Mai 2013

«Viktor Orbán ist ein grosser Zyniker»

27. Mai 2013

Der Publizist Paul Lendvai gibt der ungarischen Regierung eine Mitschuld am wachsenden Antisemitismus und Nationalismus im Land. Ministerpräsident Viktor Orbán brauche neue Sündenböcke.

Mit Paul Lendvai sprach Bernhard Odehnal in Wien

Müssen Juden in Ungarn heute Angst haben?

Angst vielleicht nicht, aber ein Unbehagen ist schon zu spüren. Es gab ja auch einige Vorfälle: Fussballfans, die im Chor «dreckige Juden» brüllen – ein Rabbi wurde auf offener Strasse niedergeschlagen. Und dann gibt es noch die Beschimpfungen von Juden, über die nicht berichtet wird.


Paul Lendvai. Foto (Copyright): Heribert Corn

Bojko Borisow wird beschuldigt, seinen Wahlsieg gekauft zu haben

14. Mai 2013

EU-Beobachter haben den Urnengang in Bulgarien scharf kritisiert. Andreas Gross vermutet gar, dass 30 Prozent der Stimmen manipuliert wurden.

Die Wahlbeobachter sind nicht zufrieden. Die Parlamentswahlen in Bulgarien seien fair und frei verlaufen, stellt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fest: Allerdings habe es auch Vorfälle gegeben, die «das Vertrauen in die staatlichen Institutionen schwächen». Deutlicher sagt es der Schweizer Nationalrat Andreas Gross (SP), der Bulgarien für die Parlamentarische Versammlung des Europarats beobachtete: Die Wahlen seien nur sehr bedingt als frei und fair zu bezeichnen, erklärte Gross gestern in Sofia. Es habe keine Chancengleichheit für alle Parteien gegeben, zu viele Wähler seien unter Druck gesetzt worden, «zu viele Menschen hatten Angst, ihre Meinung im Wahlkampf und in der Wahlzelle auszudrücken». Gross spricht von der Entfremdung der politischen Klasse von den Bürgern. Und zwar «in einem Ausmass, das schockierend ist».

Dorf der Frankenopfer

10. Mai 2013

In der Nähe von Budapest entsteht auf der grünen Wiese eine Siedlung für Familien, die ihre Fremdwährungskredite – insbesondere in Franken – nicht zurückzahlen können.

Die Sonne brennt auf die ungarische Tiefebene, und der trockene Wind weht feinen Staub über die Felder. Zwei Wachleute einer privaten Security-Firma sitzen vor einem Container. Als sich ein Auto nähert, spannen sie ein Plastikband über die Strasse. Neben dem Band sind ein Stoppschild und eine Verbotstafel aufgestellt: Durchfahrt verboten. Durchgang verboten. «Machen Sie sich nichts daraus», sagt ein Wachtmann, «hier gibt es ohnehin nichts zu sehen.»
Zutritt verboten: Die neue Siedlung für überschuldete Familien wird gut bewacht. Foto: B. Odehnal

«Pöbeln Sie mich jetzt an?»

8. Mai 2013

Nationalistenführer Wolen Siderow sieht Bulgarien von ausländischen Konzernen und der Türkei bedroht.

Mit Wolen Siderow sprach Bernhard Odehnal in Sofia
 
Sie haben die letzten Jahre die Regierung von Bojko Borisow still unterstützt. Wollen Sie diese Politik nach den Wahlen fortsetzen?

Nein. Bulgarien ist zurzeit in den Händen ausländischer Konzerne. Es ist zur Kolonie geworden in den Bereichen Energie, Rohstoffe, Tankstellen, Dienstleistungen, Goldgewinnung, Einzelhandel. Das darf so nicht weitergehen. Bojko Borisows Partei hat die schlechten Verträge mit internationalen Konzernen nicht aufgelöst. Damit hat sie ihre Chance verspielt.


Wahlplakate für Wolen Siderow und die Partei «Ataka» in Sofia. Foto: B. Odehnal 

Bulgarien sucht den Sündenbock

8. Mai 2013

Die Bulgaren wählen ein neues Parlament. Im Mittelpunkt des Wahlkampfs stehen Armut und Machtmissbrauch.

«Eigentlich ist es eine Sünde», sagt Petar Dobrew und zeigt auf ein mit Blumen geschmücktes Foto eines hübschen jungen Mannes mit krausen Haaren: «Aber ich kann ihn verstehen, ich habe auch schon an Selbstmord gedacht. Das Leben hier ist unerträglich.» Das improvisierte Mahnmal im Zentrum Sofias erinnert an Plamen Goranow, der sich im Februar aus Protest gegen einen korrupten Bürgermeister vor dem Rathaus der Stadt Warna selbst verbrannte. Sein Tod war der erste einer Reihe von Selbstverbrennungen in Bulgarien, bei denen mindestens vier Menschen ums Leben kamen.


