Das Regime von Alexander Lukaschenko plant, den Betrieb im belarussischen Stadler-Werk wieder hochzufahren und dafür einen russischen Partner zu holen. Stadler dementiert solche Pläne.
Veröffentlicht in: Tagesanzeiger, 11. Oktober 2024
Als Peter Spuhler das neue Werk von Stadler Rail in Belarus eröffnete, lobte ihn der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko als einen Mann, der «kam, sprach und handelte». Solche Unternehmer finde man nur selten.
Das war im November 2014. Sechs Jahre später verhängten westliche Staaten erste Sanktionen gegen Belarus, weil Lukaschenko ganz offensichtlich die Präsidentenwahl fälschen und Proteste der Opposition niederknüppeln liess. Weitere Sanktionen gegen Putins Verbündeten in Minsk folgten 2022 nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. Weil kein Technologie-Import aus dem Westen mehr möglich war, fuhr Stadler Rail die Produktion im Werk nahe der Hauptstadt Minsk auf ein Minimum herab. Nach Ende der Sanktionen solle der Vollbetrieb aber wieder aufgenommen werden, sagte Spuhler unter anderem dieser Redaktion.
Bloss: So lange will Lukaschenko nicht warten.
Stadler will sein Werk nicht verkaufen
Ende September 2024 verkündete sein Verkehrsminister Alexej Ljachnowitsch vor dem belarussischen Parlament, dass Belarus «gemeinsam mit der Russischen Föderation an der Wiederherstellung der Produktion bei Stadler Minsk arbeitet». Dabei überlege man, ob mit einem russischen Unternehmen «eine Art Gemeinschaftsunternehmen gegründet werden soll, um die Produktion wiederherzustellen», wird Ljachnowitsch von der staatlichen Nachrichtenagentur «Belta» zitiert: Die Entscheidung sei eine Folge der westlichen Sanktionen, welche «den Betrieb des Unternehmens beeinträchtigen».
Der Minister nannte zwar keine Namen von potentiellen russischen Partnern, diese kursierten jedoch bald in regimenahen belarussischen Medien: Der grösste russische Bahnbau-Konzern «Transmaschholding» und die etwas kleinere «Sinara-Gruppe» sind im Gespräch. Beide Unternehmen und ihre Tochterfirmen stehen auf den Sanktionslisten der Ukraine und der USA, nicht aber der EU und der Schweiz.
Peter Spuhler sagt dieser Zeitung, dass Stadler die Sanktionen «immer zu 100 Prozent eingehalten hat». Es gebe absolut kein Anzeichen, «dass Belarus Pläne hat, an den Eigentumsverhältnissen unseres Werkes in Minsk etwas zu ändern». Spuhlers Sprecher Marc Meschenmoser fügt hinzu, dass ein Verkauf des Werks Minsk «nicht geplant ist». In etwelche Gespräche belarussischer Regierungsvertreter mit russischen Firmen sei Stadler nicht involviert gewesen.
Aber könnte Stadler so ein «Angebot» des Regimes Lukaschenko überhaupt ablehnen?
«Kaum», antwortet Pawel Latuschka, ein ehemaliger Minister und Diplomat, der heute für die im Exil lebende belarussische Opposition spricht: «Wenn diese Entscheidung auf höchster Ebene getroffen wurde, wird sich Stadler nicht dagegen wehren können».
Das System Putin setzt westliche Firmen unter Druck
Zwar gehört die belarussische Tochterfirma zur Gänze der Schweizer Stadler Rail, aber das Beispiel Russland zeigt, dass in einer Diktatur der Schutz von Eigentum keinen verlässlichen Stellenwert hat: Westliche Firmen wurden so unter Druck gesetzt, dass sie entweder ihre russischen Tochterfirmen weit unter ihrem Wert verkauften. Oder sie wurden verstaatlicht, wie etwa die russische Tochter des deutschen Energieversorgers Uniper.
Die Opposition habe Stadler geraten, nach der von Lukaschenko gefälschten Präsidentenwahl 2020 und den brutalen Repressionen gegen Regimekritiker, das Land zu verlassen, sagt Pawel Latuschka: «Wer Geschäfte in einem Land ohne funktionierende Gesetze macht, dem muss bewusst sein, dass er seine Investitionen entweder ganz verlieren kann oder dass er gezwungen wird, das Regime zu finanzieren.» Um sein System samt dem riesigen Sicherheitsapparat zu finanzieren, brauche Lukaschenko dringend Geld. Das nehme er gerne von russischen Investoren.
Stadler wollte mit dem Werk bei Minsk gross in den osteuropäischen Eisenbahnmarkt einsteigen, wie Peter Spuhler bei der Eröffnung 2014 erklärte. Die ersten Aufträge waren Doppelstockzüge für den Moskauer «Aeroexpress» sowie Waggons für Kasachstan. Auch neue Züge für die belarussische Eisenbahn sowie die Metro in Minsk waren in Planung. Die westlichen Sanktionen machten allerdings die Einfuhr westlicher Technologie nach Belarus unmöglich. Stadler verlagerte einen Grossteil der Produktion samt Personal zu anderen Werken im Westen. Von ursprünglich 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern würden heute noch 200 im Werk Minsk arbeiten und dort mechanische Montagearbeiten erledigen, sagt Stadler-Sprecher Meschenmoser.
Keiner Lieferung für die Metro Minsk
Im Sommer 2023 trat Stadler deshalb vom Bau der Metrozüge für Minsk zurück. Das habe Lukaschenko nicht goutiert, sagt Oppositionspolitiker Latuschka. Den Auftrag erhielt eine Tochterfirma der russischen Transmaschholding – jene Firma, die nun in belarussischen Medien als möglicher Partner der Schweizer Firma in Minsk genannt wird.
Dass das Regime Lukaschenko nicht warten will, bis das Stadler Werk nach Kriegsende in der Ukraine wieder Züge herstellt, machte unlängst Vizepremier Anatoli Siwak klar. Er sei überzeugt, wird Siwak in staatsnahen Medien zitiert, «dass wir weiterhin in Zügen fahren, die von diesem belarussischen Unternehmen hergestellt werden». Peter Spuhler sagt hingegen dieser Zeitung, dass Spekulationen über Enteignungen oder russische Beteiligungen «jeglicher objektiven Grundlage entbehren. Stadler weist solche Spekulationen entschieden zurück.»