In Österreich und Ungarn häufen sich antisemitische Attacken. Staat und Gesellschaft reagieren beiderorts gleichgültig.
Es geschah am helllichten Tag auf einem der belebtesten Plätze Wiens. EinRabbiner der jüdischen Gemeinde war auf dem Weg zur Synagoge, als er hinter sich die lautstarke Aufforderung «Scheiss-Juden, haut ab!» hörte. Als sich der Mann umdrehte, stand da vor ihm ein Fussballfan, streckte seine rechte Hand zum Hitlergruss aus und brüllte: «Hau ab, du Scheiss-Jude. Juden raus! Heil Hitler!» Der Vorfall wurde nicht nur von Passanten, sondern auch von der Polizei beobachtet.
Am letzten Donnerstag waren besonders viele Polizisten im Einsatz, da man vor dem Match des Fussballclubs Rapid Wien gegen den griechischen Verein PAOK Saloniki Ausschreitungen befürchtete. Doch die antisemitische Hasstirade brachte die Ordnungshüter nicht aus der Ruhe. Der Rabbiner sagt, dass mehrere Polizisten seine Aufforderung, einzuschreiten, mit einem Grinsen abgelehnt hätten. Einer meinte, er solle sich doch nicht so aufregen, ein anderer, dass «heute halt Fussball» sei. Für die Beamten der Sondereinheiten wäre es leicht gewesen, den antisemitischen Schreihals aus seiner Gruppe zu isolieren und abzuführen, meint der Rabbiner. Die Wiener Polizei verspricht nun, den Vorfall zu klären und die Polizisten zur Rechenschaft zu ziehen.
Kaum Reaktionen auf Karikatur
Als vergangenen Sonntag in Berlin ein Rabbiner attackiert und schwer verletzt wurde, versammelten sich danach fast zweitausend Bürger zu einer Protestkundgebung gegen Antisemitismus. Bürgermeister Klaus Wowereit trug als Zeichen der Solidarität eine Kippa, die kleine Kopfbedeckung für jüdische Männer. In Wien hingegen forderten lediglich die Grünen Konsequenzen nach der antisemitischen Verbalattacke. Alle anderen Parteien hüllten sich in Schweigen. Die Freiheitliche Partei FPÖ hatte sich wenige Tage vor dem Vorfall für eine antisemitische Karikatur rechtfertigen müssen. Ihr Vorsitzender Heinz-Christian Strache hatte auf seiner Facebook-Seite die Karikatur eines geldgierigen Kapitalisten mit Davidsternen als Manschetten gepostet. Die kraftlosen Reaktionen auf Straches Posting ebenso wie auf die Beschimpfung würden «zu einer Verringerung der Hemmschwelle bei antisemitischen Ausfällen beitragen», warnt der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oscar Deutsch.
Auch in Ungarn zeigten Fussballfans unlängst wieder einmal ihre antisemitische Gesinnung. Bei einem Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen Israel in Budapest pfiffen und buhten die ungarischen Fans beim Abspielen der israelischen Hymne, riefen «Juden raus» und drehten dem Spielfeld demonstrativ den Rücken zu. Israelische Medien schrieben danach von einem Skandal, die ungarische Regierung konnte sich zu einer halbherzigen Entschuldigung durchringen. Ein Kommentator der konservativen Wochenzeitung «Heti Valasz» machte allerdings «gut organisierte Provokation» des Westens für den Zwischenfall verantwortlich: Damit sollte «Ungarns antisemitisches Image gestärkt werden».
«Wehleidige Antifaschisten»
Die Attacke auf den Vorsitzenden des Verbands ungarischer Antifaschisten lässt sich allerdings nicht mehr mit «westlicher Provokation» erklären: Der 54-jährige Vilmos Hanti wurde vergangenen Mittwoch in Budapest nach der Demonstration vor dem Neuen Theater (Uj Szinhaz) von einer Gruppe junger Männer zuerst bedrängt und dann niedergeschlagen.
Hanti war einer der Organisatoren der Kundgebung, die sich gegen die Aufführung des Stückes «Der sechste Sarg» des verstorbenen antisemitischen Schriftstellers Istvan Csurka richtete. Das Stück handelt von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Zum Zeitpunkt der Demonstration hatte der Budapester Bürgermeister Istvan Tarlos die Aufführung bereits verboten. Dennoch erschienen rund 500 Antifaschisten und auch etwa 100 Gegendemonstranten vor dem Theater. Die Rechtsextremisten forderten ein «neues Theater für die Ungarn». Ein starkes Polizeiaufgebot trennte erst die beiden Gruppen. Nachdem die Polizisten aber abgezogen worden waren, wurde Hanti attackiert. Sein Name war zuvor auf einer rechtsextremen Website erschienen, nach dem Überfall machte sich dieselbe Seite über die «Wehleidigkeit der Antifaschisten» lustig.
Niemand fühlt sich zuständig
Ungarns Neonazis machen in jüngster Zeit regelrecht Jagd auf Angehörige antifaschistischer Gruppen. Ihre Namen, Adressen, Autokennzeichen werden im Internet veröffentlicht, gemeinsam mit dem Aufruf zu Racheakten. Ungarns Justiz behauptet, sie sei dagegen machtlos, weil die Server der rechtsextremen Sites im Ausland stünden.
Auch die Polizei fühlt sich nicht zuständig. Der Teilnehmerin einer Kundgebung gegen den mutmasslichen Nazi-Kriegsverbrecher Laszlo Csatary wurde Personenschutz verweigert, obwohl die Rechtsextremen im Internet ein Kopfgeld gegen sie ausgelobt und sie Todesdrohungen am Telefon und per E-Mail erhalten hatte. Die Polizisten rieten der Frau lediglich, nicht mehr mit dem eigenen Auto zu fahren: Sie könnte Opfer eines inszenierten Unfalls werden.