Fegefeuer der Eitelkeiten
Begeisterung ist Bürgerpflicht, Ironie verpönt, und Conchita Wurst tönt aus der Kanalisation. Wien im Zeichen des Eurovision Song Contest: Momentaufnahmen einer Stadt im Ausnahmezustand.
Residenz der Schweizerischen Botschaft.
«Na, das ist doch nett», seufzt der grauhaarige Diplomat, als der Applaus für die junge Künstlerin verebbt. Ob das ernst oder ironisch gemeint war, ist bei einem Publikum schwer herauszufinden, das sich berufsbedingt stets hinter distanzierter Höflichkeit versteckt. Es ist ein lauer Abend, der Schweizer Botschafter hat zum Empfang geladen. Ehrengäste im frisch renovierten Seitentrakt des barocken Palais Schwarzenberg sind Mélanie René und ihr Team für den Song Contest. Begleitet von einem sensiblen Pianisten, singt die 24-jährige Genferin zwei sehr langsame Jazzstandards und danach von ihrem Weg aus der Dunkelheit, «Time to Shine».