Einem schweizerisch-russischen Doppelbürger wurde der Kauf einer finnischen Datscha verboten. Welche Verbindungen hat seine St. Galler Techfirma nach Russland?
Veröffentlicht in: Tagesanzeiger, 10. 10. 2024
Wer Lebensqualität sucht, der finde sie hier: So wirbt die 150 Kilometer nördlich von Helsinki gelegene Gemeinde Sysmä um Gäste. Tatsächlich ist der kleine Ort zwischen Wäldern und Seen ein Magnet für Zweitwohnungsbesitzer: Jeden Sommer verdoppelt sich die Einwohnerzahl laut Gemeinde-Website auf heute rund 8000. Nur ein Schweizer darf hier nicht wohnen.
Mitte September berichteten finnische Medien, dass Verteidigungsminister Antti Häkkänen den Antrag eines schweizerisch-russischen Doppelbürgers auf den Kauf eines Grundstücks mit Ferienhaus abgelehnt habe. Der Mann habe nämlich Verbindungen nach Russland, und seine Schweizer Firma sei im militärischen Sektor tätig, hiess es. In einer Mail an finnische Journalisten, die auch dieser Redaktion vorliegt, präzisiert Häkkänens Ministerium die Vorwürfe und nennt den Namen des Antragstellers: Vasily Engelsberg, 61 Jahre alt, Wohnsitz im Kanton St. Gallen.
Vasily Engelsberg bezeichnet Vorwürfe als «lächerlich»
Engelsbergs Firma habe nach Russland Komponenten für die Satellitennavigation geliefert, erklärt das finnische Verteidigungsministerium. Auch nach 2014, als mit der Okkupation der Krim und des Donbass die russische Aggression gegen die Ukraine begann. Der Schweizer sei deshalb eine «Gefahr für die nationale Sicherheit Finnlands». Engelsberg bezeichnet in einer Mail an diese Redaktion die Anschuldigung als «falsch und lächerlich».
Vasily Engelsberg ist Eigentümer von NVS Technologies in Montlingen im Rheintal. Im Handelsregister ist er zudem als Geschäftsführer und einziger Verwaltungsrat der Firma eingetragen. Der Firmensitz von NVS befindet sich etwas ausserhalb des St. Galler Dorfs, am Rande einer Industrielandschaft. Über dem ockerfarbenen Bürogebäude hängt der Geruch einer nahen Chemiefabrik. Bei den meisten Fenstern sind die Storen geschlossen, die Gegend wirkt verwaist. An derselben Adresse ist auch eine Schweizer Firma, die besonders reine Räume für die Halbleiterindustrie baut. Ob NVS hier tatsächlich etwas produziert, ist von aussen nicht erkennbar. Mitarbeiter sind nicht zu sprechen.
Schweizer Medien berichteten zum ersten Mal im August 2022 über den CEO und seine Firma. Der Vorwurf: Von NVS produzierte Teile seien in russischem Kriegsgerät gefunden worden. Weitere Berichte über Engelsberg folgten im Dezember 2023, weil seine Firma von der Ukraine auf die Sanktionsliste gesetzt worden war. NVS entgegnete damals, dass lediglich ein Navigationsmodul in einer über der Ukraine abgeschossenen russischen Drohne gefunden worden sei. Wie das Teil dorthin gekommen sei, sei unklar: NVS habe weltweit etwa 300’000 Module verschickt, auch nach Russland, «die für eine breite zivile Anwendung bestimmt sind».
In Helsinki hält man den Schweizer und sein Unternehmen offenbar nicht für harmlos. Das Verteidigungsministerium schreibt, dass die von Engelbergs Schweizer Firma hergestellten Produkte «einerseits direkt militärischen Operationen und andererseits dem Dual-Use von zivilen und militärischen Zwecken dienen». Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Sanktionspolitik der EU «zumindest teilweise Produkte von NVS betreffen».
Hellhörige Behörden in Finnland
Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze und eine lange Geschichte blutiger Auseinandersetzungen mit Russland. Als Reaktion auf Putins Angriff auf die Ukraine trat das Land im vergangenen Jahr der Nato bei. Wenn also nun Menschen mit russischer Staatsbürgerschaft Land erwerben wollen, macht das die finnischen Behörden hellhörig.
Auch wenn die Finnen den Vorwurf nicht explizit formulieren, so geht aus ihrem Text des finnischen Verteidigungsministeriums doch hervor, dass sie feindliche Spionage durch Engelsberg befürchten. Denn laut russischen Gesetzen wäre Engelsberg verpflichtet, in Einklang mit den Interessen des russischen Staates zu handeln: «Und diese Interessen könnten sich gegen Finnlands nationale Sicherheit richten.» Zum Beispiel durch den Kauf eines Grundstücks, wodurch er «in Finnland Fuss fassen könnte».
