Ein junger Österreicher hat heimlich im Asylzentrum in Traiskirchen gefilmt. Im Interview berichtet er, wie es dort tatsächlich aussieht.
Das von der Schweizer Firma ORS verwaltete Asylzentrum im niederösterreichischen Traiskirchen wird für seine unmenschlichen Zustände kritisiert. Ein junger Österreicher, Markus P. (Name von der Redaktion geändert), hat sich als Asylbewerber ins Lager geschlichen und zwei Tage lang mit versteckter Kamera den Alltag dokumentiert. Dem Tages-Anzeiger gab er als einzigem Schweizer Medium das Bildmaterial und ein Interview.
Wer sind Sie, und warum sind Sie heimlich ins Lager in Traiskirchen gegangen?
Markus P.: Ich bin in Österreich geboren, habe eine österreichische Mutter und einen afghanischen Vater. Ich habe maturiert und studiert und arbeite jetzt in der Sicherheitsbranche. Ich wollte mir einmal selbst ein Bild von den Zuständen in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen machen. Die Bevölkerung bekommt ja keine ehrlichen, objektiven Informationen, die Medien werden nicht ins Lager gelassen. Ich wollte deshalb mit versteckter Kamera den Alltag aus der Sicht eines Asylbewerbers dokumentieren.
Wie lange waren Sie im Lager?
Von Sonntag bis Dienstag. Ich habe so viel wie möglich dokumentiert, auch dass es schwarze Schafe unter den Flüchtlingen gibt. Aber das sind vielleicht drei Prozent. Der Rest ist tatsächlich auf der Flucht vor dem Krieg. Sie bräuchten unseren Schutz.
Wie sind Sie ins Lager gekommen?
Es gibt zwar einen Wachdienst, aber der schert sich wenig um die Sicherheit. Man kann leicht über den Zaun klettern, das machen die Asylbewerber auch, wenn sie nicht beim Ausgang warten wollen, bis ihr Ausweis gescannt wurde. Ich konnte einmal sogar an der Security vorbei beim Tor raus- und reingehen. Das hat die gar nicht interessiert.
Was ist Ihnen im Lager besonders aufgefallen?
Ich habe einige Fotos vom Müll in den Gängen gemacht. In den Häusern gibt es keine Mülleimer, auf keinem Stockwerk. Die Asylbewerber lagern den Müll in den Ecken, und der wird von den Remus dann irgendwann entsorgt.
Wer oder was sind Remus?
Remus ist eine Abkürzung für Asylbewerber, die für drei Euro pro Stunde niedrige Dienste im Lager verrichten, vor allem Putzdienste auf den Gängen, in den Klos und Duschen. Sie räumen auch auf Anordnung der Sicherheitsfirma Zelte im Hof weg. Wenn sie ihren Job aber nicht gut machen, bekommen sie kein Geld und verlieren ihn sofort.
Wie wird man Remu?
Man muss sich bewerben, dann drei bis vier Monate warten und erhält für zwei Wochen den Job. Dann kommen die nächsten dran. Natürlich wollen das alle machen, um etwas dazuzuverdienen. Asylbewerber bekommen sonst nur 40 Euro pro Monat zur freien Verfügung.
Wer putzt sonst noch im Lager?
Ich habe nur die Remus gesehen, keinen professionellen Putzdienst.
Wie lange liegt der Müll offen in den Gängen der Flüchtlingsquartiere?
Bis zu einem ganzen Tag. Es wird nur einmal am Tag aufgeräumt.
Wie sieht es mit den Toiletten aus?
Es gibt kein Klopapier. Ich habe mir wirklich sehr viele Toiletten angesehen, mehrmals, und habe niemals Klopapier gefunden.
ORS sagte dem «Tages-Anzeiger», die Versorgung mit Toilettenpapier sei sichergestellt.
Das ist sie definitiv nicht. Ich war zweieinhalb Tage im Lager und hatte Probleme, irgendwo Klopapier zu finden.
Welche Aktivitäten werden für Asylwerber angeboten?
Es gibt eine Tafel mit einem Freizeitplan, ich habe sie auch fotografiert. Darauf stehen tägliche Deutschkurse sowie für die Freizeit Billard. Ich habe als «Asylbewerber» ORS-Mitarbeiter in gebrochenem Englisch gefragt, wo ich Deutsch lernen könnte. Sie antworteten, dass es früher Deutschkurse gegeben habe, aber seit drei Wochen nicht mehr. Weil es zu viele Menschen im Lager gebe. Es gibt im Lager keine Stifte oder Kugelschreiber, keine Notizbücher und keine Lehrbücher für Asylbewerber. Ich habe mit Minderjährigen aus Afghanistan geredet, die liebend gerne Deutsch lernen würden, aber keine Möglichkeit im Lager finden. Ich habe ihnen dann das Alphabet beigebracht.
