Der österreichische Mäzen Peter Pühringer will ein Schweizer Dorf zum internationalen Zentrum für Musik, Kulinarik und Neurologie machen und gibt dafür Millionen aus. Gleichzeitig kürzt er in Österreich sein Kultursponsoring massiv.
Veröffentlicht in: Datum, Juli 2023
«Liebes Publikum», kündigte der Newsletter des Wiener Konzertsaals «MuTh» an: «Der Mai wird wieder bunt!» Die Abkürzung «MuTh» steht für «Musik und Theater». Das markante graue Haus am Rand des Augartens in der Wiener Leopoldstadt hat einen Saal für 400 Besucherinnen und Besuchern und gehört den Wiener Sängerknaben. Seit gut zehn Jahren treten hier neben dem berühmten Knabenchor bekannte Schauspieler, Kabarettisten und Musikerinnen auf.
Der Mai wurde für das MuTh dann allerdings eher pechschwarz. Mitte des Monats musste Direktorin Elke Hesse auf der Homepage das Ende des Veranstaltungsbetriebs in seiner bisherigen Form verkünden. Der Konzertsaal werde nur mehr den Wiener Sängerknaben zur Verfügung stehen und «kann als Eventlocation angemietet werden». Mit der Einsparung sei «das bisherige Profil des MuTh Geschichte», bilanzieren die Salzburger Nachrichten.
Das bedeutet nicht nur: Keine Kammermusik mehr und keine Lesungen von Tobias Moretti. Das bedeutet auch, dass 17 der insgesamt 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekündigt werden. Die meisten hätten zwar schon wieder einen neuen Job gefunden, sagt Elke Hesse zu DATUM: «Aber es tut schon sehr weh.»
Grund für das radikale Sparprogramm ist der Rückzug des Hauptsponsors. Der österreichische Multimillionär Peter Pühringer, der seit vielen Jahren die Sängerknaben sponsert, hatte die Idee zum Bau des Konzertsaals und finanzierte seit der Eröffnung 2012 zur Hälfte dessen Betrieb. Nun aber entzieht er seinem einstigen Lieblingsprojekt die Unterstützung: Statt wie bisher jährlich 1,4 Millionen Euro wird das MuTh von der «Pühringer-Gruppe» nur mehr 350.000 Euro jährlich bekommen. Direktorin Elke Hesse erklärt das im Newsletter mit «den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen und Krisen». Zu DATUM sagt sie, dass ihr Hauptsponsor das MuTh immer vor allem als Konzertsaal für die Sängerknaben gesehen habe: «Er reduziert seine Förderung jetzt wieder auf das Grundkonzept.»
Der 81-jährige Peter Pühringer wuchs in Ostdeutschland als Sohn eines Österreichers auf und machte sein Vermögen mit Immobilienkäufen in Berlin und mit Anlagefonds. Aus Deutschland nach Österreich übersiedelte er laut eigener Darstellung wegen des «großzügigen Stiftungsgesetzes». Seiner Pühringer Privatstiftung gehört das zum Fünf-Sterne-Hotel umgebaute Palais Coburg an der Wiener Ringstraße. Im Keller sollen Weine im Wert von 20 Millionen Euro lagern. Pühringers Gesamtvermögen wird von Wikipedia auf über 300 Millionen Euro geschätzt.
Sollten diese Zahlen immer noch stimmen, müsste sich der Mäzen die Förderung des Konzertsaals im Augarten eigentlich weiterhin leisten können. Warum bekommt das MuTh also plötzlich eine Million Euro weniger pro Jahr? Von Pühringer kommt auf diese Frage keine Antwort. Der Mäzen spricht nicht mehr mit den Medien. Er führe «ein zurückgezogenes Leben im wohlverdienten Ruhestand», schreibt sein Hauptgeschäftsführer.
Rückzug und Ruhestand – das mag für Pühringers Aktivitäten in Österreich gelten. Aber der Millionär hat seit über zehn Jahren seinen Wohnsitz in der Schweiz, in Vitznau am Vierwaldstättersee. Etwa zur selben Zeit, als er dem Wiener Konzertsaal MuTh den Geldhahn zudrehte, eröffnete er dort sein jüngstes Projekt: Mitten im Ort ließ er in einer 18 Meter tiefen Grube einen Konzertsaal für Kammermusik bauen. Der «KKV» – das Kürzel steht für Kultur.Kulinarik.Vitznau – ist mit 275 Sitzplätzen zwar um ein Drittel kleiner als das «MuTh», war mit Baukosten von 35 Millionen Franken aber mehr als doppelt so teuer wie das Wiener Pendant.
