In die Falle gelockt

4. September 2015

Westlich von Budapest hält die Polizei einen Zug mit rund 500 Menschen fest. Der Weg nach Westen ist ihnen versperrt.

Als der Intercity nach Sopron den Budapester Ostbahnhof verliess, dachten seine Passagiere noch an eine Reise in die Freiheit. Nachdem die ungarische Polizei den Zugang zum Bahnhof Donnerstagmorgen wieder freigegeben hatten, stürmten Hunderte Flüchtlinge die Bahnsteige und in den nächstbesten Zug, der Richtung Westen abfahren sollte. Dass dieser Zug sie nur auf die ­ungarische Seite der Grenze bringen würde, verstanden sie nicht. Ebenso entging ihnen die Ironie der Stunde, dass die Lokomotive mit einer Erinnerung an das paneuropäische Frühstück 1989 bemalt war: Damals gingen die Grenzen des Ostblocks für Tausende Flüchtlinge aus der DDR auf. 


Flüchtlinge halten handgeschriebene Botschaften aus dem Zug. Foto: B. Odehnal

Plötzlich ist die Grenze zu

1. September 2015

Nur einen Tag liess Ungarn die Flüchtlinge nach Westen ziehen. Jetzt müssen sie wieder unter menschenunwürdigen Bedingungen vor dem Budapester Ostbahnhof lagern. 

Unvermittelt kommt Bewegung in die Menge, die gerade noch wie betäubt in der Unterführung beim Budapester Ostbahnhof lag. Junge Männer springen auf, eilen die Treppen hoch, sprinten zum Bahnhofseingang. Doch dort kommen sie nicht weiter. Die ungarische Polizei hat ihre Truppen zusammengezogen und versperrt den Eingang. Nur Ungarn und Touristen dürfen durch. Keine Flüchtlinge. Die stehen nun vor dem Tor und schreien, dass sie nach Deutschland wollen: «I want to go to Germany, train station is no place for me» oder auch «We are humans» oder einfach «Freedom». Doch die Polizei bleibt hart, und die Flüchtlinge weichen zurück in die Unterführung, wo Frauen und kleine Kinder apathisch auf Decken liegen. So, wie sie seit Tagen und Wochen hier liegen. Mit einem Unterschied: Sie haben mit ihrem letzten Geld Zugtickets in den Westen gekauft. Dennoch dürfen sie nicht reisen. 


Eine Flüchtlingsfamilie wird vor dem Budapester Ostbahnhof von der Polizei kontrolliert. Foto: B. Odehnal

Sturm auf die Züge in den Westen

1. September 2015

Nach dem Fund von 71 Toten in einem LKW verschärft Österreich die Strassenkontrollen nahe der ungarischen Grenze. Ungarn lässt dafür die Migranten zu Tausenden ausreisen. 

Und plötzlich sind die Grenzen für Flüchtlinge offen. Obwohl das natürlich niemand so sagt. Die Regierungen Ungarns und Österreichs betonen, wie scharf sie über die Asylbewerber wachen. Doch am Montagvormittag gibt die ungarische Polizei plötzlich den Budapester Ostbahnhof frei, die Flüchtlinge dürfen in den Railjet-Zügen Richtung Westen fahren. Die Nachricht verbreitete sich im «Transit Zone» genannten Lagerplatz vor dem Ostbahnhof in Windeseile. Die Züge wurden gestürmt. Etwa 400 Flüchtlinge blockierten Gänge und Einstiegstüren, weswegen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) an der Grenze die Übernahme zurückwiesen. Doch die Flüchtlinge weigerten sich, den Zug zu verlassen, da sie fürchteten, registriert und zurück nach Ungarn geschickt zu werden. Auch einen angebotenen Ersatzzug nach Wien wollten sie nicht besteigen, weil sie einen Trick vermuteten. 


