Tagesanzeiger

Mit Polizei und Militär gegen Flüchtlinge

2. April 2016

Österreich wirft der EU vor, sie schütze kaum die Aussengrenzen. Eine neue Mission zentraleuropäischer Staaten soll Aufgaben von Frontex übernehmen. 

Die Angreifer kommen aus dem Osten und dem Süden. Vereinigt stossen sie auf Griechenland vor, kleinere Einheiten nehmen Sizilien in die Zange. Zu erwarten sind Vorstösse aus dem Norden und über die Adria. Jene Karte, die das österreichische Verteidigungsministerium gestern an Journalisten verteilte, lässt nur einen Schluss zu: Europa ist in höchster Gefahr! 


Die Migrationskarte des Verteidigungsministers. 

Vorwärts in die Vergangenheit

11. März 2016

Marian Kotleba hetzte gegen Roma und Juden. Jetzt sitzt er im slowakischen Parlament.

Am zweiten Tag nach den Parlamentswahlen holte der slowakische Staatspräsident Andrej Kiska die Parteiführer zu Sondierungsgesprächen zu sich: erst den ruppigen Sozialdemokraten Robert Fico, dessen Partei Smer verlor, aber deutlich vor allen anderen Parteien liegt. Dann den selbstbewussten Neoliberalen Richard Sulík, dann einen Populisten, einen Millionär, einen Nationalisten und den Vertreter der ungarischen Minderheit. Nur einer durfte den Präsidentenpalast nicht betreten. Präsident Kiska erwähnte nicht einmal seinen Namen, warnte nur vor «radikalem politischem Extremismus in Uniform».

Der Ausgeschlossene schäumte: Der Präsident missachte den Willen von über zweihunderttausend Wählern, er trete damit die demokratischen Werte mit Füssen, postete Marian Kotleba, Führer der «Volkspartei Unsere Slowakei» (LSNS). Von seinen Anhängern bekam er Rückendeckung: «Lass dich nicht einschüchtern, Marian!», «Kiska ist ein Büttel der Amerikaner», «Das Volk ist mit uns».

Das Böse sind die anderen

16. Januar 2016

Wird Polen gerade von den Kommunisten befreit, oder droht eine neue Diktatur? Gegner und Anhänger der neuen Regierung finden keine gemeinsame Sprache mehr, der Hass wird immer grösser. 

Die Ankündigung erfolgt per Telefon, meist am Abend, nach Dienstschluss: «Kommen Sie morgen früh in mein Büro.» Der Rest ist reine Formsache: «Es ist nichts Persönliches, aber: Sie sind entlassen.» Etliche Journalisten der öffentlichrechtlichen Fernseh- und Radiostationen Polens haben ein solches «Gespräch» schon hinter sich. Der Rest fürchtet sich davor. Diese Woche wurde das halbe Team der Nachrichtensendung «Wiadomosci» gefeuert. Darunter ist auch Redaktor Maciek Czajkowski, der es noch immer nicht fassen kann, «was wir in Polen gerade erleben». 


Der Kulturpalast in Warschau. In den TV-Nachrichten darf er nicht mehr gezeigt werden.
Foto: B. Odehnal

«Unsere Stadt wurde verraten»

20. Januar 2016

Deir al-Zor, im Osten Syriens, steht kurz vor der Eroberung durch den Islamischen Staat. In Wien versuchen geflüchtete Bewohner verzweifelt, Nachrichten von ihren Freunden und Verwandten zu bekommen. 

Die neusten Nachrichten lassen nichts Gutes erwarten: Der Oberbefehlshaber der syrischen Regierungstruppen, Mohammed Kaddur, habe Deir al-Zor verlassen. Der Generalmajor sei im Kampf verwundet und nach Damaskus ausgeflogen worden, heisst es auf einer Internetsite der syrischen Regierung. «Aber das stimmt nicht», glaubt Omar B. «Unsere Stadt wurde verraten. Sie soll dem Islamischen Staat überlassen werden.» 


Strasse in Deir al-Zor nach eine Bombenangriff der Regierungsarmee. 

Der Oligarch der Oper

23. November 2015

Eine Wiener Theatergruppe hat Aufstieg und Fall von Michail Chodorkowski zum Singspiel verarbeitet. 

Auf dem Foto sind sie vereint. Wladimir Putin und Michail Chodorkowski, Russlands Präsident und sein heute im Schweizer Exil lebender Gegner. Die Gesichter sind auf die Eintrittskarten gedruckt, mit denen die Theaterbesucher den Saal betreten. Billeteure zerreissen die Karten, Präsident und Oligarch werden für immer getrennt. So beginnt die Oper «Chodorkowski» der kleinen, aber produktiven Wiener Theatergruppe Sirene in der Akademie der bildenden Künste. Das Libretto und die Inszenierung stammen von der Mitgründerin der Gruppe, Kristine Tornquist; die atonale Musik hat der in Wien lebende Grieche Periklis Liakakis komponiert. 