Um eine optimale Akustik zu erreichen, wurde der Schweizer Konzertsaal mit vergoldeten Paneelen ausgekleidet. Die Nachhallzeit könne vom Regieraum aus geregelt werden, erklärt beim Lokalaugenschein eine Mitarbeiterin: «Zwischen 0,8 und 1,6 Sekunden.» An die Decke könne der Sternenhimmel vom 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, projiziert werden. Besonders stolz ist sie auch auf das Foyer, das «vollständig digitalisiert» und als Multimediasaal verwendbar sei.
Auch wenn die Besichtigung nur kurz ist, hinterlässt sie einen bleibenden Eindruck: Der Saal ist imposant. Freundlich wirkt er nicht. Eher abweisend. Wie der Tempel einer antiken Gottheit. Oder die Schurkenzentrale aus einem James-Bond-Film. Im Mittelpunkt steht hier die Architektur, nicht die Kunst auf der Bühne. Und das hat der Bauherr offenbar so gewollt: «Das ist ein Projekt für das Guinness-Buch der Rekorde», sagt ein sichtbar stolzer Peter Pühringer in einer kurzen Videodokumentation, die auf der Homepage des Kammermusiksaals abrufbar ist.
Vitznau hat etwa 1.500 Einwohner und liegt an der «Riviera», dem sonnigen Ostufer des Vierwaldstättersees. Die guten Zeiten begannen hier mit dem Alpentourismus im 19. Jahrhundert, als die Vitznauer ihre ausländischen Gäste in Sänften auf den 1.900 Meter hohen Berg Rigi trugen. 1871 wurde Europas erste Zahnradbahn eröffnet, von der Schiffsstation auf die Rigi.
Heute bringt die Bahn rund eine halbe Million Menschen pro Jahr auf den Berg. Aber sie steigen in Vitznau nur vom Reisebus oder vom Raddampfer in die Zahnradbahn um. Der Ort profitiert von ihnen kaum. Über Jahrzehnte ging es mit Vitznau deshalb nur bergab. Selbst das mondäne Park Hotel, 1867 erbaut und mit seinen Türmchen und Erkern sowie dem eigenen Seezugang eine Schweizer Legende, lag lange im Dornröschenschlaf.
Das war auch noch so, als sich Peter Pühringer hier 2009 niederließ. War es das milde Klima der sogenannten «Riviera des Vierwaldstättersees», das den Österreicher wie magisch anzog? Die herrliche Aussicht? Oder doch der Steuersatz des Kantons Luzern, der zu den niedrigsten aller 24 Schweizer Kantone gehört? Pühringer gibt darauf keine Antwort. Das Wirtschaftsmagazin Trend schrieb damals, der Millionär habe Österreich aus Ärger über die hohe Besteuerung von Stiftungen den Rücken gekehrt. Vielleicht spielte aber auch ein gewisser Frust über den Bürgerprotest gegen den Bau des Konzertsaals MuTh eine Rolle. Denn gegen Pühringers Projekt entstand unter dem Namen «Josefinisches Erlustigungskomitee» eine breite Widerstandsbewegung, die den Baugrund am Rande des Wiener Augartens monatelang besetzt hielt und als Alternative zu den Sängerknaben barocke Spektakel bot. Letztendlich wurde das Gelände jedoch von der Polizei geräumt und Pühringers Saal unter strenger Bewachung aus dem Boden gestampft.
In Vitznau kaufte Pühringer das Park Hotel, ließ es für 270 Millionen Franken umbauen, holte einen internationalen Starkoch und stellte in den Hotelgarten eine Replika von «Bulle und Bär», der riesigen Bronzeskulptur vor der New Yorker Börse. An der Hoteladresse ist auch seine Firma «ZZ Vermögensverwaltung» registriert. In einer Reportage der Schweizer Wochenzeitung Woz erklärte eine Luzerner Immobilienmaklerin Pühringer zum Glücksfall für Vitznau, zum «echten Goldjungen»: Seit er im Dorf lebe, ziehe es auch andere Reiche hierher.
