September 2015

Vor Mozarts Geburtshaus ist Endstation

29. September 2015

Ungarn schickt täglich mehrere Tausend Flüchtlinge nach Österreich, aber Deutschland nimmt immer weniger auf.

«Werden wir heute noch nach Deutschland kommen?» Seit fünf Stunden steht Muneeb Alhamed auf der Brücke über das Flüsschen Saalach, das Österreich und Deutschland trennt. Wochenlang war der Iraker unterwegs, durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Zehn Meter trennen ihn noch von der deutschen Grenze, aber jetzt steckt er auf der Salzburger Brücke fest und mit ihm etwa 200 Iraker, Syrer und Afghanen. Die deutsche Polizei hat die Grenze zwar nicht geschlossen, aber sie lässt stündlich nur 10 bis 20 passieren. Sie werden auf dem deutschen Ufer der Saalach durchsucht und mit einem Bus ins Aufnahmezentrum Freilassing gefahren.

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«Ich danke Europa»: Der Iraker Muneeb Alhamed auf der Grenzbrücke zwischen Österreich und Deutschland. Foto: B. Odehnal

Chaos an der Grenze

10. September 2015

In den Lagern an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn droht eine humanitäre Katastrophe. 

Wie lange sitzen sie schon hier auf dem Asphalt? Die ungarischen Polizisten, die rund um die etwa 100 Flüchtlinge stehen, können es nicht sagen. Ahmed, der junge Syrer aus der Stadt Homs, auch nicht. «Zwei Stunden waren es sicher schon», sagt er und wendet sich wieder seiner Familie zu, die unter einem Tuch Schutz vor der stechenden Sonne sucht. Am frühen Vormittag überquerte die Gruppe auf einem Eisenbahngleis die Grenze zwischen Serbien und Ungarn nahe der Gemeinde Röszke. Doch zur Registrierung ins ungarische Lager wollten sie nicht. 


Flüchtlinge warten auf Busse, die sie in ein Lager bringen sollen. Foto: B. Odehnal

Die Helfer sind am Ende ihrer Kräfte

13. September 2015

In Ungarn und Österreich übernehmen Freiwillige die Aufgaben des Staates. In Österreich bleiben sie alleine, in Ungarn werden sie mit Gefängnisstrafe bedroht. 

Einen Polizisten muss sie noch überreden, dann hat es Edna geschafft. Sie schiebt eine syrische Familie durch die Barriere, steckt ihr Tickets zu und winkt noch einmal, als die Eltern mit drei kleinen Kindern den Zug Richtung Österreich besteigen. Dann bricht Edna erschöpft unter Tränen zusammen. Anderthalb Tage hat die Tochter einer Ungarin und eines Palästinensers nicht geschlafen, hat übersetzt, hat sich in die lange Schlange vor dem Ticketschalter im Budapester Ostbahnhof gestellt, um dann von einer Beamtin abgewiesen zu werden. 


Helferin Neda verhandelt am Budapester Ostbahnhof. Foto: Andras D. Hajdu

In die Falle gelockt

4. September 2015

Westlich von Budapest hält die Polizei einen Zug mit rund 500 Menschen fest. Der Weg nach Westen ist ihnen versperrt.

Als der Intercity nach Sopron den Budapester Ostbahnhof verliess, dachten seine Passagiere noch an eine Reise in die Freiheit. Nachdem die ungarische Polizei den Zugang zum Bahnhof Donnerstagmorgen wieder freigegeben hatten, stürmten Hunderte Flüchtlinge die Bahnsteige und in den nächstbesten Zug, der Richtung Westen abfahren sollte. Dass dieser Zug sie nur auf die ­ungarische Seite der Grenze bringen würde, verstanden sie nicht. Ebenso entging ihnen die Ironie der Stunde, dass die Lokomotive mit einer Erinnerung an das paneuropäische Frühstück 1989 bemalt war: Damals gingen die Grenzen des Ostblocks für Tausende Flüchtlinge aus der DDR auf. 


Flüchtlinge halten handgeschriebene Botschaften aus dem Zug. Foto: B. Odehnal

Sturm auf die Züge in den Westen

1. September 2015

Nach dem Fund von 71 Toten in einem LKW verschärft Österreich die Strassenkontrollen nahe der ungarischen Grenze. Ungarn lässt dafür die Migranten zu Tausenden ausreisen. 

