«Am Anfang schwitzte ich Blut»

8. Mai 2014

Guido T. war Zögling im Kloster Fischingen, bereiste die Welt, wurde Seemann. Dann machte er Karriere als Einbrecher. Nun schildert ein Buch von TA-Mitarbeiter Bernhard Odehnal sein Leben. Ein Vorabdruck.

Guido T., reden wir über Ihre Karriere als Einbrecher und Tresorknacker. 1966 haben Sie sich von der Seefahrt verabschiedet und sind zurück nach Zürich. Wie sind Sie danach ins Verbrechermilieu gerutscht?

Ich bin zurück nach Zürich und habe gemerkt: Ich habe nichts. Keinen Beruf, keine Lehre, einfach nichts. Ich konnte weder schreiben noch richtig lesen oder rechnen. Solche Menschen wie ich suchen dann ihresgleichen. Die finden sie aber nicht in den Quartierbeizen, wo jeder mit seinem Beruf angibt: Der eine ist bei Oerlikon-Bührle, der andere bei der BBC. Da merkte ich gleich: In dieser Gesellschaft habe ich nichts verloren. Dann ging ich in die Bars an die Langstrasse und hörte sofort: Ah, hier sprechen sie meine Sprache. Die machen Fehler beim Sprechen, und keiner stört sich daran. Da bin ich zu Hause, da sind Typen, die kommen aus demselben Sumpf wie ich.


Unterwegs. Guido T. und ein Freund in Ägypten, Anfang der 80er Jahre

Sie waren lange weg von zu Hause, Sie kannten wahrscheinlich kaum noch jemanden in Zürich. Konnten Sie sofort Kontakt zu den Einbrechern und Zuhältern knüpfen?

Erst ging ich in eine Bar, setzte mich in eine Ecke, hörte einfach nur zu: was die reden, wie viel Geld die ausgeben, was die für Autos fahren. Ich blieb still und trank Bier. Irgendwann wollte ich aber mitreden und meldete mich halt: «Jetzt hab ich Geld genug, jetzt spendier ich eine Runde.» Dann kam natürlich die Antwort: «Ja, schau mal, da hat einer eine Runde geschmissen! Danke dem Spender! Wie heisst du? Guido? Willkommen Guido!» Dann fing ich zu erzählen an und anzugeben: was ich nicht alles konnte, was ich nicht alles machte. So überspielte ich meine Komplexe. Das machen alle dort. Wieso sollte ich nicht mitmachen?

Irgendwann bemerkte ich: Mein Geld reichte nicht, um mitzuhalten. Dann sagte mir der Sepp: «Kommst am Abend mit mir, dann hast am nächsten Tag die Kohle. Dann kannst mit uns am Nachmittag am Türlersee liegen, wenn andere schaffen müssen.» So fing alles an. Beim ersten Bruch bekam ich zehn Prozent der Beute. Da konnte ich am Abend wieder eine Runde ausgeben. Und am nächsten Nachmittag lag ich mit den anderen am See. Dann hatte ich eine Freundin, die war eine Nutte, die ging dann anschaffen für mich. Die anderen Freunde hatten auch Nutten. Und so bin ich immer tiefer ins Loch gerutscht.

Ihre Kumpane bei den Einbrüchen haben Ihnen sofort vertraut?

Ja. Die Leute, die in solchen Bars verkehren, sind alle Windvögel. Zuhälter, Einbrecher, Betrüger finden einander. Eigentlich kamen alle, mit denen ich damals zusammen war, aus Kinderheimen oder zerrütteten Ehen. Teilweise waren sie schon im Knast gewesen.

Bis Sie zum Kopf einer Einbrecherbande wurden, war es noch ein längerer Weg.