Ein aus Ägypten stammender Mitarbeiter der ÖBB zeigt Flüchtlingen den Weg zum nächsten Zug. Foto: B. Odehnal

Erwischt wurden nur die kleinen Fische

30. August 2015

Die Verhafteten im Flüchtlingsdrama in Österreich gehören zu einer ungarisch-bulgarischen Schlepperbande 

Wien Hunderte Kerzen stehen vor dem Eingang zum Budapester Ostbahnhof. Sie wurden aufgerichtet zum Gedenken an jene 71 Menschen, die irgendwann zwischen Montag und Mittwoch im hermetisch verschlossenen Laderaum eines Lastwagens auf der Autobahn zwischen Budapest und Wien ums Leben kamen. Vermutlich waren sie qualvoll erstickt. Die Kerzen stammen von einer Gedenkkundgebung der ungarischen Organisation «Solidarität mit Migranten» (Migszol) am Freitagabend. Migszol betreut unter anderem Flüchtlinge, die vor dem Ostbahnhof in einer sogenannten Transit-Zone zwischen Bahnhof und Metrostation lagern. 

Auf der Wiese gestrandet

26. August 2015

Im österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen müssen Asylbewerber unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Verwaltet wird das Lager von der Schweizer Firma ORS, die jetzt unter scharfer Kritik steht.  

Dass Amnesty International (AI) die Menschenrechtslage in Flüchtlingslagern überprüft, kommt öfters vor – in Spanien, in Griechenland, in afrikanischen Ländern. Für Österreich war es eine Premiere, als AI-Mitarbeiter Anfang August die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der kleinen Gemeinde Traiskirchen, 30 Kilometer südlich von Wien, besuchten. Der Auftrag kam aus der Zentrale in London, wo man Meldungen über Tausende Asylwerber ohne einen Schlafplatz nicht glauben wollte. 

Kleiderchaos, Schwarzmarkt und kein Toilettenpapier

26. August 2015

Ein junger Österreicher hat heimlich im Asylzentrum in Traiskirchen gefilmt. Im Interview berichtet er, wie es dort tatsächlich aussieht. 

Das von der Schweizer Firma ORS verwaltete Asylzentrum im niederösterreichischen Traiskirchen wird für seine unmenschlichen Zustände kritisiert. Ein junger Österreicher, Markus P. (Name von der Redaktion geändert), hat sich als Asylbewerber ins Lager geschlichen und zwei Tage lang mit versteckter Kamera den Alltag dokumentiert. Dem Tages-Anzeiger gab er als einzigem Schweizer Medium das Bildmaterial und ein Interview. 

Mit Nato-Draht gegen Flüchtlinge

18. Juli 2015

Ungarn verlegt Auffanglager aus den Städten ins Niemandsland, an der Grenze zu Serbien sind die ersten Meter des geplanten Zauns gebaut, der neue Ankömmlinge stoppen soll. Doch die Zahl der illegalen Grenzübertritte steigt rapid an. 

Schwarze Limousinen rasen durch die Puszta. Sie hüllen blühende Sonnenblumenfelder in Strassenstaub und schrecken Jungstörche aus ihren Nestern auf. Ihr Ziel ist eine Lichtung inmitten dichter Akazienhecken: die ungarisch-serbische Grenze. Um Flüchtlinge am Grenzübertritt zu hindern, will die ungarische Regierung hier einen Zaun errichten, 175 Kilometer lang und vier Meter hoch. 

Die schwarzen Limousinen bringen Prominenz aus der Hauptstadt. Innenminister Pinter, Verteidigungsminister Hende und Regierungssprecher Kovacs zeigen 20 Kilometer westlich der Stadt Szeged etwa 100 Journalisten die ersten Meter des neuen Zauns. Pinter stapft an diesem glühend heissen Tag in Gummi­stiefeln durch den Pusztasand. Schmutzig machen müssen sich die Politiker aber nicht, für sie wurde eine Bühne mit Rednerpulten errichtet.