Da hielten sie noch zusammen: Michail Chodorkowski und Wladimir Putin auf einer Jelzin-Matrioschka. Foto: Sirene Operntheater

Die Grenze in den Köpfen

29. Oktober 2015

An der slowenisch-österreichischen Grenze wird europäisches Versagen sichtbar. 

800 Meter lang und 100 Meter breit ist das Elend der EU in der Flüchtlingskrise. Auf diesen 80'000 Quadratmetern, der Fläche von elf Fussballfeldern, kann man an der slowenisch-österreichischen Grenze so ziemlich alle Widersprüche und Absurditäten studieren. Nicht eines, sondern gleich zwei riesige Flüchtlingslager sind zwischen Eisenbahn und Autobahn entstanden, eines auf slowenischer und eines auf österreichischer Seite. 

Ein Land am Limit

28. Oktober 2015

In Österreich ist die Stimmung umgeschlagen. Konservative Politiker und Boulevardmedien hetzen gegen Flüchtlinge. Erste Regierungsmitglieder plädieren für Abschottung. 

Mitten in der Nacht wurde Mohammed Reza Musafari von slowenischen Polizisten unsanft geweckt. «Steht auf, ihr könnt nach Österreich», sagten die Uniformierten. So verliess der 43-jährige Afghane gemeinsam mit etwa 500 anderen Flüchtlingen das geheizte Grosszelt im slowenischen Grenzort Sentilj und marschierte in die Dunkelheit. Weit kamen sie nicht. Nach 300 Metern hielten sie österreichische Soldaten auf. Die Auskunft der Slowenen war falsch gewesen, Österreich liess in der Nacht auf Dienstag keine Flüchtlinge über die Grenze. Zurück ins slowenische Zeltlager durften die Flüchtlinge nicht mehr.

Vor Mozarts Geburtshaus ist Endstation

29. September 2015

Ungarn schickt täglich mehrere Tausend Flüchtlinge nach Österreich, aber Deutschland nimmt immer weniger auf.

«Werden wir heute noch nach Deutschland kommen?» Seit fünf Stunden steht Muneeb Alhamed auf der Brücke über das Flüsschen Saalach, das Österreich und Deutschland trennt. Wochenlang war der Iraker unterwegs, durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Zehn Meter trennen ihn noch von der deutschen Grenze, aber jetzt steckt er auf der Salzburger Brücke fest und mit ihm etwa 200 Iraker, Syrer und Afghanen. Die deutsche Polizei hat die Grenze zwar nicht geschlossen, aber sie lässt stündlich nur 10 bis 20 passieren. Sie werden auf dem deutschen Ufer der Saalach durchsucht und mit einem Bus ins Aufnahmezentrum Freilassing gefahren.

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«Ich danke Europa»: Der Iraker Muneeb Alhamed auf der Grenzbrücke zwischen Österreich und Deutschland. Foto: B. Odehnal

Chaos an der Grenze

10. September 2015

In den Lagern an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn droht eine humanitäre Katastrophe. 

Wie lange sitzen sie schon hier auf dem Asphalt? Die ungarischen Polizisten, die rund um die etwa 100 Flüchtlinge stehen, können es nicht sagen. Ahmed, der junge Syrer aus der Stadt Homs, auch nicht. «Zwei Stunden waren es sicher schon», sagt er und wendet sich wieder seiner Familie zu, die unter einem Tuch Schutz vor der stechenden Sonne sucht. Am frühen Vormittag überquerte die Gruppe auf einem Eisenbahngleis die Grenze zwischen Serbien und Ungarn nahe der Gemeinde Röszke. Doch zur Registrierung ins ungarische Lager wollten sie nicht. 


Flüchtlinge warten auf Busse, die sie in ein Lager bringen sollen. Foto: B. Odehnal

Die Helfer sind am Ende ihrer Kräfte

13. September 2015

In Ungarn und Österreich übernehmen Freiwillige die Aufgaben des Staates. In Österreich bleiben sie alleine, in Ungarn werden sie mit Gefängnisstrafe bedroht. 

Einen Polizisten muss sie noch überreden, dann hat es Edna geschafft. Sie schiebt eine syrische Familie durch die Barriere, steckt ihr Tickets zu und winkt noch einmal, als die Eltern mit drei kleinen Kindern den Zug Richtung Österreich besteigen. Dann bricht Edna erschöpft unter Tränen zusammen. Anderthalb Tage hat die Tochter einer Ungarin und eines Palästinensers nicht geschlafen, hat übersetzt, hat sich in die lange Schlange vor dem Ticketschalter im Budapester Ostbahnhof gestellt, um dann von einer Beamtin abgewiesen zu werden. 


Helferin Neda verhandelt am Budapester Ostbahnhof. Foto: Andras D. Hajdu

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