Zwei Jahre lang musste eine Passagierin dranbleiben, bis sie ein verlorengegangenes Gepäckstück endlich ersetzt bekam. Wie viele derartige Fälle es gibt – und wie viele Koffer verschwinden –, verrät die Airline nicht
Veröffentlicht in: Der Standard, 5. September 2024
Es war ihre erste Reise raus aus dem Krieg. Am 8. August 2022 verließ Ljubow Petriw ihre Heimatstadt in der Ukraine, um ihre vor der russischen Invasion geflüchteten Töchter und Enkelkinder in der Schweiz zu besuchen. Erst fuhr sie mit einem Bus nach Warschau, dort hatte sie bei Austrian Airlines einen Flug nach Wien mit Anschluss nach Zürich gebucht. Als Gepäck hatte sie nur einen kleineren Koffer mit. Den wollte sie als Handgepäck mitnehmen. Austrian Airlines entschied anders. Am Gate in Warschau musste die Ukrainerin den Koffer abgeben. Kein Problem: Er fliege im Gepäckraum mit, und sie bekomme ihn in Zürich wieder, lautete die Auskunft.
Das war falsch. In Zürich wartete Frau Petriw vergeblich. Der Koffer war verschwunden. Damit begann eine mühsame Prozedur, die vielen Flugreisende kennen: anstellen beim Lost-and-found-Schalter, Formular ausfüllen, eine Liste der verlorenen Sachen schreiben. Warten.
Keine Informationen
Laut einer von der britischen BBC veröffentlichten Statistik gehen pro tausend Passagiere auf nationalen und internationalen Flügen rund sieben Gepäckstücke verloren. Bei 8,6 Milliarden Flugpassagieren weltweit, die der Flughafenverband Airports Council International (ACI) zählte, wären das fast 50 Millionen verlorene Koffer pro Jahr. Wie viele davon nach Flügen von Austrian nicht mehr auftauchten und wie viel Schadenersatz die Fluglinie zahlen musste, will die Pressestelle in Wien auf STANDARD-Anfrage nicht verraten. Sie betont nur, dass Austrian „in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen getroffen hat, um die Gepäcksbeförderung noch zuverlässiger zu machen“.
Wie Fluglinien die Beschädigung oder den Verlust von Gepäck kompensieren müssen, ist international im „Montrealer Übereinkommen“ festgelegt: Ein Koffer gilt als verloren, sollte er nicht spätestens 21 Tage nach dem Flug wieder auftauchen. Die Fluglinie hat in diesem Fall dem Besitzer oder der Besitzerin den Wert des Inhalts bis zu 1385 Euro sowie den Zeitwert des Koffers sowie die Kosten für Ersatzkäufe zu bezahlen.
Alles nachkaufen
Der Fall von Ljubow Petriw zeigt jedoch beispielhaft, wie Airlines versuchen, sich um die Entschädigungen zu drücken – wie sie ihre Kundinnen und Kunden zermürben, bis diese entnervt auf ihre Ansprüche verzichten.
Weil die damals 62-jährige Petriw alle Notwendigkeiten für einen zehntägigen Aufenthalt in der Schweiz in den einen Koffer gepackt hatte, musste sie alles nachkaufen, von Toilettenartikeln bis zur Unterwäsche. Nicht nur das: In dem Koffer waren auch Geschenke für ihre Enkel und Wertsachen der beiden Töchter, die diese bei der überstürzten Flucht aus Kiew zurückgelassen hatten. Das alles war nun weg.
Summen ohne Erklärung
Petriw erstatte bei Austrian Airlines eine Verlustanzeige und schickte eine Excel-Tabelle mit dem Wert der verlorenen Gegenstände: 1300 Euro. Dazu noch 445 Euro für die als Ersatz gekauften Gegenstände.
Mit der Antwort ließ sich die Fluglinie viel Zeit. Am 13. Februar 2023, mehr als ein halbes Jahr nach dem Verlust, kam eine Mail vom „Feedback Management“: Austrian biete 285,12 Euro Schadenersatz. Wieso genau diese Summe? Wieso viel weniger als der gemeldete Schaden? Das wurde in der Mail nicht erklärt. Sie endete mit dem Satz: „We are happy to be your preferred airline, simply: Austrian.“
Funktioniert das Konto oder nicht?
Petriw war erst schockiert, akzeptierte das Angebot aber schließlich, da ihr ein Protest sinnlos erschien. Sie schickte die Kontonummer ihrer ukrainischen Bank. Dieses Mal kam die Antwort von Austrian etwas schneller. Am 22. August 2023 schrieb das „Feedback Management“, dass die Zahlung aufgrund fehlender Daten nicht durchgeführt werden konnte. Dem STANDARD liegt die Korrespondenz vor.
Also schickte Petriw sämtliche Daten mit Adresse, IBAN und BIC noch einmal. Mehr noch: Sie eröffnete extra ein zweites Konto in Euro und schickte auch dessen Daten. Zwar befindet sich die Ukraine im Krieg, der Zahlungsverkehr mit der EU ist davon aber nicht betroffen. Der STANDARD machte sogar eine Probeüberweisung eines geringen Euro-Betrags auf Petriws Konto, um zu prüfen, ob es wirklich Probleme gibt. Doch siehe da, das Geld traf anstandslos ein. Austrian aber überwies nichts. Und antwortete nicht mehr auf Mails. Wie kann es sein, dass ein Schadenersatz, der von Austrian Airlines niemals bestritten wurde, schlicht und einfach verweigert wird?
Zwei Jahre warten
Es folgten jedenfalls zahlreiche weitere Telefonate und noch mehr Mails, erneut Listen verlorengegangener Artikel samt Rechnungen, erneut Kontoinformationen. Ljubow Petriw blieb geduldig und lieferte Informationen. Genau zwei Jahre vergingen. Dann, am 7. August 2024, kam die erlösende Nachricht: „Die Zahlung sollte mit dem nächsten Zahlungslauf, also noch diese Woche, erfolgen.“ Doch erneut kam wochenlang nichts. Später – inzwischen hatte auch der STANDARD die Austrian Airlines mit der Causa konfrontiert – kam das Geld letztlich doch noch. Dies geschah mehr als zwei Jahre nach dem Schaden. Anbei fand sich eine Entschuldigung, dass „die Zahlung so überproportional lange dauert“.
„Bedauerlicher Irrtum“
Dem STANDARD gegenüber nennt die Austrian die Causa einen „bedauerlichen Irrtum“, den man sich nicht erklären könne. Keinesfalls jedenfalls würden ukrainische Fluggäste schlechter behandelt als jene aus anderen Ländern, heißt es. „Die Ukraine ist für Austrian ein wichtiger Markt.“ Bei der Arbeiterkammer wiederum liegt Austrian Airlines betreffend Beschwerden auf Platz drei hinter den Billiglinien Ryanair und Wizzair. Die meisten Klagen würden zwar Verspätungen betreffen, sagt eine Sprecherin, „aber wir hören auch immer wieder von Problemen mit verschwundenem Gepäck“.
Im Sommer 2024 jedenfalls besuchte Ljubow Petriw erneut ihre Töchter in der Schweiz. Das war während einer kurze Pause von den ständigen Stromausfällen und den Sirenen des Luftalarms in ihrer ukrainischen Heimatstadt. Doch dieses Mal fuhr sie die gesamte Strecke in einem überfüllten Bus, 30 Stunden lang, heiß und anstrengend. Nochmals mit Austrian fliegen, das wolle die Ukrainerin „unter keinen Umständen und nicht für viel Geld“, sagt sie.