Gab es einen Billardtisch?
Ich habe nirgends einen Billardtisch gefunden. Es wird auch Aufgabenhilfe für Kinder angeboten, das habe ich ebenfalls nicht gefunden. Wann es wieder Deutschkurse geben soll, konnte mir auch niemand sagen.
ORS nimmt von Privatpersonen Sachspenden entgegen. Werden die im Lager verteilt?
In einem langen Gang habe ich viele volle Kisten und Plastiksäcke gefunden, da waren unter anderem auch Deutschbücher dabei. Aber da durften Asylwerber nicht hinein, und ich wurde sofort wieder weggeschickt. Es gibt da einen winzigen Vorraum, da liegen Kleiderspenden völlig unsortiert auf dem Boden und in Einkaufswagen, da können sich die Asylwerber Sachen herausziehen.
ORS-Mitarbeiter machen die Säcke auf und leeren sie einfach aus?
So sieht es aus. Es wird nichts sortiert oder kontrolliert.
Viele Österreicher wollen helfen und bringen Spenden an den Lagerzaun. Kommen diese Spenden bei den Bedürftigen an?
Sicher nicht, weil im Lager ein Schwarzmarkt aufgebaut wurde. Das ist richtig gut organisiert: Einige junge Männer stehen am Zaun und nehmen Spenden entgegen, die sie dann im Lager verkaufen, gegen andere Güter tauschen oder für sich behalten. Nur Wasser bekommt jeder am Zaun.
Weiss die Security im Lager davon?
Ich glaube, es ist ihr egal. Sie bekommen ihr Geld sowieso. Im Lager hat mich niemand angesehen, auch nicht kontrolliert. Ich habe gesehen und dokumentiert, wie ein Sicherheitsmann einen Tennisschläger aus einem Asylbewerberzelt genommen und weggetragen hat. Ich weiss nicht, ob er das durfte.
Was machen Asylbewerber mit einem Tennisschläger?
Vermutlich war das auch eine Spende von draussen. Es wurden ja auch schon Ski «gespendet». Ich habe fast alles gesehen, was entrümpelt werden kann.
Wie sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus?
Es gibt eine Art Ambulanz, aber als ich dort gegen 14 Uhr hinkam, wurde ich sofort wieder weggeschickt. Obwohl die Ambulanz bis 17 Uhr offen haben sollte.
Sie wurden nicht gefragt, warum Sie kämen und ob Sie Schmerzen hätten?
Nein, es hiess nur: «Finish for today.» Ich solle morgen wieder kommen. Es waren noch Leute drinnen, aber ich wurde nicht mehr hineingelassen.
Wie ist die Verpflegung?
Auf dem Menüplan stand: klare Gemüsesuppe mit Einlage, Puten-Cordon-bleu mit Reis und Salat. Die Gemüsesuppe gab es aber nicht. Es wäre interessant, ob sie verrechnet wurde. Ich habe auch Polizisten gesehen, die sich aus der Küche für Asylbewerber Frühstücksrationen in Plastiktaschen abgeholt haben.
Vielleicht gibt es ein Abkommen, dass sich Polizisten so versorgen dürfen?
Vielleicht. In der Küche gibt es jedenfalls keine Möglichkeit zu bezahlen.
Könnte die verantwortliche Firma ORS das Lager besser organisieren, oder geht das angesichts der Überbelegung einfach nicht?
Mein Eindruck ist, dass ORS auf alle Fälle mehr tun könnte. ORS-Mitarbeiter sind schon aktiv, zum Beispiel bei der Jobverteilung für die Remus. Und sie koordinieren das Sicherheitspersonal. Aber viel mehr habe ich nicht gesehen. Und den Sicherheitsleuten ist völlig egal, was passiert. Sie spielen auf dem Handy oder quatschen und können sonst machen, was sie wollen.
Was hat Sie im Lager besonders erschüttert?
Vor allem dass ich bei der medizinischen Versorgung weggeschickt wurde. Niemand hat sich für mich interessiert. Erschüttert hat mich auch, dass es offenbar keine Medikamente im Lager gibt. Ein Familienvater fragte mich, ob ich ihm etwas gegen Kopfschmerzen geben könnte. Und kleine Kinder laufen völlig unbegleitet und unbeobachtet durch das Lager. Niemand kümmert sich um sie.