Ich fing natürlich ganz unten an und arbeitete mich langsam nach oben. Und plötzlich durfte ich einmal ins Lokal der Hells Angels, und der Chef kam auf mich zu: «Hoi Guido, wo schafft deine Alte an?» Du hast neue Freunde, machst Brüche, hast eine Nutte, und das grosse Geld kommt. Da fängt das Leben an, Spass zu machen. Ich war braun gebrannt, fuhr einen Chevy Nova und sagte mir: Anders will ich nicht mehr leben. Dann hörte ich aber: Dort und dort gingen Banden «in die Luft», wie wir zu Verhaftungen sagten. Es wurden immer mehr. Da wurde ich schon nachdenklich.

Was hat Ihnen im kriminellen Milieu Zürichs am meisten Respekt eingebracht: dass Sie auf einer Chilbibahn gearbeitet haben, dass Sie im Kinderheim waren oder dass Sie als Matrose um die Welt fuhren?

Das Wichtigste für mich war das Heim in Fischingen. Dort habe ich gelernt, wie ich innert Sekunden jedes Schloss öffnen kann. Die Seefahrt war mir im Milieu eher hinderlich, weil Seeleute ein anständiges Volk sind. Ich kenne keinen Einbrecher unter den Seeleuten.

Viele Seeleute haben nach ihrer Ausmusterung Karriere bei der Polizei gemacht. Einer, mit dem ich kurze Zeit auf einem Schiff war, hat mich Jahre später in Handschellen abgeführt. Wir haben dann jahrelang nicht miteinander gesprochen. Auch im Schweizer SeemannsClub war ich nicht so gern gesehen.

Schon bald nach Ihrer Rückkehr nach Zürich haben Sie zum ersten Mal geheiratet.

Die Berti habe ich im Albisriederhaus kennen gelernt. Da war ich zum Tanzen und hatte schon einige Gläser getrunken. Nüchtern war ich ein Feigling, nur alkoholisiert hatte ich den Mut, eine Frau anzusprechen. Und das habe ich dann getan. So lernte ich an diesem Abend Berteli und Sepp kennen. Ich bin bei Berteli im Bett gelandet. Dass sie damals die Freundin von Sepp war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Sepp und ich wurden Freunde. Das glaubte ich damals zumindest. Ich habe Berti dann nach kurzer Zeit geheiratet. Ich hatte dann sogar einen Job als Kellner in der «Grütfarm Adliswil», der Verdienst war nicht schlecht. Aber ich brauchte mehr, und als Sepp mir beschrieb, wie ich zu Geld kommen könnte, war ich zu allem bereit. Das war der Untergang für mich und für meine Ehe mit Berteli.

Ihre Frau war bei den Einbrüchen dabei?

Ich habe mit ihr ein gutes System ausgearbeitet. Wir haben Zeitungsannoncen studiert: Welche Firmen suchen eine Sekretärin oder Telefonistin? Sie hat sich dann beworben und beim Bewerbungsgespräch das Büro ganz genau angesehen: Wo gehts rein? Wo steht der Tresor? Wie stark sind die Türen? Gibt es Alarmsysteme? Die konnte man meistens schon sehen, wenn man die Tür aufmachte, denn die waren im Türschloss. Berti hat also alles ausgekundschaftet, und wir haben in der Nacht dann den Bruch gemacht. Am nächsten Tag hiess es in der Zeitung: «Die Durbridge-Bande hat wieder gewütet.» Berti hat nach meiner Verhaftung mit dem Sepp noch weitergemacht. Bis er sie dann hat sitzen lassen.

Verheiratet waren Sie mit Berti von April 1966 bis November 1968.

Genau. Wie ich 1968 zum ersten Mal ins Gefängnis musste, kam gleich die Scheidung. Wie wir geheiratet haben, wusste sie aber schon, dass ich mit Kriminellen zusammen war. Wir waren ja in den Bars an der Langstrasse immer zusammen. Der Oski, der Fredi G., die Brüder Rolf und Kurt W., beide sind schon gestorben, und halt auch der Sepp. Als mich der einmal gefragt hat: «Du bist doch sehr gut in Schlösser aufmachen?», habe ich geantwortet: «Ja, das habe ich im Kinderheim Fischingen gelernt.»

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie wirklich im Kloster Fischingen gelernt haben, einen Tresor zu öffnen. Sie werden doch sicher noch eine zusätzliche Ausbildung im Milieu bekommen haben?

