Alle gegen die Aufdeckerin

15. September 2012

In Österreich verteidigt die Grüne Gabriela Moser den Korruptionsausschuss im Parlament. Die anderen Parteien fordern ihren Kopf.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Man könnte meinen, die Zukunft des Parlamentarismus in Österreich hänge derzeit alleine an einer Frau. Besser gesagt: an ihrem Rücktritt. «Sie kann es nicht», «sie muss weg» - darin sind sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP ausnahmsweise mit den rechtspopulistischen Oppositionsparteien FPÖ und BZÖ einig. Mit «sie» ist Gabriela Moser gemeint, Abgeordnete und Verkehrssprecherin der Grünen, seit Januar 2012 Vorsitzende jenes parlamentarischen Ausschusses, der die grossen Korruptionsfälle der vergangenen zehn Jahre untersuchen soll.

Der Hass der anderen Parteien auf Moser ist enorm und ein Kompromiss nicht in Sicht. Tritt Moser nicht zurück, wird der Ausschuss blockiert, möglicherweise sogar vorzeitig aufgelöst. Doch die Grüne beharrt darauf, im Recht zu sein. Verhandlungen der Fraktionschefs brachten gestern kein Ergebnis. Parlamentspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) sieht auf allen Seiten verhärtete Positionen. Wenn sich jetzt niemand bewege, «wird es dramatisch».

Dabei scheint der Anlass des Streits, mit dem das Parlament sein wichtigstes Kontrollinstrument praktisch selbst zerstört, ziemlich banal. Moser liess einen Antrag der anderen vier Parteien auf den Stopp von Aktenlieferungen aus den Ministerien nicht gelten. Einen solchen Antrag, so ihre Begründung, müssten alle Parteien gemeinsam stellen. Die Grünen waren dazu aber nicht bereit.

Hinter der Attacke auf die Grünen steht freilich die Angst von Regierung und rechter Opposition, der Ausschuss könnte ihrer Kontrolle entgleiten und tatsächlich noch brisante Enthüllungen liefern. Und das vor einem Wahljahr. Im Schock der zahlreichen Schmiergeldaffären bekannte sich die österreichische Politik zu neuer Ehrlichkeit und Transparenz. Doch nach der Sommerpause ist davon nicht viel übrig. Lieber werden die Ermittlungen eingestellt und über die offenen Fragen der Mantel des Schweigens gebreitet, zumindest im Parlament.

Opfer des eigenen Erfolgs

Es ist noch gar nicht lange her, dass Moser von allen Fraktionen für ihre Vorsitzführung im U-Ausschuss mit Lob überhäuft wurde. Die 58-jährige Lehrerin aus Linz polarisierte weit weniger als ihr Fraktionskollege Peter Pilz und führte die teilweise sehr schwierigen und emotionalen Zeugenbefragungen umsichtig und geradlinig.

Moser hatte sich schon zuvor als hartnäckige Aufdeckerin einen Namen gemacht. Auch das Ergebnis in ihrem Ausschuss konnte sich sehen lassen. Die Befragungen brachten Licht in die Affären um Milliardenzahlungen der österreichischen Telekom und anderer staatsnaher Unternehmen an Lobbyisten, die sie vermutlich an die damaligen Regierungsparteien ÖVP und BZÖ weiterleiteten. Dafür bekamen die Firmen Gesetze nach Mass. Auch Medien waren vor dem Sommer einhellig angetan von ihrer Arbeit. Der Korruptionsausschuss wurde als der erfolgreichste U-Ausschuss der Zweiten Republik gelobt. Weitere Skandale, wie die Vergabe von Staatsbürgerschaften gegen Parteispenden, sollten im Herbst untersucht werden.

Doch Moser wird nun zum Opfer ihres Erfolgs. Die Sozialdemokraten stärkten der Grünen den Rücken, solange es um Skandale der ÖVP, des BZÖ und auch der FPÖ ging. Nun lassen sie Moser fallen. Denn die nächsten Ermittlungen würden den roten Kanzler betreffen. Werner Faymann soll den Österreichischen Bundesbahnen und der staatlichen Strassenbaugesellschaft Asfinag aufgetragen haben, Inserate und Kampagnen in seinen Leib- und Lieblingsblättern «Kronen Zeitung» und «Österreich» zu schalten. Faymann wurde darin gefeiert, die Kosten für die Anzeigen mussten die Firmen selbst tragen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue.

Kuhhandel abgeschlossen

Die Oppositionsparteien hätten Faymann gerne als Zeugen in den U-Ausschuss geladen, doch die SPÖ will das verhindern. Mit allen Mitteln. Im Interview mit dem ORF meinte Faymann, er habe nichts Unrechtes getan, und die Ermittlungen würden nichts ergeben. Seinem Fraktionsführer Josef Cap genügte das vollauf: Der Kanzler habe im Fernsehen Auskunft gegeben, so Cap. Damit habe sich eine Befragung durch die Abgeordneten erledigt. Diese Geringschätzung des Parlamentarismus bezeichnete allerdings sogar Caps Parteifreundin und Parlamentspräsidentin Prammer als «Dummheit».

Hinter den Kulissen aber dürften die sonst meistens zerstrittenen Koalitionsparteien längst einen Kuhhandel abgeschlossen haben: Du tust mir nicht mehr weh, ich tu dir nicht mehr weh. Auch die rechten Oppositionsparteien können mit dem vorzeitigen Ende des Ausschusses gut leben. So bleiben ihnen peinliche Fragen nach illegaler Finanzierung erspart. Die grüne Vorsitzende ist das Bauernopfer. In den letzten Sitzungen der Fraktionsführer stand die Oberösterreicherin vier Männern gegenüber, die sich nicht durch die besten Manieren auszeichnen. Es soll viel gebrüllt und gedroht worden sein. Moser gibt dennoch nicht auf. «Sie wollen meinen Kopf», sagt sie über die anderen Parteien, «aber den bekommen sie nicht.»