Bürgerkrieg auf der Busspur

26. August 2013

Wien hat eine neue Fussgängerzone - und ist darob völlig aus dem Häuschen.

Man könnte meinen, die Apokalypse drohe. Als würde das ach so schöne, gemütliche Wien von einem grünen Monster zertrampelt werden. Verletzte und Tote werden prophezeit, Chaos auf den Strassen und Ökodiktatur im Rathaus. «Wehret den Anfängen», tönt es, als stünde ein neuer Faschismus vor der Tür. So viel Aufregung in einem trägen Sommermonat hat es schon lange nicht gegeben.

Was ist geschehen? Die rot-grüne Stadtkoalition hat die beliebteste Einkaufsmeile Mariahilfer Strasse - in dialektaler Kurzform Mahü - vom Autoverkehr befreit. Oder: beinahe befreit. Eigentlich wollte die grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou eine richtige Fussgängerzone - in bürokratischer Kurzform Fuzo. Sie glaubte, dass so ein Umbau im 21. Jahrhundert auf mehr Akzeptanz und weniger Widerstand stossen werde als die erste Fussgängerzone in der Kärntner Strasse 1974. Das war ziemlich naiv gedacht.

Die gebürtige Griechin Vassilakou lebt zwar schon Jahrzehnte in Wien, die Abneigung der Wiener gegen jede Veränderung hat sie dennoch unterschätzt. Es protestierten: die Kaufleute, die Autofahrerclubs, die Opposition, die Bezirkspolitiker. Wo sollten denn jetzt die Autos fahren? Und parken? Weil die grüne Stadträtin auf die Kritiker hören und es irgendwie allen recht machen wollte, kam ein einzigartiger Bastard heraus, mit dem niemand so richtig glücklich ist. Womit die Griechin in der österreichischen Realität angekommen ist, die schon Franz Grillparzer präzise beschrieben hat: auf halbem Weg zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft streben.

Immerhin hat Wien ein neues Weltwunder: die erste Fussgängerzone, «für die eine Gebrauchsanleitung notwendig ist». So ging vor ein paar Tagen noch ein Scherz durchs Internet. Mittlerweile ist er Wirklichkeit. Entlang der Strasse belehren Schilder die Autofahrer, was sie nicht dürfen, Broschüren erklären Velofahrern und Fussgängern, wo sie wie schnell fahren (oder gehen) dürfen - und wo nicht.

Die Wiener Boulevardblätter mit ihrer ausgeprägten Grünphobie lassen keine Gelegenheit aus, die Mariahilfer Strasse zur Bürgerkriegszone zu erklären. Dabei sorgen Kohorten von Uniformierten in der Zone, dass es nicht zum Äussersten kommt: Polizisten, Magistratsbeamte, Kontrolleure der Verkehrsbetriebe. Jeder hat ein scharfes Auge auf die Strasse und auf sein Gegenüber. Jede feindliche Bewegung wird gemeldet. Zu schnelle Velofahrer sollen mit Laserpistolen gemessen werden.

Es ist aber auch gar nicht so einfach, sich richtig zu verhalten. Denn die Fuzo in der Mahü hat viele Tücken. Sie beginnt beim Westbahnhof auf 400 Metern als «Begegnungszone», wo Fussgänger, Velofahrer und Autofahrer gleichberechtigt unterwegs sein dürfen. Letztere dürfen fahren, aber nur mit höchstens 20 Kilometern pro Stunde. Es folgt eine echte Fussgängerzone, in der Velos allerdings erlaubt sind. Danach kommt die eigentliche «Problemzone»: 200 Meter, die in östlicher Richtung von Bussen der Linie 13 A befahren werden. Das wäre ja, als ob das Tram durch die Zürcher Bahnhofstrasse fahren würde. Völlig undenkbar also - aus Wiener Sicht. Und Wiener lassen sich nicht gerne von der Realität eines Besseren belehren. Die Gewerkschaft der Busfahrer warnte vor blutigen Unfällen mit unachtsamen Fussgängern und drohte mit Streik. Die Stadtverwaltung ging in die Knie. Der Bus, eine der wichtigsten Linien in Wien, wird an Samstagen teilweise eingestellt und soll bald durch andere Strassen fahren.

Nicht einmal jene, für die die Strasse eigentlich da sein sollte, fühlen sich richtig wohl. Viele Fussgänger bleiben lieber auf den Trottoirs, warten am Strassenrand, ob nicht doch noch ein Auto vorbeikomme. Man kenne sich gar nicht mehr aus, wo man gehen dürfe, meckert einer. Die Wiener wollen genaue Anweisungen von oben. So war es immer schon, so soll es bleiben. Das Gespenst der Freiheit (und sei es auch nur die Bewegungsfreiheit) ist ihnen doch sehr unheimlich.