Und plötzlich sind die Grenzen für Flüchtlinge offen. Obwohl das natürlich niemand so sagt. Die Regierungen Ungarns und Österreichs betonen, wie scharf sie über die Asylbewerber wachen. Doch am Montagvormittag gibt die ungarische Polizei plötzlich den Budapester Ostbahnhof frei, die Flüchtlinge dürfen in den Railjet-Zügen Richtung Westen fahren. Die Nachricht verbreitete sich im «Transit Zone» genannten Lagerplatz vor dem Ostbahnhof in Windeseile. Die Züge wurden gestürmt. Etwa 400 Flüchtlinge blockierten Gänge und Einstiegstüren, weswegen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) an der Grenze die Übernahme zurückwiesen. Doch die Flüchtlinge weigerten sich, den Zug zu verlassen, da sie fürchteten, registriert und zurück nach Ungarn geschickt zu werden. Auch einen angebotenen Ersatzzug nach Wien wollten sie nicht besteigen, weil sie einen Trick vermuteten. 


Ein aus Ägypten stammender Mitarbeiter der ÖBB zeigt Flüchtlingen den Weg zum nächsten Zug. Foto: B. Odehnal

Plötzlich ist die Grenze zu

1. September 2015

Nur einen Tag liess Ungarn die Flüchtlinge nach Westen ziehen. Jetzt müssen sie wieder unter menschenunwürdigen Bedingungen vor dem Budapester Ostbahnhof lagern. 

Unvermittelt kommt Bewegung in die Menge, die gerade noch wie betäubt in der Unterführung beim Budapester Ostbahnhof lag. Junge Männer springen auf, eilen die Treppen hoch, sprinten zum Bahnhofseingang. Doch dort kommen sie nicht weiter. Die ungarische Polizei hat ihre Truppen zusammengezogen und versperrt den Eingang. Nur Ungarn und Touristen dürfen durch. Keine Flüchtlinge. Die stehen nun vor dem Tor und schreien, dass sie nach Deutschland wollen: «I want to go to Germany, train station is no place for me» oder auch «We are humans» oder einfach «Freedom». Doch die Polizei bleibt hart, und die Flüchtlinge weichen zurück in die Unterführung, wo Frauen und kleine Kinder apathisch auf Decken liegen. So, wie sie seit Tagen und Wochen hier liegen. Mit einem Unterschied: Sie haben mit ihrem letzten Geld Zugtickets in den Westen gekauft. Dennoch dürfen sie nicht reisen. 


Eine Flüchtlingsfamilie wird vor dem Budapester Ostbahnhof von der Polizei kontrolliert. Foto: B. Odehnal

Erwischt wurden nur die kleinen Fische

30. August 2015

Die Verhafteten im Flüchtlingsdrama in Österreich gehören zu einer ungarisch-bulgarischen Schlepperbande 

Wien Hunderte Kerzen stehen vor dem Eingang zum Budapester Ostbahnhof. Sie wurden aufgerichtet zum Gedenken an jene 71 Menschen, die irgendwann zwischen Montag und Mittwoch im hermetisch verschlossenen Laderaum eines Lastwagens auf der Autobahn zwischen Budapest und Wien ums Leben kamen. Vermutlich waren sie qualvoll erstickt. Die Kerzen stammen von einer Gedenkkundgebung der ungarischen Organisation «Solidarität mit Migranten» (Migszol) am Freitagabend. Migszol betreut unter anderem Flüchtlinge, die vor dem Ostbahnhof in einer sogenannten Transit-Zone zwischen Bahnhof und Metrostation lagern. 

Kleiderchaos, Schwarzmarkt und kein Toilettenpapier

26. August 2015

Ein junger Österreicher hat heimlich im Asylzentrum in Traiskirchen gefilmt. Im Interview berichtet er, wie es dort tatsächlich aussieht. 

Das von der Schweizer Firma ORS verwaltete Asylzentrum im niederösterreichischen Traiskirchen wird für seine unmenschlichen Zustände kritisiert. Ein junger Österreicher, Markus P. (Name von der Redaktion geändert), hat sich als Asylbewerber ins Lager geschlichen und zwei Tage lang mit versteckter Kamera den Alltag dokumentiert. Dem Tages-Anzeiger gab er als einzigem Schweizer Medium das Bildmaterial und ein Interview. 

Auf der Wiese gestrandet

26. August 2015

Im österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen müssen Asylbewerber unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Verwaltet wird das Lager von der Schweizer Firma ORS, die jetzt unter scharfer Kritik steht.  

Dass Amnesty International (AI) die Menschenrechtslage in Flüchtlingslagern überprüft, kommt öfters vor – in Spanien, in Griechenland, in afrikanischen Ländern. Für Österreich war es eine Premiere, als AI-Mitarbeiter Anfang August die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der kleinen Gemeinde Traiskirchen, 30 Kilometer südlich von Wien, besuchten. Der Auftrag kam aus der Zentrale in London, wo man Meldungen über Tausende Asylwerber ohne einen Schlafplatz nicht glauben wollte.