Doch Pühringer fühlte sich noch immer zu hoch besteuert. Zwei Jahre nach seiner Ankunft schenkte er Vitznau 5 Millionen Franken – mit der Auflage, dass die Gemeindesteuern sinken müssten. Bevor der Gemeinderat noch reagieren konnte, hatte der Millionär das Geld schon überwiesen. Erst danach durften die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob sie die Steuersenkung tatsächlich wollten: 178 stimmten dafür, 20 dagegen. Es blieb nicht das einzige Geschenk: Als Jahre später der Dorfarzt in Pension ging, finanzierte Pühringer eine neue Praxis in Vitznau und bezahlte auch noch den Lohn des neuen Arztes.
Ganz uneigennützig waren die Geschenke natürlich nicht. Denn Pühringer wollte bauen. Viel und hoch. Und möglichst ungestört von Bürokratie und Bürgereinsprüchen. Im Nachbarort Weggis war er mit dem Projekt zweier Hotelhochtürme an den strengen Bestimmungen des Landschaftsschutzes gescheitert. Nun bescherte er Vitznau seine Visionen: Auf dem Steilhang hinter seinem Park Hotel sollte mit der «Panorama Residenz» ein zweites Dorfzentrum entstehen. Elf Villen, fünfzig Wohnungen, eine Konzerthalle für 400 Besucher, ein Neuro-Forschungszentrum, Konferenzräume, Markthalle, Kaffeerösterei und eine Bierbrauerei. Geschätzte Kosten: 250 Millionen Franken.
Kritik am Projekt gab es im Dorf kaum. Die meisten Vitznauerinnen und Vitznauer hatte der spendable Herr aus Wien auf seine Seite gezogen. Abermals machten ihm die Behörden einen Strich durch die Rechnung. Pühringers Projekt lag in einer landschaftlichen Schutzzone. Letztendlich konnte er es ebenso wenig umsetzen, wie eine schwimmende Bühne auf dem Vierwaldstättersee. Pühringer wollte das Projekt «Seerose» direkt vor seinem Park Hotel verankern, zur Eröffnung hätten die Wiener Sängerknaben auftreten sollen. Dazu kam es nicht. Permanente Anlagen werden auf Schweizer Seen prinzipiell nicht erlaubt, auch nicht für philanthropische Zwecke.
Pühringer aber gab nicht auf. 2017 kaufte er ein weiteres Hotel in Vitznau, gleich neben Schiffsanlegestelle und Bahnhof. Kein Schmuckstück des Fin de Siècle, sondern ein schmuckloser, fünfstöckiger Bau aus den 1980er-Jahren. Auch den ließ er umbauen und eröffnete im März 2022 «Das Morgen» – laut Homepage das «weltweit einzige Themenhotel, das sich der Neurologie widmet».
Der Betrieb soll weitgehend automatisiert laufen. Buchen und einchecken kann man nur über die Homepage. Die Zimmer auf den vier Etagen sind nach den Motti «dream», «wake up», «flow» und «create» eingerichtet. Jedes Zimmer ist einer Persönlichkeit gewidmet, von Aristoteles bis Paul Bocuse. Im Foyer warten zwei Roboter namens «Vitzi» und «Telli», um die Gäste zu begrüßen, ihre Bestellungen aufzunehmen, Snacks zu servieren und das Geschirr abzuräumen.
Auch der 35 Millionen teure Kammermusiksaal gehört zum Hotel. Für seinen Bau musste mitten zwischen den alten Häusern im Dorfkern eine riesige Baugrube ausgehoben werden. Für Vitznau hieß das: Drei Jahre Baustelle, lärmende Baggerarbeiten, tausende LKW-Fahrten. Es gab dennoch keine Proteste. Pühringer konnte seine Vision im Eiltempo verwirklichen. Seine einzigen Vorgaben waren: Der Saal müsse am 10. Februar 2023 eröffnet werden. Und die gesamte Planung müsse sich dem Ziel einer optimalen Akustik unterordnen.
