Übervolle Bim, zu lange und völlig unregelmäßige Intervalle, verwirrende Informationen: Auch mehr als eine Woche nach dem U-Bahnbrand bekommen die Wiener Linien den Ersatzverkehr nicht in den Griff
Veröffentlicht in: Falter.at/morgen, 27. November 2024
Am Montagnachmittag ist das Chaos im öffentlichen Verkehr in Wien perfekt. Nicht nur die U 1 ist ausgefallen, auch auf der S-Bahn fahren wegen eines Gleisschadens kaum noch Züge. Im überfüllten Bahnhof Wien Mitte starren die Menschen auf Anzeigetafeln, die nur eine Auskunft geben: «Ausfall/Cancelled». Also aus dem Untergrund hinauf zur Haltestelle der Straßenbahnlinie O. Die fährt auch zum Hauptbahnhof. Theoretisch.
Denn die vom Praterstern kommende Bim ist so voll, dass Zusteigen unmöglich wird. Der nächste Zug? «In 20 Minuten» sagte die Anzeigetafel. Also weiter zur Ringstraße und über den Schwarzenbergplatz mit der Linie D Richtung Hauptbahnhof? Fehlanzeige, denn in der Prinz-Eugen-Straße stecken die Trams in beiden Richtungen im Stau. Mit hunderten Fahrgästen, die sich dicht gedrängt in stiller Resignation ihrem Öffi-Schicksal ergeben.
Ein gleichzeitiger Ausfall von U-Bahn und S-Bahn wie an diesem Montag ist ein Ausnahmefall. Ein hundertjähriges Hochwasser des Öffentlichen Verkehrs. Aber auch sonst läuft es auf der Nord-Süd-Achse nicht mehr rund, seit am 19. November ein leer fahrender U-Bahn-Zug nahe der Station Hauptbahnhof in Brand geriet und die U 1 zwischen Reumannplatz und Schwedenplatz auf unbestimmte Zeit gesperrt werden musste.
Mehr als eine Woche danach haben es die Wiener Linien immer noch nicht geschafft, einen halbwegs stabilen Ersatzverkehr zu organisieren. Den gibt es nur auf den Informationstafeln, die vor jeder U-Bahnstation hängen: «Hier halten Busse des Schienenersatzverkehrs bei U-Bahnstörungen». Die Route ist genau beschrieben. Im Süden Wiens würden die Busse vom Reumannplatz über die Laxenburger- und die Favoritenstraße bis zur Oper fahren. Nur gibt es diesen Schienenersatzverkehr nicht. Wozu einen Notfallplan erstellen, wenn dieser im Notfall gar nicht umgesetzt wird? Und wozu die irreführenden Informationen?
Keine Antworten von den Wiener Linien
Auf diese und andere Fragen geben die Wiener Linien keine Antwort. Die Pressestelle schreibt nur, dass es nicht möglich sei, einen U-Bahn-Zug, der bis zu 900 Personen aufnehmen kann, durch ein anderes Verkehrsmittel vollständig zu ersetzen: «Wir haben aber nach dem Brand versucht, jede Option einer Verbesserung der Anbindungen der entfallenen Strecken zu erreichen.» Deshalb seien auch die WienMobil Räder entlang der U1 zur kostenlosen Nutzung freigeschalten worden.
Weil wohl die wenigsten Fahrgästen in diesen kalten Tagen auf das kostenlose Leihrad umsteigen, setzen die Wiener Linien im Ersatzverkehr vor allem auf die Straßenbahn. Was logisch klingt, denn selbst in den längsten Gelenkbus passen höchstens 160 Personen, während ein ULF gut 200 aufnehmen kann. Der Schönheitsfehler: Es gibt im Moment keinen Schienenstrecke, die auch nur annähernd der Strecke der U 1 folgt. Am nächsten käme dem die Strecke durch die Wiedner Hauptstraße, aber dort wird die Straßenbahn erst wieder ab 30. November fahren.
Bis dahin sollen die Linien D und 13A als Ersatz für die U-Bahn dienen. Der D-Wagen wurde dafür im 1. Bezirk umgeleitet und fährt nun nicht mehr über Burg- und Universitätsring sondern über den Schwedenplatz. Im Süden wurde die Linie durch den 10. Bezirk bis zum Reumannplatz verlängert. Eine praktikable Lösung in der Theorie. In der Praxis ein Desaster. Denn die Intervalle der Linie für den Ersatzverkehr wurden nicht verkürzt. Während die U-Bahn von Oberlaa kommend auch am Wochenende alle 5 Minuten am Reumannplatz ankam, fuhr der D-Wagen von dort nur alle 10 Minuten weiter Richtung Innenstadt. Selbst am Sonntagvormittag waren die Trams deshalb so überfüllt, dass viele Menschen an den Haltestellen unterwegs nicht mehr zusteigen konnten.
Unter der Woche ist das Intervall des D-Wagen zwar kürzer, aber das Problem wird deshalb nicht kleiner. Zudem werden die übervollen Straßenbahnzüge immer wieder an großen Kreuzungen extrem lange aufgehalten, wo die Ampelphasen ganz auf einen möglichst flüssigen Autoverkehr ausgerichtet sind. Am Schwarzenbergplatz etwa, oder bei der Gürtelquerung. Will der D-Wagen auf seiner verlängerten Route nach Favoriten die Gudrunstraße queren, muss er bis zu drei Minuten warten.
Besonders schwierig für den Ersatzverkehr ist die Route über die Prinz-Eugen-Straße, auf der die Straßenbahn praktisch im Dauerstau steht. Obwohl das Problem altbekannt ist, konnte sich die Stadtverwaltung nicht dazu durchringen, zumindest für die Zeit der gesperrten U-Bahn die Parkspuren aufzulassen und die Autos zumindest auf Teilstrecken von den Schienen der Tram zu verbannen.
Rote Ampeln behindern die Tram
Halbwegs regelmäßige Intervalle einzuhalten, ist unter diesen Bedingungen für den U-Bahn-Ersatzverkehr unmöglich. Ob in den frühen Morgenstunden, zu Stoßzeiten oder am späten Abend: Eine Fahrt mit dem D-Wagen ist das reinste Glückspiel. Oft kommt 15 bis 20 Minuten kein Zug, dann folgen drei, vier Züge hintereinander.
Eine Sprecherin der für die Ampelschaltungen zuständigen Magistratsabteilung 33 teilt dem Falter mit, dass seit Einführung des Ersatzverkehrs für die U1 «Ampeln umgehend entlang der Strecke von der Polizei individuell angepasst wurden, um dem öffentlichen Verkehr mehr Grünzeit zur Verfügung zu stellen und somit ein rascheres Vorwärtskommen zu ermöglichen». Ein Lokalaugenschein am Montag konnte diese Behauptung nicht bestätigen. Da standen die vollbesetzten Trams der Linien D und O vor roten Ampeln. Und standen. Und standen…
Die Wiener Linien bedanken sich bei «unseren Fahrgästen für das Verständnis während dieser Herausforderung». Man arbeite Tag und Nacht mit Hochdruck an der Wiederinbetriebnahme der U1. Wann das sein wird, sagt die Pressestelle nicht.