«Beinahe hätte es mich übel erwischt»

12. Oktober 2013

Der ungarische Regisseur Róbert Alföldi klagt über die Gleichschaltung der ungarischen Kultur und über brutale rechtsextreme Attacken.

Mit Róbert Alföldi sprach Bernhard Odehnal in Budapest

Fünf Jahre waren Sie Direktor am Ungarischen Nationaltheater. Ende letzten Jahres wurde Ihr Vertrag nicht verlängert, und diesen Sommer mussten Sie gehen. Hätten Sie gern weitergemacht?

Natürlich. Mein Vertrag war abgelaufen, die Ausschreibung des Direktorenpostens geschah nach den Buchstaben des Gesetzes. Die Bewerbungen wurden aber auch von Leuten beurteilt, die bei meinem Nachfolger angestellt sind. Jetzt wird ein gutes Theater kaputt gemacht.

In den Wochen vor Ihrem Abschied standen die Menschen Schlange, um noch Karten für Ihre Produktionen zu bekommen. Wieso waren Sie plötzlich so beliebt?

Wir hatten auch vorher kein Problem mit den Zuschauerzahlen. Aber es war auch ein Akt der Solidarität. Die Leute haben mit ihrem Theaterbesuch klar für die Freiheit des Denkens Stellung bezogen. So eine gemeinsame Meinungsäusserung ist sehr selten in Ungarn.

Kulturminister Zoltán Balog hat Ihrem Nachfolger den Auftrag gegeben, er solle «die nationalen Werte hochhalten».

Wer heute die Nation kritisch betrachtet, wird zum Verräter gestempelt. Aber Künstler müssen nun einmal alles kritisch betrachten, nur so können sie die Welt zu einem besseren Ort machen.

Spielte Ihre Homosexualität bei der Entscheidung über den Direktorenposten eine Rolle?

Ganz sicher. Es ist schon interessant, dass dieses Land an einem Punkt angelangt ist, an dem sich das Parlament mit meinen Schlafzimmergeheimnissen beschäftigt. Ich frage mich, wie diese strammen ungarischen Jungs ticken, dass ihnen das so wichtig ist.

 
Róbert Alföldi

Das Gebäude des Nationaltheaters ist ein Prestigebau von Viktor Orbán aus seiner ersten Regierungszeit. Wollte Orbán Sie in «seinem» Theater nicht mehr haben?

Das Nationaltheater war ein politisches Symbol. Jahrelang war überhaupt nicht wichtig, was darin gespielt wurde. Nur, wie hässlich es ist und dass es ohne Ausschreibung gebaut wurde. Erst als ich Direktor wurde, beschäftigte sich die Öffentlichkeit nicht mehr mit dem Gebäude, sondern mit der Kunst. Der Herr Premierminister sollte mir dankbar sein, dass wir aus einem Politikum ein Theater gemacht haben.

Als freier Regisseur inszenierten Sie nun als Erstes eine 30 Jahre alte Rockoper über den ungarischen König Stephan den Heiligen. War Ihnen klar, dass Sie damit das nationale Lager provozieren?

Eine Million Menschen haben das Stück gesehen! Das Land hat zwei Wochen darüber geredet, die Verkäuferinnen auf den Märkten, die Abgeordneten im Parlament. Im Internet schimpfte eine kleine, laute Gruppe, die das Stück gar nicht gesehen hat, und auf der Strasse protestierten dann 30, 40 Leute. Im Gegensatz dazu waren in der Arena in Budapest bei den Vorstellungen täglich 11 000 Menschen – wie bei einem Rockkonzert!

Bekommen Sie oft Drohungen?

Immer wieder. Neulich wurde ich von drei Rechtsradikalen beinah zusammengeschlagen. Ich kam aus dem Theater in Szentendre, und sie griffen mich an. Ich konnte zurück ins Haus flüchten und wurde von Kollegen beschützt. Wären die nicht da gewesen, hätte es mich übel erwischt. Das war nicht lustig. Aber die drei wurden von der Polizei geschnappt und kommen vor Gericht.

Die wussten, wer Sie sind?