Kundgebung der nationalistischen Partei Atka in Sofia gegen angebliche Okkupationspläne der Türkei. Foto: B. Odehnal

Schützenhilfe von Syngenta

3. Mai 2013

Die Österreichische Volkspartei will das Verbot von Pestiziden in der EU verhindern. Dabei hilft ihr ein Vertreter des Schweizer Produzenten.

Freunde hat Nikolaus Berlakovich in der Politik nicht mehr viele. Die Opposition fordert den Rücktritt des österreichischen Umwelt- und Landwirtschaftsministers (der sich offiziell «Lebensminister» nennen darf ), der sozialdemokratische Koalitionspartner spricht von einem «Skandal». Für die Grünen ist Berlakovich ein «Industrielobbyist».

Grund für den Ärger sind die Bienen. Am Montag stimmten Vertreter der EULänder über ein Verbot dreier Pflanzenschutzmittel, sogenannter Neonikotinoide, deren Einsatz für das Bienensterben verantwortlich gemacht wird. Hergestellt werden die Mittel vom deutschen Konzern Bayer und der Schweizer Syngenta. In Brüssel waren 15 Länder für das Verbot und 8 dagegen. Unter Letzteren ist Österreich.

Orbán hat das Problem des Antisemitismus erkannt

3. Mai 2013

Ab Sonntag tagt der Jüdische Weltkongress in Budapest. Ein Fall von antisemitischer Gewalt hat die ungarische Regierung jetzt unter Zugzwang gesetzt.

Ein Fussballmatch in Budapest. Es spielt der Traditionsverein Ferencvaros, dessen Fans für ihre rechtsextreme, antisemitische Haltung berüchtigt sind. Auch an diesem Sonntag grölen einige im Ferenc-Puskas-Stadion «Sieg Heil». Als der Matchbesucher Ferenc Orosz die Fans neben ihm auffordert, solche Rufe zu unterlassen, beschimpfen sie ihn als «jüdischen Kommunisten». Nach dem Spiel schlagen ihm zwei Hooligans mit den Worten «So sieht ‹Sieg Heil› aus» ins Gesicht. Er wird mit einem Nasenbeinbruch ins Spital gebracht.

Der Innenminister hört mit

27. April 2013

Bulgarien wird kurz vor den Wahlen von einem Abhörskandal erschüttert. Der Innenminister soll jahrelang sämtliche Regierungskollegen und den Staatspräsidenten bespitzelt haben – mit von der EU finanzierten Geräten.

Erst brachte er zur Sicherheit seine Familie ins Ausland. Dann setzte sich Bulgariens ehemaliger Landwirtschaftsminister Miroslaw Najdenow ins TV-Studio und legte einen Skandal offen, der das Land noch lange beschäftigen wird. Zeitungen schrieben danach von einer «Bombe» und vom «bulgarischen Watergate». In Bulgarien ist noch niemand aus der Regierung zurückgetreten, allerdings sind die Enthüllungen erst zwei Tage alt: Sein Parteikollege, Innenminister Tswetan Tswetanow, habe in den vergangenen Jahren nicht nur ihn, sondern alle Minister, wichtige Unternehmer und den Staatspräsidenten abhören lassen, sagte Najdenow im Fernsehen.


«Für ein würdiges Leben»: Protestcamp gegen Korruption und Preiserhöhungen in Sofia. Foto: B. Odehnal

Das letzte Gefecht des roten Wiens

30. April 2013

Der Mai-Aufmarsch der Wiener Sozialdemokraten ist ein lebendes Museum der Arbeiterbewegung.

«Und nun sehen wir vor unserer Tribüne die Delegation aus dem Bezirk Simmering. Sie haben den weiten Weg auf sich genommen, um hier die Errungenschaften des roten Wien zu feiern und soziale Gerechtigkeit zu fordern. Wir begrüssen die Simmeringer Genossen mit einem herzlichen: ‹Freundschaft!›» So ähnlich wird es morgen wieder aus den Lautsprechern vor dem Wiener Rathaus und auf der Ringstrasse klingen. Wiens Sozialdemokraten feiern den Tag der Arbeit so, wie sie es seit 123 Jahren tun: mit einem Sternmarsch, der die SPÖOrganisationen aller 23 Stadtbezirke auf die Ringstrasse und vor die Prominententribüne beim Wiener Rathaus führt.