Und weil der Akustik-Experte mehr Raumhöhe verlangte, wurde eben noch tiefer gegraben, die Kubatur des Saals damit mehr als verdoppelt. Kosten spielten offenbar keine Rolle. Gebaut wurde auch schon, als die Bewilligungen noch fehlten. «Es ging alles irrsinnig schnell», erinnert sich die MuTh-Direktorin Elke Hesse, die für den Vitznauer Konzertsaal das Konzept erstellte und den Bau beratend begleitete: «Es war toll, aber auch sehr anstrengend.»
Die ersten Reaktionen der lokalen Medien nach der Eröffnung waren freundlich, aber mit skeptischem Unterton: Würde sich ein so ambitioniertes Projekt jemals rechnen? Der Kanton hat mit dem von Jean Nouvel gebauten Kultur- und Kongresszentrum KKL bereits ein im ganzen Land bekanntes kulturelles Zentrum, mitten in der Stadt Luzern. Wer würde da noch mit dem Schiff oder über enge Bergstraßen eine Stunde länger fahren, um Kammermusik in Vitznau zu hören?
Beim Lokalaugenschein Anfang Juni dieses Jahres sind die alten Raddampfer auf dem See ebenso wie die Zahnradbahn bis auf den letzten Platz besetzt. Auf die Rigi fahren Reisegruppen aus China und den USA ebenso wie Tagesausflügler aus der Schweiz. Vitznau kennen sie nur als Umsteigestation. Den Ort ignorieren sie. Auch Pühringers Neuro-Hotel «Das Morgen» macht einen recht verwaisten Eindruck. Die Roboter Vitzi und Telli stehen unbeachtet in der Lobby. Niemand will sich von ihnen bedienen lassen. Das Restaurant auf der Dachterrasse im 5. Stock mit herrlichem Blick auf See und Zentralalpen und Sprühnebel zur Kühlung ist an diesem sonnigen Nachmittag fast leer. Das billigste Doppelzimmer für 230 Franken pro Nacht, das Appartement für 405 Franken.
Was Peter Pühringer antreibt, das fragen sich die Menschen in Vitznau schon lange nicht mehr. Sie sprechen von ihm als «Visionär», als «Macher» und «Umsetzer». Das Dorf könne davon nur profitieren. Für seine Kritiker will sich Pühringer bloß mit aller Macht Denkmäler aus Glas und Beton setzen. Freilich: Diese Kritiker wohnen schon lange nicht mehr im Dorf und namentlich zitieren lassen will sich niemand.
Hinter dem Hotel «Das Morgen» baut Pühringer nun eine alte Villa um, damit dort seine Firma «Lake Lucerne Institute» einziehen kann. In der Aktiengesellschaft sollen alle Forschungs- und Bildungsaktivitäten vereinigt werden. Im Aufbau befinden sich zudem ein Neuro-Kulinarisches Zentrum («eine Gastronomie, in der alle Elemente perfekt auf Ihre Sinne und Ihr Wohlbefinden abgestimmt sind!»), eine Neuro-Musik-Akademie und «Musikita», ein Zentrum für musikalische Früherziehung.
Was er mit seinem 35 Millionen teuren, vergoldeten Konzertsaal anfangen soll, ist dem österreichischen Millionär hingegen offenbar nicht ganz klar. Im Gegensatz zum Wiener MuTh wird es in Vitznau keine Eigenproduktionen geben. Der Saal soll vermietet werden, für Konzerte, aber auch für Konferenzen oder private Feste. Auf der Homepage ist für die Monate Juli und August eine einzige Veranstaltung angekündigt, ein Kammermusikabend mit dem Stradivari Quartett.
MuTh-Direktorin Elke Hesse hat mit dem Eröffnungstag des Kammermusiksaals ihr Engagement in Vitznau abgeschlossen. Sie müsse nun in Wien um den Erhalt des Konzertsaals kämpfen, sagt sie. Auf Flugblättern, die im MuTh aufliegen, wirbt sie um kleinere private Spenden, verspricht Gespräche mit potenziellen Sponsoren und hofft, «dass mit der Stadt Wien und/oder dem Bund etwas gelingen kann … Derzeit können wir jede Hilfe gebrauchen!» Zusagen gibt es aber noch keine. Im Moment, sagt Hesse zu DATUM, «ist das MuTh in seiner Vielfalt nicht möglich».