Das war an der Langstrasse und in der Kanzleistrasse. Im «La Popote», im «Inkognito», in der «Charlie’s Bar». Da sassen die ehemaligen Einbrecher, und man konnte sich von ihnen etwas zeigen und beschreiben lassen. Der Sepp hatte mehr Erfahrung, der war schon bei anderen Brüchen dabei gewesen. Mit dem Schweissgerät umgehen konnten wir beide, Sepp hatte einen mechanischen Beruf erlernt und ich das Schweissen während meiner Zeit auf den Hochseeschiffen.

Wie fühlten Sie sich beim ersten Einbruch?

Blut habe ich geschwitzt. Aber dann bist du da drinnen, hast deinen ersten Wandtresor offen, stehst mit klopfendem Herzen davor, zählst die Kohle und: Wow! Dieses Erlebnis kann ich kaum beschreiben. Vielleicht ist das wie bei einem Fussballspieler, der im Finale der Champions League ein Tor schiesst. Der Adrenalinstoss! Für mich ging es nicht nur ums Geld. Das Adrenalin geht dir rauf und runter und irgendwann wirst du süchtig. Am Anfang machten wir kleinere Einbrüche: in Garagen, kleinen Läden, Restaurants. In einem waren wir uns immer einig: Wir haben geschworen, nie eine Waffe zu gebrauchen. Daran haben wir uns immer gehalten. Wir planten aber jeden Bruch sehr genau.


Im Januar 1968 berichtete der «Blick» über Guidos Einbrüche. 

An einen Bruch kann ich mich noch sehr gut erinnern. Das war im Herbst 1967, es war am Abend und schon kalt. Wir hatten das Restaurant einige Abende beobachtet und wussten: Das war ein gutes Objekt. Wir bekamen durch unsere Beobachtungen heraus, wo die Geldkassette lag, wie wir in das Restaurant hineinkommen und wo der Fluchtweg ist. Am Abend des Bruchs gingen wir hinein, tranken ein Bier, ich ging ins WC und öffnete das Fenster einen Spalt. Aber so, dass man es nicht sehen konnte. Wir warteten dann in der Nähe des Lokals bis zur Sperrstunde.

Als das Personal und der Wirt das Lokal verlassen hatten, gingen wir zum präparierten Fenster. Es befand sich in einem schmalen, dunklen Durchgang, da konnte uns niemand beobachten. Ich habe mich kopfüber durch das enge Fenster ins WC gezwängt, der Rest war ein Kinderspiel: Die Kassette war dort, wo sie sein sollte. Der ganze Bruch dauerte keine fünf Minuten. Ich habe noch das gestohlene Auto ausserhalb von Zürich abgestellt, und dann sind wir zu mir nach Hause gegangen. Bei solchen Einbrüchen haben wir immer zwischen fünf- und zehntausend Franken geholt. Damals rannten die Wirte nicht gleich mit jeder Einnahme auf die Bank, so wie heute. Da blieben die Einnahmen von ehreren Tagen im Tresor liegen, und wir mussten nur einen guten Tag auswählen, um Kasse zu machen. Für jeden Bruch haben wir ein anderes Auto geklaut, oft haben wir den Wagen danach an denselben Ort zurückgestellt, wo wir ihn genommen hatten. So war der Besitzer nicht geschädigt, meistens merkte er nicht einmal, dass sein Auto benutzt worden war. Das hört sich jetzt sehr menschenfreundlich an, aber wir wollten vor allem das Risiko so klein wie möglich halten. Wo kein vermisstes Auto ist, gibt es keine Anzeige.

Anfang der 70er-Jahre wurde Guido T. von der Polizei geschnappt, vom Obergericht Zürich verurteilt und verbrachte über drei Jahre im Gefängnis. Dort lernte er lesen, schreiben, rechnen, Fremdsprachen. Danach machte er eine Ausbildung zum Maler und anschliessend Karriere bei Schweizer Baufirmen in Ägypten, Algerien und Saudiarabien.