Ja, sie kamen auf mich zu, beschimpften mich als Schwuchtel, Vaterlandsverräter und dreckigen Juden.

Das Wiener Burgtheater hat aus Protest ein Gastspiel für 2014 in Budapest abgesagt. War das richtig?

Es ist eine eindeutige Geste, eine Botschaft an die Regierung, dass das Burgtheater mit ihrer Art der Kulturpolitik nicht einverstanden ist. Ich schwöre aber: Damit habe ich nichts zu tun.

Auch der Pianist András Schiff will nicht mehr in seiner Heimat spielen, solang dort Orbán regiert. Trifft ein solcher Boykott das Publikum nicht härter als die Regierung?

Es ist wichtiger, dass das Burgtheater klar dagegen protestiert, dass die freien Gruppen ausgehungert werden und dass nur mehr deklariert regierungsnahe Künstler bei der Besetzung wichtiger Kulturposten zum Zug kommen. Ich empfinde solche Boykotts als Gesten der Solidarität. Leider gibts das innerhalb der ungarischen Kulturszene nicht.

Warum nicht?

Da spielt Neid eine Rolle, Angst um Posten oder um die nackte Existenz. Wir leben in Ungarn in einer Atmosphäre, in der viele glauben, sich an das Regime anpassen zu müssen.

Wird der Zwang zur Anpassung langfristig Auswirkungen auf das kulturelle Leben in Ungarn haben?

Das hängt vom Ergebnis der nächsten Wahlen ab. Wenn diese Regierung so weitermachen kann, wird es in zwei, drei Jahren kein staatliches Theater mehr geben, in dem man frei Kultur machen kann. Es gäbe genügend reiche Menschen, die freie Theatergruppen unterstützen könnten. Aber sie überlegen sich das zweimal, weil sie es sich mit der Regierung nicht verscherzen wollen. Wir haben keine Ölfelder, wir sind keine industrielle Grossmacht. Was also macht die nationale Identität und unsern Ruf in der Welt besonders? Unsere Kultur, unsere kulturelle Vielfalt. Wer diese Vielfalt abschaffen will, braucht dazu nicht mehr als drei, vier Jahre. Aber um sie wieder aufzubauen, brauchen wir dreissig bis vierzig Jahre.

Fühlen Sie sich in Ihrer künstlerischen Freiheit beschränkt?

Nein. Die Frage ist nur, ob ich in der Zukunft Möglichkeiten zu arbeiten bekomme. Ich arbeite jetzt an Büchners «Dantons Tod», im Theater Vígszínház. Da besteht die Gefahr, dass bald ein neuer Direktor kommt, der noch schlechter qualifiziert ist als mein Nachfolger im Nationaltheater. Die Regierung macht daraus gar kein Geheimnis. Heute ist die leitende Organisation des kulturellen Lebens die Ungarische Kunstakademie. Deren Präsident behauptet, dass manche Institutionen wichtiger für den Erhalt der nationalen Kultur sind, auch wenn sie nur mittelmässiges Niveau haben. Die Regierung stimmt dem zu.

Was wurde aus dem Uj Színház, dem Neuen Theater? Als es von einem Nationalisten übernommen wurde, war die Aufregung gross. Jetzt ist es ruhig geworden.

Es ist ruhig, weil niemand mehr hingeht. Sie spielen vor leeren Rängen.

Die «nationalen Werte» locken niemanden ins Theater?

Nein, aber das spielt keine Rolle, denn für diese Regierung zählen Fakten und Leistungen nicht.

Sie haben einen guten Namen in der europäischen Theaterszene. Denken Sie ans Auswandern?

Ich habe einen guten Namen, weil ich der verfolgte Theaterdirektor bin. Ich möchte aber einen guten Namen als Künstler haben. Ungarn ist meine Heimat, ich kann es nicht anders sagen. Im Ausland werde ich immer nur eine kulturelle Kuriosität sein. Ich werde durchaus auch im Ausland arbeiten. Aber solange ich zu Hause arbeiten kann, will ich das auch. Weil ich verändern möchte, was ich als schlecht empfinde. Das ist die Aufgabe jedes ungarischen Intellektuellen, egal, ob er Theater macht oder was anderes.