Engelsberg entgegnet, dass der Vorwurf «lächerlich wäre, würde er nicht von einer staatlichen Instanz kommen». Er habe die Gegend rund um Sysmä über Freunde kennen gelernt und dort 1200 Quadratmeter Land und ein kleines Holzhaus als Sommerresidenz kaufen wollen: «In einem Wald, nahe eines Sees, wo schon 100 Datschas stehen.» Eine Bedrohung gehe höchstens von dem Rasen auf seinem Grundstück aus: «Der wächst so schön, dass die Nachbarn neidisch werden könnten.»
Ein Projekt mit höchster Priorität für Wladimir Putin
Recherchen dieser Redaktion zeigen jetzt, dass Engelsbergs Geschäftsbeziehungen mit Russland viel enger waren als bisher in der Schweiz bekannt. 2010 gründete er in Moskau mit einem russischen Partner eine Firma, die Bauteile für den Aufbau von Glonass lieferte – der russischen Antwort auf das in den USA entwickelte Satelliten-Navigationssystem GPS. Die Entwicklung von Glonass habe für Präsident Wladimir Putin höchste Priorität, schrieben Engelsberg und sein Partner in einem Fachmagazin, weshalb das System «früher als geplant fertiggestellt werden muss».
Engelsberg teilt dieser Redaktion mit, dass die von der russischen Firma hergestellten Produkte nichts mit dem Militär oder anderen Sicherheitskräften zu tun hätten. In einer Studie über «westliche Elektronik im Herzen der russischen Kriegsmaschinerie» kommt das britische königliche Institut für Verteidigung und Sicherheit Rusi im August 2022 zu einer anderen Erkenntnis: Dort wird Engelsberg als der Mitbegründer der russischen Firma Navis genannt. Und diese habe 2019 rund 70 Prozent aller Aufträge vom russischen Verteidigungsministerium erhalten. Viele Bauteile seien dabei aus dem Westen importiert worden, und zwar über Engelsbergs Schweizer Firma NVS. Es sei möglich, so die britische Studie, dass die so importierten Komponenten letztendlich in russischen Waffensystemen eingebaut worden seien.
Die USA setzten deshalb die von Engelsberg mitgegründete russische Firma KB Navis im Februar 2024 auf ihre Sanktionsliste. Engelsberg entgegnet, dass er seine Anteile an dieser Firma verkauft habe, «lange bevor der Krieg zwischen Russland und der Ukraine begann». Die Liste der Aktionäre ist im russischen Handelsregister nicht öffentlich einsehbar.
Seco soll alle Lieferungen von NVS bewilligt haben
Engelsbergs Schweizer Techfirma NVS ist zwar in der Ukraine, nicht aber in Europa oder der Schweiz sanktioniert. In ihrer Medienmitteilung betont die Firma, dass sie für alle Lieferungen die Exportbewilligung vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erhalten habe. Darüber hinaus seien alle Lieferungen nach Russland und in die Ukraine gestoppt worden.
Die Medienstelle des Kantons St. Gallen bestätigt, dass weder NVS noch Vasily Engelsberg auf der Liste der Sanktionierten aufgeführt und keine Strafverfahren hängig seien. Das kantonale Steueramt werde trotzdem den neuen Hinweisen nachgehen. Das Seco äussert sich zu Einzelfällen grundsätzlich nicht.
Schon im Frühjahr 2023 wurde Engelbergs Firma in einer parlamentarischen Interpellation als ein Beispiel für mögliche Umgehungen von Sanktionen genannt. Der Bundesrat antwortete damals sehr allgemein, dass man alle Vorwürfe prüfe und die betroffenen Firmen ihre interne Kontrolle verstärken müssten. Dass der Fall nun hohe Wellen bis Finnland schlage, zeige doch, dass «das Schweizer Sanktionsregime immer noch zu löchrig ist», sagt SP-Nationalrat Fabio Molina: «Die Behörden müssen endlich alles tun, um zu verhindern, dass über unser Land der russische Krieg gegen die Ukraine unterstützt wird.»
In einer Stellungnahme vom Dezember 2023 schreibt NVS Technologies, dass die negativen Medienberichte massiv geschadet hätten: Das Umsatzvolumen sei um mehr als 80 Prozent zurückgegangen, das Unternehmen stehe «praktisch vor dem Bankrott». Das Verbot, eine Datscha in Sysmä zu kaufen, will NVS-Eigentümer Vasily Engelsberg jetzt vor einem finnischen Gericht anfechten.