Zwei Minister und ein Zaun: Sandor Pinter (re.) und Csaba Hende an der ungarisch-serbischen Grenze. Foto: B. Odehnal

Sie kommen zurück

16. Juli 2015

Ein junger Österreicher reist nach Syrien, wird verwundet, kehrt zurück und muss ins Gefängnis. Damit löst der Westen aber dieses Problem nicht, im Gegenteil. 

Was macht man mit einem Jugendlichen, der sechs Monate dem Islamischen Staat diente? Der sich in diesen sechs Monaten als Schlächter an den Ungläubigen darstellte, danach reuig in seine europäische Heimat zurückkehrte? Kann diese Reue echt sein? Kann Fanatismus von selbst vergehen, oder bleibt er im Kopf hängen? 

Grüss euch, die Post ist da!

11. Juli 2015

Der ungarische Briefträger Tibor Szöke möchte die Welt ein klein wenig besser machen. Deshalb trägt er dort Briefe aus, wo niemand anderer hingehen will – in die Slums der Stadt Pécs. 

Gegen halb neun Uhr morgens wird das Tor des Postverteilzentrums geöffnet. Über 100 Briefträger eilen hinaus auf den Bahnhofsvorplatz der süd­ungarischen Stadt Pécs. Nur wenige haben ein Auto, die meisten gehen zu Fuss oder steigen in den öffentlichen Bus. Tibor Szöke nimmt die Linie 4, die zwischen Uranstadt im Westen und Heldenplatz im Osten der Stadt verkehrt. 20 Minuten muss er bis zur Endstation am Stadtrand fahren. Ein Sitzplatz ist um diese Tageszeit kaum zu bekommen, aber Szökes dunkelgrüne Posttasche ist heute auch nicht besonders schwer. Die Sozialhilfe hat er vergangene Woche ausbezahlt, Pakete muss er nur selten mitnehmen. Dafür trägt er viele eingeschriebene Briefe: von der Polizei, vom Gericht oder von Inkassobüros. Und dann sind da noch die kleinen Zettel, die Szöke weit über sein Zustellgebiet hinaus bekannt gemacht haben: Auf sieben mal fünf Zentimeter grosse grüne, rosa oder gelbe Papierstücke schreibt er mit der Hand selbst ausgedachte Lebensweisheiten und Aufmunterungen. Der streng katholische Szöke verteilt sie jeden Tag auf seinem Rundgang: «Das Gute kann man immer vermehren. Nur das lohnt sich im Leben.» Er schätzt, dass er bisher schon an die 50 000 Zettel geschrieben hat. 


Briefträger Tibor Szöke hat kein Problem mit den Menschen der Siedlung. Nur mit ihren Hunden. Foto: Andras D. Hajdu

Drohungen vor der Budapest Pride

11. Juli 2015

In Ungarns Hauptstadt feiern heute Tausende Schwule und Lesben auf der Strasse. Rechtsextreme Gruppen haben Gegenaktionen angekündigt. 

Die Vorfreude ist gross, die Nervosität ebenso. Über 10 000 Teilnehmer werden heute Samstag in der ungarischen Hauptstadt bei der Schwulen-und-Lesben-Parade Budapest Pride erwartet. Der Marsch über den mondänen Andrassy-Boulevard ist traditionell der Abschluss eines einwöchigen Kulturfestivals. Ebenso traditionell sind allerdings die Proteste rechtsextremer Gruppen gegen die Parade, bei der in den vergangenen Jahren Regenbogenfahnen verbrannt und Paradeteilnehmer zum Teil schwer verprügelt wurden. Auch in diesem Jahr erwartet die ungarische Schwulen-und- Lesben-Organisation Hatter tätliche Angriffe. Die rechtsextreme Partei Jobbik bezeichnet Homosexualität als «entartet» und «antichristlich»; seit Jahren fordert sie ein Verbot der Veranstaltung. 

Seiten