Russen brauchen keine Quote

22. Januar 2013

Österreich wird von neureichen Russen besetzt - und aufgekauft.

Wo kommen nur die vielen Russen her? In der Wiener Kärntnerstrasse: «Oj, kak harascho!», in der Salzburger Getreidegasse: «Schto pakupajem?» , beim Skilift in Kitzbühel: «Bystro, bystro, pojechali!» Sie sind überall. Tausende und Abertausende. In den Fussgängerzonen, in Kaffeehäusern, Kaufhäusern, auf den Skipisten. Wo kommen die bloss her?

Gut, allein in Moskau sollen ja fast zehn Millionen Russen leben. Aber jetzt in der kalten Jahreszeit halten sich gefühlte 80 Prozent von ihnen in Österreich auf. Da stellt sich natürlich die Frage: Wer hält den Betrieb zu Hause aufrecht? Wer fährt die Metrozüge, wer macht Nachtdienst in den Spitälern? Wer regiert im Kreml? Wladimir Putin? Der sitzt sicher in einem seiner Paläste an der Schwarzmeerküste. Gérard Depardieu vielleicht? Als neuer Russe kann er seine Talente unter Beweis stellen.

Viel leichter ist die Frage zu beantworten, was die Russen in Österreich machen. Sie kaufen und saufen. Sie wollen ihrem Klischee nicht nur entsprechen, sondern es übertreffen. Als würden sie den Österreichern sagen: «Ihr glaubt, ihr kennt unsere Dekadenz? Wir können noch ganz anders!» Und dann werden die Nobelboutiquen leer gekauft. Erst Gucci, dann Louis Vuitton und Emporio Armani. Und im Vorbeigehen nehmen wir noch diese schicke Dachwohnung mit Blick auf den Wiener Stephansdom. Das Geld haben wir in Plastiktüten gleich mitgebracht.

Wenn Wiener Geschäftsleute behaupten, russische Kunden seien in Wirklichkeit vornehm, bescheiden und rücksichtsvoll, dann erzählen sie Märchen, die höchstens der Umsatzsteigerung dienen. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun. Ehrlicher ist da schon eine Flugbegleiterin von Austrian Airlines, wenn sie von den Linienflügen nach Moskau erzählt. Bei jedem, sagt die Frau (die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will), würden die Kids neureicher Russen ihre brandneuen iPods und iPads im Flugzeug vergessen. Pro Flug würde sie vier bis fünf Geräte in den Sitzablagen finden, manchmal auch mehr. Niemand frage später bei «Lost and Found» danach: «Es ist ihnen egal, sie kaufen einfach neue Geräte». Einmal habe sie sogar in einer Ablage ein Kuvert mit Euroscheinen gefunden. Ein dickes Bündel mit vielen 500er-Noten. Auch das habe sie vorschriftsmässig abgegeben. Ob sich der Eigentümer jemals wieder gemeldet hat? Sie weiss es nicht. Finderlohn gab es jedenfalls keinen.

Wer nicht gerade im österreichischen Einzelhandel oder Tourismus tätig ist, sieht die Invasion der Russen skeptisch. Um ihre Bürger zu beruhigen, wollte die Tiroler Gemeinde Kitzbühel vor einiger Zeit schon eine «Russenquote» einführen. In den Hotels sollte der Anteil russischer Gäste auf 10 Prozent begrenzt werden. Tourismus-Direktorin Renate Danler sprach damals vom Trend zur «internationalen Varietät»: Man habe von St. Moritz gelernt, wenn eine Nation überhandnehme, entstehe ein «gewisses Machtverhältnis».

Heute sind die Russen in Kitzbühel omnipräsent, mehr noch als in St. Moritz. Sie haben die Pisten, die Discos und die Nobelrestaurants erobert, es gibt russische Speisekarten und russischsprachige Skilehrer. Und wenn die Gäste aus Moskau oder Sankt Petersburg kein Zimmer bekommen, kaufen sie halt das ganze Hotel. Russen sind in solchen Fragen sehr pragmatisch.

Frau Danler aber arbeitet jetzt in Wien als Direktorin der Wiener Hofburg. Von der Idee der Russenquote hat sie sich wieder verabschiedet. Denn auch in den Prunkräumen der kaiserlichen Residenz will man nicht auf finanzstarke Gäste verzichten, die Souvenirs gleich kiloweise kaufen. Anfang Februar findet in der Hofburg der «russische Ball» statt, bei dem die Neureichen ihre Luxusgarderobe auf das Tanzparkett führen, während ihre Sprösslinge in den Logen gelangweilt auf dem iPad spielen. Und wenn sie die elektronischen Geräte dann liegen lassen, ist das kein Problem: Vor dem Abflug nach Moskau wird der Herr Papa noch zwei, drei neue kaufen.