Roma

Fast alle sind arbeitslos

26. November 2014

Vilmany gehört zu Ungarns ärmsten Gemeinden. Hier setzt das Hilfswerk Heks seine ­Roma-Strategie um.

Kurz nach 16 Uhr wird das finstere Vilmany lebendig. Buben und Mädchen kommen aus der Grundschule, laufen lärmend und lachend über die Hauptstrasse des ungarischen Dorfs an der slowakischen Grenze. Kaum sind sie beim Gemeindehaus der reformierten Kirche angelangt, werden sie leise und trotten artig in die geheizte Stube, wo Pastorin Zsuzsanna Samu wartet. Erst wird gemeinsam ein Kirchenlied gesungen, dann erzählt Samu, wie Käse und Quark hergestellt werden und wie eine Kuh gemolken wird.

 
Zsuzsanna Samu mit Kinder im protestantischen Gemeindehaus Vilmany. Foto: Andras D. Hajdu

Rückkehr in die Hoffnungslosigkeit

26. November 2014

65 Roma, die in der Schweiz um Asyl ersuchten, sind zurück in ihrer Heimatstadt im Nordosten von Ungarn. Dort   zeigt man wenig Verständnis für ihre Probleme.

Die Wohnung sieht aus, als wären ihre Bewohner nie weg gewesen. Als hätten sie nicht vor knapp einem Monat Hab und Gut verkauft, um ins Ungewisse aufzubrechen. Die Sitzgarnitur steht wieder in der Ecke, der Tisch in der Mitte des Zimmers. Die Kaffeemaschine brummt, und an der Wand hängt wieder der Flachbildfernseher, der niemals ausgeschaltet wird. Er habe die Wohnungs­einrichtung Gott sei Dank zurück­bekommen, sagt Laszlo Galamb. Zu einem guten Preis sogar, «trotzdem bin ich jetzt wieder verschuldet». Auch die Sorgen sind zurück: Wird nächsten ­Monat noch Sozialhilfe ausbezahlt? Ist genug Geld für die Miete da? Oder ­stehen demnächst Gerichtsvollzieher und Polizei vor der Tür?


Laszlo Galamb und Anita Velkovics sind zurück in Miskolc - mit einem negativen Asylbescheid. Foto: Andras D. Hajdu

Vallorbe, einfache Fahrt

23. Oktober 2014

65 Roma werden in Ungarn auf die Strasse gestellt. Sie verkaufen ihr Hab und Gut und machen sich auf den Weg in die Schweiz, wo sie Asyl beantragen möchten.


Vor der Abfahrt: Ein letztes Treffen im Haus der Familie Galamb in Miskolc. Foto: Andras D. Hajdu

«Der Bus ist da!» Irgendwo von der Strasse kam der Ruf. Und nun wird es hektisch im Haus der Familie Galamb in der nordungarischen Stadt Miskolc. Vater Laszlo schleppt Koffer und Taschen in den Hof, Mutter Anita packt die Essenspakete für die lange Fahrt ein. Die achtjährige Tochter Bianca küsst ein letztes Mal ihre Freundinnen, im Arm hält sie ihre Lieblingspuppe Monica. Ihre ältere Schwester kehrt den Boden in der leeren Küche. «Aber nicht zur Tür», mahnt die Mutter, «sonst kehrst du das Glück hinaus.» Dann versperrt der Vater das Tor, und die Grossfamilie geht über die Strasse Nummer 6 Richtung Busparkplatz. Aus den Nachbarhäusern schliessen sich Menschen mit Roll­koffern und Reisetaschen an. Die Kinder lachen, die Erwachsenen weinen.

Die Roma sollen die Stadt verlassen

7. Oktober 2014

Am 12. Oktober finden in Ungarn Kommunalwahlen statt. In der Industriestadt Miskolc haben alle grossen Parteien die Vertreibung der Roma im Wahlprogramm. Die rechtsextreme Jobbik könnte gewinnen.

Sie haben noch einmal Aufschub bekommen. Noch ein halbes Jahr dürfen Sandor Lakatos und seine Frau in ihrer kleinen Wohnung in der nordungarischen Stadt Miskolc bleiben, das hat eine Richterin entschieden. Nächstes Frühjahr aber müssen sie ganz sicher raus. Verständnis für ihre Situation habe die Richterin nicht gezeigt, meint Lakatos: «Sie sagte uns nur, wir sollten hier nicht Theater spielen.» Ihre Nachbarn trafen auf noch weniger Verständnis. Einige wurden bereits aus ihren Wohnungen geworfen, zum Teil mit Polizeigewalt. Anderen droht dieses Schicksal in den nächsten Wochen.


Sie müssen ihre Wohnung räumen: Jozsefne Molnar mit Tochter und Enkelin. Foto: B. Odehnal

Die Ausgestossenen

1. Februar 2013

Von den Rechtsextremen werden sie als Parasiten beschimpft, ein regierungsnaher Publizist ruft zu ihrer Vernichtung auf. Wie leben die 750 000 ungarischen Roma in diesem Klima?

Die Gasflasche ist leer. Ilona Molnár kochte gerade Maccheroni, als die Herdflamme mit leisem Zischen erlosch. Das war gestern. Nun kann Molnár ihrer Grossfamilie nur kalte Nudeln mit Quark servieren. Eine neue Gasflasche kann sie erst von der nächsten Rate der Sozialhilfe kaufen, «aber wir wissen nie, wann die kommt».


