungsmauer zur Strasse. Jetzt ist die Malerei unter fünf gesprayten Buchstaben verschwunden. «Puber»: Das Wort ohne Bedeutung ist auf Hauswänden und Haustoren, auf Trams und S-Bahn-Zügen, auf Schaufenstern und Feuermauern zu lesen. Manchmal als dünnes «Tag», wie eine Signatur in der Sprache der Sprayer heisst, manchmal als dick aufgetragenes Graffito. Noch nie war ein einzelner Schriftzug so präsent in Wien. Sein Urheber kommt aus der Schweiz.


Alle Menschen sollten seinen Namen sehen, sagt Puber. Foto: B. Odehnal

Lange Zeit galt der Mann mit dem Pseudonym Puber als einer der aggressivsten und aktivsten Sprayer in Zürich. Hunderte Tags und Graffiti hinterliess er in der Stadt, immer entkam er der Polizei. Der Schaden ging in die Hunderttausende. Im August 2010 gab Puber dem Tages-Anzeiger ein Interview. Alle Menschen sollten seinen Namen sehen, rechtfertigte er seine Aktionen. Schlechtes Gewissen plage ihn nicht, «keine Hundertstelsekunde, nie».

Aggressiv und jähzornig

Seit mindestens einem Jahr, vielleicht auch länger, lebt Puber in Wien. Angeblich soll er hier bei einer Securityfirma arbeiten. Seinen schlechten Ruf hat er aus der Schweiz mitgenommen. Er gilt als aggressiv und jähzornig, das bestätigen auch Menschen, die ihn persönlich kennen. Als er einmal beobachtete, wie sein Schriftzug übersprayt wurde, attackierte er seine vermeintlichen Gegner mit Fäusten. Dabei hatte er kurz zuvor selbst die legale Graffitikunst des Belgiers ROA in Wien übersprayt.

Über einhundert Beschmierungen an Hauswänden sowie zwanzig an öffentlichen Verkehrsmitteln ordnete die Wiener Polizei dem Schweizer zu. Ein eigener Beamter wurde für die Ermittlungen gegen Puber abgestellt. Pubers Aktivitäten seien eine Ausnahmeerscheinung, sagt Polizeisprecherin Barbara Riehs: «In dieser Intensität haben wir das in Wien bis jetzt nicht gesehen.» Die Staatsanwaltschaft Wien hat weitere Erhebungen angeordnet. Da er bis jetzt nie auf frischer Tat ertappt wurde, sollen durch ein Gutachten Graffiti dem Sprayer eindeutig zugeordnet werden. Der Schaden betrage deutlich über 50 000 Euro, sagt die Polizei. Das Strafrecht sieht dafür eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren vor.

Im siebten Bezirk versuchte Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger, den ungeliebten Sprayer mit seinen Taten zu konfrontieren. Nachdem Puber die Kindergartenwand übersprayt hatte, brachte Blimlinger eine Tafel an: «Lieber Puber, Zeichnungen von Kindern zu überschmieren, ist das Letzte.» Pubers sprayte sein Tag auch auf diese Tafel. «Er ist sehr schnell. Und sehr geschickt», sagt Blimlinger.

Das Wiener Kulturmagazin «The Gap» schrieb über «postpubertäre Egokomplexe» Pubers: Er werde von anderen Wiener Sprayern als «Plage» bezeichnet. Kurz nach Erscheinen des Artikels wurden Fenster und Aussenwände des Redaktionslokals mit Puber-Tags und einer durchgehenden Linie besprayt. Auf der Tür hinterliess der Schweizer ein grosses «Fuck You». In anderen Tags wurde die Verfasserin des Artikels als Lügnerin bezeichnet. Die Street-Art-Szene sei genervt und eingeschüchtert, sagt Chefredaktor Stefan Niederwieser: «Die Leute sind froh, wenn möglichst wenig über Puber berichtet wird.» Dennoch meint Niederwieser, dass Berichte über Pubers Aktivitäten «die Diskussion um Graffiti, Taggings und Street Art in Wien belebt haben». Das Magazin beschloss, die Beschmierung ihrer Redaktion nicht zu entfernen. Sie soll als Dokumentation erhalten bleiben.

Graffiti-Tourismus nach Wien?

Bezirksvorsteher Blimlinger erhält fast täglich Mails und Anrufe, in denen ihn Bürger zum Handeln auffordern: Er solle Kameras installieren oder am besten sich selbst auf die Lauer legen, um Puber dingfest zu machen. «Aber das ist Aufgabe der Polizei.» Blimlinger spricht von regelrechtem «Graffiti-Tourismus nach Wien». Offenbar fühlten sich Sprayer hier sicherer als in ihren Heimatländern. Im vergangenen Jahr verhaftete die Polizei Sprayer aus Ungarn und Russland in Österreich.

«Ich verachte Sie!» Unter diesem Titel schrieb der ehemalige Leiter des Wiener Schulamts, Kurt Scholz, in der «Presse» einen offenen Brief an Puber: «Sie sind kein Künstler . . . Für mich stehen Sie auf einer Stufe mit jenen Männern, die vor Garageneinfahrten ihr Wasser lassen.» Puber hatte das Haus beschmiert, in dem Scholz wohnt. Auffallend ist, dass Puber vor allem in den inneren Bezirken mit bürgerlichen und grün-alternativen Bewohnern seine Spuren hinterlässt. In den Arbeiterquartieren tauchten bisher kaum Tags auf. Sachbeschädigung als Sozialkritik? Oder doch nur eitle Selbstdarstellung?

Der Tages-Anzeiger konnte in Wien Kontakt zu Puber aufnehmen. Ein Interview kam nach längeren Verhandlungen aber nicht zustande, da Puber Geld für das Gespräch verlangte.

Puber hat auch Fans in der Stadt. Eine anarchistische Gruppe feierte ihn in einem Radiobeitrag als «grössten und bedeutendsten Künstler, der derzeit in Wien lebt». Sein Œuvre behandle «die grossen Themen, die uns bewegen: Die Liebe und das Leben.»

Sogar eine Ausstellung bekam der Schweizer. Der Wiener Rechtsanwalt Gregor Grubhofer stellte in einem Lokal im siebten Bezirk Fotos mit Tags und Graffiti von Puber aus. Keineswegs aus Sympathie für den Sprayer, sagt Grubhofer: «Graffiti interessieren mich eigentlich nicht, ich fand nur spannend, welcher Kommunikationsfluss damit ausgelöst wird.» In der Eröffnungsrede stellte er Puber in eine Reihe mit den früher verfolgten und heute renommierten Künstlern Arnulf Rainer und Hermann Nitsch: Was Puber zur Anerkennung seiner Kunst benötige, «wäre eine gerichtliche Verurteilung, eine Professur an der Wiener Kunstakademie und die Errichtung eines eigenen Museums». Der Rechtsanwalt hat die Website mit der Adresse www.puber.at eingerichtet. Auf eine Begegnung mit dem Sprayer lege er jedoch keinen Wert: «Ich glaube nicht, dass wir etwas gemeinsam haben.»