Adrienn Molnár mit ihrem Sohn Sándor (auf dem blauen Kissen) und weiteren Kindern der Grossfamilie. Foto: Krisztián Bócsi

Ungarische Roma gründen Schutztruppe gegen Rechtsextreme

7. September 2012

In der südungarischen Stadt Pécs hat ein Vertreter der Roma-Minderheit die Gründung einer eigenen Schutztruppe bekannt gegeben. Ferenc Bagó will 400 Mitglieder für seine Gruppe rekrutiert haben und sie auf bis zu 8000 Mann aufstocken. Aufgabe der Truppe soll der Schutz von Roma, Juden und anderen Minderheiten vor Übergriffen der rechtsextremen Ungarischen Garde sein - so lange, bis die Polizei eingreift. Bagó nennt sich auch «Hauptmann Daflics», hat eine Glatze und die Figur eines Bodybuilders. Er lässt sich in schwarzem T-Shirt und fingerlosen Lederhandschuhen fotografieren, auf einem Bild ist er mit Schwert zu sehen. Er betont jedoch den friedfertigen Charakter seiner Truppe. Den von ungarischen Medien verwendeten Ausdruck «Roma-Garde» lehnt er auf seiner Facebook-Seite ab: «Wir sind eine Friedenstruppe. Wir Ungarn sitzen alle in einem Boot. Zigeuner und Nichtzigeuner!»

Wenn Roma als Küchenschaben gelten

25. September 2009

Der Rassismus gegen Roma steigt in Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn dramatisch an. Neonazis werfen Brandsätze und morden, der Mittelstand applaudiert. Sind alle Versuche der Integration gescheitert?

Von Bernhard Odehnal, Prag

Diese Bilder schockierten eine Nation: Vermummte Jugendliche schmeissen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper, zünden Müllcontainer und Autos an, errichten Barrikaden. Ihnen gegenüber Polizisten in schwarzen Kampfanzügen, die Schlagstöcke, Wasserwerfer und Tränengas einsetzen. Die tschechische Presse schreibt danach von «bürgerkriegsartigen Zuständen»: Am 17. November 2008 marschieren rund 800 tschechische Neonazis vom Hauptplatz der nordböhmischen Industriestadt Litvinov in das am Stadtrand gelegene Ghetto Janov, um dort für «Ordnung» zu sorgen. Dass sie Gewalt anwenden wollen, legen sie schon im Motto ihres Aufmarsches fest: «Schluss mit den Samthandschuhen».

«Wir Roma hassen Nicolae Romulus M. für das, was er uns angetan hat»

10. November 2007

Weil ein junger Rom in Italien unter Mordverdacht steht, müssen Tausende Roma vor dem Hass der Italiener flüchten. In Rumänien erwartet sie jedoch nur Hoffnungslosigkeit.

Von Bernhard Odehnal, Avrig

Romasiedlung in Avrig, Rumänien

Am Samstag, 3. November, gegen 21 Uhr verliess die 19-jährige Ana Acnana gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter Alexandra für immer ihre kleine Hütte aus Sperrholz im römischen Vorort Prima Porta. Mit einer einzigen Tasche in der Hand gingen sie zum Busbahnhof Tiburtina, wo sie auf dem Boden übernachteten. Gegen 6 Uhr früh stiegen sie in einen Car, der sie ins rumänische Sibiu (Hermannstadt) brachte. Von dort war es eine weitere Stunde Fahrt mit dem Minibus in ihren Heimatort Avrig, wo sie Montagmittag ankamen.

Roma wurden zu Unrecht als Sündenböcke abgestempelt

25. Mai 2012

Ein angeblicher Überfall von Roma auf einen Jungen provozierte in Tschechien rassistische Proteste. Jetzt stellt sich heraus: Der Überfall war erfunden.

Von Bernhard Odehnal, Breclav
 
Es war ein Schock für das ganze Land. Schwer verletzt wurde ein 15-Jähriger namens Petr in das Spital der südmährischen Stadt Breclav eingeliefert. Petr sagte aus, er sei von drei Roma auf der Strasse schwer verprügelt worden, weil er keine Zigarette für sie gehabt habe.

Roma sehen von Schweizer Hilfsgeldern wenig

4. Juni 2012

Im Nordosten Ungarns sollen mit der Kohäsionsmilliarde Arbeitsplätze geschaffen und der Tourismus gefördert werden. Mit einem Teil des Geldes wird ein Schloss restauriert. Die Roma in den vielen Ghettos in der Region fühlen sich weiter an den Rand gedrängt.

 
Von Bernhard Odehnal, Sajokaza
 
«Das ist unser Schatz», sagt Katalin Petkovics zu Beginn ihrer Führung durch Schloss Radvanszky, «jetzt werden wir ihn endlich zum Glänzen bringen.» Dafür braucht es jedoch Geld. Sehr viel Geld: Das neoklassizistische Gebäude in der ostungarischen Gemeinde Sajokaza ist am Verfallen. Die meisten Räume sind leer, die Fenster undicht und die Mauern feucht. In einem Zimmer stehen noch Möbel aus jenen Jahren, als im Schloss die Grundschule war. In einem anderen erzählt eine kleine Ausstellung die Geschichte der Adelsfamilie Radvanszky, die mit Kohleminen reich wurde und vor den Kommunisten in die Schweiz floh. Die alte Bibliothek, einst die grösste private Büchersammlung Ungarns, ist teilweise noch erhalten. Jetzt soll Schloss Radvanszky generalsaniert und zum Veranstaltungszentrum ausgebaut werden. Die Mittel dafür kommen aus der Schweizer Kohäsionsmilliarde. Die für Kultur zuständige Abgeordnete Petkovics beschreibt das Projekt als «besonders wichtig für unsere Bürger». Die gesamte Region werde vom Tourismus profitieren.

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